Nordwest-Zeitung

Hemmungslo­s verletzlic­he Frau

Zum 75. Geburtstag der Sängerin Janis Joplin – 1970 mit 27 Jahren gestorben

- VON WERNER HERPELL

Wenn der Begriff Urgewalt je für eine Stimme in der Rockmusik passte, dann bei Janis Joplin. Hinter deren wildem Lebensstil @erbarg sich eine @erletAlich­e Seele.

LOS ANGELES – Es war ein trauriges neues Phänomen für die damals noch junge Rockmusik. Innerhalb von zwei Jahren, zwischen Juli 1969 und Juli 1971, starben vier ihrer größten Talente – alle erst 27 Jahre alt. Weil sie einen exzessiven Lebensstil pflegten, war bald vom „Club 27“der Promi-Opfer von „Sex & Drugs & Rock’n’Roll“die Rede. Janis Joplin war neben Brian Jones (Rolling Stones), Jimi Hendrix und Jim Morrison (The Doors) die einzige Frau im makabren Quartett.

Aber nicht nur deshalb ging die am 19. Januar 1943 in Port Arthur in Texas geborene weiße Blues- und Rocksänger­in in die Musikgesch­ichte ein. Joplin wurde zur Ikone der Hippiekult­ur und mit ihrem auf und neben der Bühne ausgestell­ten Selbstbewu­sstsein zu einer frühen feministis­chen Leitfigur.

In ihrer Bedeutung für den Sixties-Mythos rangiere sie direkt hinter Bob Dylan, urteilte wenige Jahre nach ihrem Drogentod am 4. Oktober 1970 das US-Magazin „Rolling Stone“. Joplin habe „eine der leidenscha­ftlichsten Stimmen der Rockhistor­ie“besessen, hieß es 1995 zur posthumen Einführung in die Rock & Roll Hall of Fame. „Ihr rauer Bluesrock war der Soundtrack zum ,Sommer der Liebe’ von San Francisco“, schrieb der britische „Guardian“2015.

Am 19. Januar hätte Janis Joplin ihren 75. Geburtstag feiern können. Und wie bei Brian Jones, Jimi Hendrix oder Jim Morrison fragt man sich: Was wäre aus ihr geworden, hätte sie mehr als nur die paar wilden Jahre gehabt? „Ihr Ende ist so tragisch“, meint dazu die Dokumentar­filmerin von „Janis: Little Girl Blue“, Amy Berg. „Sie hatte endlich eine Balance zwischen Kreativitä­t und persönlich­em Leben gefunden“– weil sie 1970 ihre besten Songs aufgenomme­n und sich in einer stabilen Beziehung befunden habe.

Das Album „Pearl“erschien dann. Es führte wochenlang die US-Charts an und gilt als eine der besten Platten aller Zeiten. Und doch tut sich die Kritik inzwischen, da die Rockmusik längst nicht mehr jung ist, schwer mit dieser

Frau und ihrem Nachleben – trotz aller Einflüsse auf Sängerinne­n wie Bette Midler, Alanis Morissette, Bonnie Raitt oder auch Pink. Wenn man die oft von anderen Songwriter­n stammenden Joplin-Lieder in ihrer furiosen Interpreta­tion heute hört, wenn man Videos ihrer hochemotio­nalen Konzerte sieht, denkt man unwillkürl­ich: Diese Sängerin war für die große Bühne geboren.

Dabei stemmt sich ihre drei Oktaven umspannend­e Orkanstimm­e gegen die herkömmlic­he Beschreibu­ng als schön. „Sie war heiser und kreischte wie eine angeschoss­ene Eule“, so der Weggefährt­e Nick Gravenites. Und auch ihre wuchtigen Live-Auftritte, ihr öffentlich­es Gefluche, ihr riskantes Spiel mit Alkohol und harten Drogen, ihre sexuelle Hemmungslo­sigkeit können nicht verdecken, dass Janis Joplin ein zutiefst unsicherer, verletzlic­her Mensch war.

Denn in der Kindheit erlebte das in eine Mittelschi­chtfamilie geborene, lange Zeit pickelige und pummelige Mädchen prägende Schmähunge­n. Janis zog sich zurück, las viel, dichtete, malte. Irgendwann entdeckte sie die Musik. Mit 18 ging sie nach Kalifornie­n. 1966 wurde sie für die Band Big Brother And The Holding Company als Frontfrau angeheuert – und schlug voll ein, mit einem Auftritt beim Monterey Pop Festival 1967, einem starken Debütalbum und dem noch besseren Nachfolger „Cheap Thrills“.

Der Rest ihrer kurzen Karriere?

„Lieber zehn überglückl­iche, ausgelasse­ne Jahre, als schließlic­h 70 zu werden, um in irgendeine­m verdammten Sessel dem Fernseher zuzuschaue­n“– auch dieses Zitat wird ihr zugeschrie­ben. Über ihren elenden Heroin-Tod in einem Motelzimme­r in Los Angeles sagte der Kollege Eric Burdon später: „Janis starb an einer Überdosis Janis.“

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BILD: DPA Intensives Leben: die USSängerin Janis Joplin (undatierte Aufnahme)

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