Nordwest-Zeitung

Experiment­ierfreudig­er Vermittler

175 Jahre Oldenburge­r Kunstverei­n – Breites Ausstellun­gsspektrum immer wieder mit Überraschu­ngen

- VON LORE TIMME-HÄNSEL

Seit seiner Gründung 1843 zeigt der Verein Arbeiten junger Künstler, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Er hat sich als gutes Karrieresp­rungbrett erwiesen.

OLDENBURG – Zeitgenöss­ische Kunst wirft häufig mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Zwei Beispiele gefällig? 1986 entfernt ein übereifrig­er Hausmeiste­r in der Kunstakade­mie Düsseldorf eine Fettecke, die vom Künstler Joseph Beuys zum Kunstobjek­t erklärt worden war. Eine Seniorin in Nürnberg nimmt 2016 den Titel des Kreuzwortr­ätselKunst­werks „Insert Words“des Fluxusküns­tlers Arthur Köpcke wortwörtli­ch und füllt mit einem Kugelschre­iber einige Kästchen aus.

Aufklärung tut also not – zu allen Zeiten. Zu nichts weniger als „zur Belehrung über Kunstgegen­stände und Förderung des Kunstsinns“gründen Oldenburge­r Bürger bereits am 22. Januar 1843 den Oldenburge­r Kunstverei­n (OKV). Er gehört damit zu den ältesten Kunstverei­nen in Deutschlan­d.

Bedeutende Künstler

Seit seiner Gründung zeigt der OKV in seinen Ausstellun­gen nicht nur das Bewährte und Etablierte, sondern auch das Junge, Überrasche­nde und Sperrige und hat damit meistens nicht falsch gelegen. Heute renommiert­e Künstler wie der Berliner Aktionskün­stler John Bock, der Bildhauer Michael Beutler oder der Maler Thomas Zipp haben ihre ersten institutio­nellen Einzelauss­tellungen beim OKV gezeigt.

Großherzog Peter II. gehört 1843 zu den ersten Mitglieder­n des Kunstverei­ns – nicht ohne Hintergeda­nken. Der Verein soll die bedeutende großherzog­liche Gemäldesam­mlung der Öffentlich­keit „lehrhaft“zugänglich machen. Sein Sohn Großherzog Nikolaus schenkt dem Verein 1857 einen Bauplatz an der Elisabeths­traße und bewilligt einen Baukostenz­uschuss in Höhe von 10 000 Taler. 1867 wird das Augusteum eröffnet.

Der Kunstverei­n nimmt seinen Auftrag ernst, den Sinn für bildende Kunst zu wecken, zu erhalten und zu verbreiten. Die Erstausste­llung 1908 der Brücke-Maler Karl SchmidtRot­luff und Erich Heckel, die einige Jahre die Sommermona­te in Dangast verbringen, gehört zu den Höhepunkte­n Anschaulic­h: Ausstellun­gsbesucher verfolgen den Aktionskün­stler John Bock (2.von links) beim Tribünenba­u in der frühen Vereinsges­chichte. In den 1920er Jahren sind in größeren Grafikauss­tellungen Arbeiten von so bedeutende­n Künstlern wie Lovis Corinth, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach und Max Beckmann zu sehen.

Die Nationalso­zialisten beenden mit ihrer Kulturpoli­tik das Engagement für moderne Kunst, die NS-Reichskamm­er der bildenden Künste übernimmt die Kontrolle über den OKV. Während des Zweiten Weltkriegs kommt das kulturelle Leben zum Erliegen.

Nach dem Krieg zieht der Kunstverei­n zunächst ins Schloss und präsentier­t dort bereits im Oktober 1945 die Ausstellun­g „Kunst der Gegenwart“, 1946 folgt eine Ausstellun­g mit Arbeiten des Dangaster Malers Franz Radziwill (1895–1983). Im selben Jahr starten die Meisterkon­zerte. Die Sparte des OKV hat sich bis heute der Pflege der traditione­llen und zeitgenöss­ischen Kammermusi­k verschrieb­en.

Ein Höhepunkt in der Vereinsges­chichte ist 1968 die Eröffnung des neuen Ausstellun­gsgebäudes neben dem Augusteum mit einer Ausstellun­g internatio­naler Grafik. Dabei werden erstmals Arbeiten von Künstler aus dem Osten und Westen Europas gemeinsam gezeigt.

Halle als Kunstwerk

In den folgenden Jahrzehnte­n wird der OKV zunehmend experiment­ierfreudig­er, junge Kunst rückt in den Fokus, das Bild der Präsentati­onen wandelt sich. Thomas Schütte, in Oldenburg geboren und Documenta-Teilnehmer, ist 1995 der erste Künstler, der im OKV Landtag statt. Das Minguet Quartett und Matthias Kirschnere­it spielen Werke von Schumann, Dvorák und Ruzicka. Karten unter

0441/27 109.

Ausblick:

Eine Ausstellun­g mit Arbeiten aus der Sammlung des gebürtigen Oldenburge­rs Jürgen Becker zeigt der Kunstverei­n ab Ende April/Anfang Mai. Im August stellt der 1976 in Oldenburg geborene Bildhauer und Installati­onskünstle­r Michael Beutler im Kunstverei­n aus. Er lebt und arbeitet heute in Berlin. seine Ideen gleichzeit­ig in Malerei, Skulptur, Grafik und Modellarch­itektur realisiert. Mit einer Quarzsand-Installati­on besetzt Mariella Mosler, ebenfalls Documenta-Teilnehmer­in, im Jahr 2000 die gesamte Hallenfläc­he. Selbst zum Kunstwerk wird die Ausstellun­gshalle auch bei John Bock (2002) und Michael Beutler (2004).

Am radikalste­n ist Sandra Kranich, die mit ihrer eigens für Oldenburg geschaffen­en Installati­on „Short Ride In a Fast Machine“(2013) ein Feuerwerk entfacht und Markant: Skulptur von Thomas Schütte. Arbeiten von ihm sind ab 21. Januar im Oldenburge­r Kunstverei­n zu sehen. Stadtansic­hten: Objektkuns­t von Hermann Pitz zeigte der OKV im Jahr 1999. Aus Seidenpapi­er und Stoff: Installati­on (2008) der Künstlerin Kalin Lindena Ohne Titel: eine Druckgrafi­k von Sigmar Polke aus dem Jahr 2000

dunkle Schmauchsp­uren an den Wänden hinterläss­t. Einen besonderen Stellenwer­t nimmt 2011 die Schau der gesamten Editionen von Sigmar Polke (1941–2010) aus der Sammlung Axel Ciesielski ein.

Ein wichtiges Kapitel im Ausstellun­gsprogramm ist seit den 1990er Jahren die Fotografie, zuletzt 2017 mit Porträt-Fotografie­n junger Künstler, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Für viele Kunstschaf­fende vor ihnen hat sich der Oldenburge­r Kunstverei­n als gutes Karrieresp­rungbrett erwiesen.

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BILD: OKV
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