Haftbefehl aufheben?
Verteidigung fordert Aufhebung des Haftantrags – Aussagen der Opferseite im Fokus
Der Angeklagte im Prozess um die Nadorster Todesschüsse ist kein unbeschriebenes Blatt. Doch trotz einer langen Strafakte fordert die Verteidigung nun eine Aufhebung des Haftbefehls – und begründet dies auch mit der Vernehmung des Opfers.
Auch die Tochter des Opfers widerspricht sich. Der 60-Jährige hatte mögliche Zeugen des Tatortes verwiesen.
OLDENBURG – Der Angeklagte selbst habe im Kampf die Polizei und zwei Krankenwagen gefordert, sich danach widerstandslos festnehmen lassen und auch schon vor dem Unglück die Polizei rufen wollen – sei aber vom späteren 60jährigen Opfer daran gehindert worden: Drei von mehreren Gründen, die Rechtsanwalt Hans Meyer Mews am Freitagmorgen zugunsten seines Mandanten in die Verhandlungsrunde warf. Sein Ziel: Die Aufhebung des Haftbefehls gegen den 38-jährigen Tatverdächtigen Mustafa Y..
Auf den Tag genau sechs Monate sind seit den tödlichen Schüssen in einem Nadorster Unternehmen vergangen, der Angeklagte saß seitdem in Untersuchungshaft. Paragraph 121 der Strafprozessordnung besagt, dass diese nur aufrechterhalten werden dürfe, wenn „die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen“. Eben darauf berief sich Meyer Mews – und den Verweis, dass ein dringender Tatverdacht „spätestens nach der Vernehmung des Nebenklägers“Necat C. (60) nicht mehr Nachdem der Tatverdächtige am Donnerstag bereits etwas aus dem Fokus rückte, erhielt seine „Notwehr“-Version am Freitag weitere – unfreiwillige – Unterstützung.
gegeben sei. Wie berichtet, hatte sich letzterer tags zuvor (dem zweiten von zehn Prozesstagen) in zahlreiche Widersprüche zum Tathergang, den möglichen Gründen der Tat und auch den Rahmenbedingungen verstrickt und verlor an Souveränität.
Auch am Freitag konnte die „Opferseite“nicht überzeugen: Die Tochter des 60-Jährigen wurde in den Zeugenstand gebeten und zu den familiären wie geschäftlichen Beziehungen befragt. Die Angriffe auf den Angeklagten wie dessen Partner Ali C. – der Inhaber des Trockenbau-Unternehmens hatte sich im Sommer mit einem Kompagnon aus Hells-Angels-Reihen gen Türkei abgesetzt – waren von
ihr deutlich formuliert. Ihre Darstellung des Vaters als friedliebenden Geschäftspartner, der am Tattag nichts Böses im Sinn hatte, fruchtete aber nicht. Im Gegenteil. Wie schon der 60-Jährige zuvor („Maßgeblich ist das, was ich hier sage“), konnte sich auch die Tochter plötzlich nicht mehr an ihre Aussagen aus früheren polizeilichen Vernehmungen erinnern. Mehr noch, sie kehrte einige gar ins Gegenteil, so dass sich diese plötzlich den väterlichen Anmerkungen in besonderem Maße ähnelten. Ihre Begründung: „Ich war psychisch labil, es war Schwachsinn, dass ich damals befragt wurde“, und: „Wenn der eigene Bruder verschwunden ist, ist man
am Anfang am Ende.“Der Vermisstenfall Rezan Cakici, Sohn des 60-jährigen Nebenklägers, wurde diesmal nur am Rande thematisiert. Die junge Frau, Mitarbeiterin eines Telekommunikationsunternehmens, erklärte, sie habe selbst nach Rezan recherchiert und dessen Handykontakte wie Nachrichten überprüft. Aus diesen fragwürdigen eigenen „Ermittlungen“habe sie abgeleitet, dass Ali C. etwas mit dem Verschwinden Rezans zu tun haben müsse. Sie zeichnete ein düsteres Bild des Mannes, nahm auch weitere Hells-Angels-Mitglieder namentlich in die Verantwortung. Als die Verteidigung sie allerdings in der Folge mit ihren Widersprüchen konfrontierte, wurde es kleinlaut.
Mehr im Fokus standen am Freitag die Aussagen von Necat C.. Zweifel an ihnen wurden von zwei weiteren Zeugen genährt, die kurz vor der Tat das Ladenlokal aufgesucht hatten – ein Neffe des Angeklagten und dessen Freund. Sie waren von dem „aggressiv“wirkenden Necat C. vor dem Unglück des Gebäudes verwiesen worden. Nach den Schüssen kamen sie zurück gerannt und sahen, wie Mustafa Y. den Nebenkläger dauerhaft zu Boden drückte, ihn „ruhig stellte“, während er in der anderen Hand eine Waffe hielt. „Ruf’ die Polizei und zwei Krankenwagen!“, habe dieser geschrien. Die angeblichen Hilferufe von Necat C. hatte offenbar kein Zeuge – trotz geöffneter Tür – vernommen. Auch auf den Vorwurf, Mustafa Y. hätte ihn töten wollen, gab es keine konkreten Hinweise. Ein Schuss hatte ihn zwar getroffen, dieser aber ging aus nächster Nähe „nur“ins Schienbein. Neben dem 65-jährigen Todesopfer wurde indes ein Messer gefunden.
Über die Verwendung des Messers ist noch zu reden, über die Aufhebung des Haftbefehls indes werde in der nächsten Sitzung entschieden. Die Vorzeichen dafür stünden eher ungünstig – denn der Angeklagte hat eine ellenlange Strafakte aus Körperverletzungen, Raub, Erpressung, Betrug oder auch Betäubungsmittel-Besitz. Auch bestehe möglicherweise eine Fluchtgefahr, hieß es.