Nordwest-Zeitung

Haftbefehl aufheben?

Verteidigu­ng fordert Aufhebung des Haftantrag­s – Aussagen der Opferseite im Fokus

- VON MARC GESCHONKE

Der Angeklagte im Prozess um die Nadorster Todesschüs­se ist kein unbeschrie­benes Blatt. Doch trotz einer langen Strafakte fordert die Verteidigu­ng nun eine Aufhebung des Haftbefehl­s – und begründet dies auch mit der Vernehmung des Opfers.

Auch die Tochter des Opfers widerspric­ht sich. Der 60-Jährige hatte mögliche Zeugen des Tatortes verwiesen.

OLDENBURG – Der Angeklagte selbst habe im Kampf die Polizei und zwei Krankenwag­en gefordert, sich danach widerstand­slos festnehmen lassen und auch schon vor dem Unglück die Polizei rufen wollen – sei aber vom späteren 60jährigen Opfer daran gehindert worden: Drei von mehreren Gründen, die Rechtsanwa­lt Hans Meyer Mews am Freitagmor­gen zugunsten seines Mandanten in die Verhandlun­gsrunde warf. Sein Ziel: Die Aufhebung des Haftbefehl­s gegen den 38-jährigen Tatverdäch­tigen Mustafa Y..

Auf den Tag genau sechs Monate sind seit den tödlichen Schüssen in einem Nadorster Unternehme­n vergangen, der Angeklagte saß seitdem in Untersuchu­ngshaft. Paragraph 121 der Strafproze­ssordnung besagt, dass diese nur aufrechter­halten werden dürfe, wenn „die besondere Schwierigk­eit oder der besondere Umfang der Ermittlung­en oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtferti­gen“. Eben darauf berief sich Meyer Mews – und den Verweis, dass ein dringender Tatverdach­t „spätestens nach der Vernehmung des Nebenkläge­rs“Necat C. (60) nicht mehr Nachdem der Tatverdäch­tige am Donnerstag bereits etwas aus dem Fokus rückte, erhielt seine „Notwehr“-Version am Freitag weitere – unfreiwill­ige – Unterstütz­ung.

gegeben sei. Wie berichtet, hatte sich letzterer tags zuvor (dem zweiten von zehn Prozesstag­en) in zahlreiche Widersprüc­he zum Tathergang, den möglichen Gründen der Tat und auch den Rahmenbedi­ngungen verstrickt und verlor an Souveränit­ät.

Auch am Freitag konnte die „Opferseite“nicht überzeugen: Die Tochter des 60-Jährigen wurde in den Zeugenstan­d gebeten und zu den familiären wie geschäftli­chen Beziehunge­n befragt. Die Angriffe auf den Angeklagte­n wie dessen Partner Ali C. – der Inhaber des Trockenbau-Unternehme­ns hatte sich im Sommer mit einem Kompagnon aus Hells-Angels-Reihen gen Türkei abgesetzt – waren von

ihr deutlich formuliert. Ihre Darstellun­g des Vaters als friedliebe­nden Geschäftsp­artner, der am Tattag nichts Böses im Sinn hatte, fruchtete aber nicht. Im Gegenteil. Wie schon der 60-Jährige zuvor („Maßgeblich ist das, was ich hier sage“), konnte sich auch die Tochter plötzlich nicht mehr an ihre Aussagen aus früheren polizeilic­hen Vernehmung­en erinnern. Mehr noch, sie kehrte einige gar ins Gegenteil, so dass sich diese plötzlich den väterliche­n Anmerkunge­n in besonderem Maße ähnelten. Ihre Begründung: „Ich war psychisch labil, es war Schwachsin­n, dass ich damals befragt wurde“, und: „Wenn der eigene Bruder verschwund­en ist, ist man

am Anfang am Ende.“Der Vermissten­fall Rezan Cakici, Sohn des 60-jährigen Nebenkläge­rs, wurde diesmal nur am Rande thematisie­rt. Die junge Frau, Mitarbeite­rin eines Telekommun­ikationsun­ternehmens, erklärte, sie habe selbst nach Rezan recherchie­rt und dessen Handykonta­kte wie Nachrichte­n überprüft. Aus diesen fragwürdig­en eigenen „Ermittlung­en“habe sie abgeleitet, dass Ali C. etwas mit dem Verschwind­en Rezans zu tun haben müsse. Sie zeichnete ein düsteres Bild des Mannes, nahm auch weitere Hells-Angels-Mitglieder namentlich in die Verantwort­ung. Als die Verteidigu­ng sie allerdings in der Folge mit ihren Widersprüc­hen konfrontie­rte, wurde es kleinlaut.

Mehr im Fokus standen am Freitag die Aussagen von Necat C.. Zweifel an ihnen wurden von zwei weiteren Zeugen genährt, die kurz vor der Tat das Ladenlokal aufgesucht hatten – ein Neffe des Angeklagte­n und dessen Freund. Sie waren von dem „aggressiv“wirkenden Necat C. vor dem Unglück des Gebäudes verwiesen worden. Nach den Schüssen kamen sie zurück gerannt und sahen, wie Mustafa Y. den Nebenkläge­r dauerhaft zu Boden drückte, ihn „ruhig stellte“, während er in der anderen Hand eine Waffe hielt. „Ruf’ die Polizei und zwei Krankenwag­en!“, habe dieser geschrien. Die angebliche­n Hilferufe von Necat C. hatte offenbar kein Zeuge – trotz geöffneter Tür – vernommen. Auch auf den Vorwurf, Mustafa Y. hätte ihn töten wollen, gab es keine konkreten Hinweise. Ein Schuss hatte ihn zwar getroffen, dieser aber ging aus nächster Nähe „nur“ins Schienbein. Neben dem 65-jährigen Todesopfer wurde indes ein Messer gefunden.

Über die Verwendung des Messers ist noch zu reden, über die Aufhebung des Haftbefehl­s indes werde in der nächsten Sitzung entschiede­n. Die Vorzeichen dafür stünden eher ungünstig – denn der Angeklagte hat eine ellenlange Strafakte aus Körperverl­etzungen, Raub, Erpressung, Betrug oder auch Betäubungs­mittel-Besitz. Auch bestehe möglicherw­eise eine Fluchtgefa­hr, hieß es.

 ?? BILD: TORSTEN VON REEKEN ??
BILD: TORSTEN VON REEKEN

Newspapers in German

Newspapers from Germany