Neunte Kunst schafft es ins Museum
Drei Oldenburger Häuser zu einem Thema – Von Comics, Graphic Novels und Animationen
Es ist das erste Kooperationsprojekt von Stadtmuseum, Horst-JanssenMuseum und EdithRuss-Haus. Es beleuchtet den Comic mit all seinen Facetten und Entwicklungen.
OLDENBURG – „Seufz“, „Boom!“, „Grumpf“– die lautmalerischen Sprechblasen von Mickymaus, Donald Duck und Co. haben sich auch in ihrer deutschen Übersetzung ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Dabei stehen Disneys weltbekannte Figuren nicht einmal am Anfang der Erfolgsgeschichte des Comics. Schon vor Carl Barks, dem legendären Autor und Zeichner (1901–2000), gab es Pioniere der populären Bildgeschichten. Zu ihnen zählt in Fachkreisen sogar Wilhelm Busch (1832–1908).
Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Comics – in ihrem ersten Kooperationsprojekt betrachten die drei städtischen Museen Oldenburgs von Ende Januar an die Neunte Kunst aus verschiedenen Blickwinkeln. Das beginnt mit den Urvätern des Comics und endet beim Computerspiel. Dazwischen finden sich die aktuellsten Graphic Novels der deutschen Szene – oft ernste oder gar düstere Geschichten, die ebenso von Rocklegenden wie von Serienmördern erzählen.
Kunst auf Papier
Mit dem bereits in den 1970er Jahren geprägten Begriff „Neunte Kunst“wurde der Comic zur eigenen Kunstform erklärt – nach Malerei, Bildhauerei, nach Zeichnung, Grafik und Architektur, Fotografie, Fernsehen und Film. Das Stadtmuseum Oldenburg, das Horst-Janssen-Museum und das Edith-RussHaus für Medienkunst haben sich nun zusammengeschlossen, Literarisch : der Comic-Roman „Flughunde“(oben) von Ulli Lust (Ausschnitt). Kleine Bilder: „Mickey Mouse“im Stadtmuseum (rechts) und „Mountain“(links unten) von David OReilly im Edith-Russ-Haus
um mit je eigenem Schwerpunkt dem Thema in all seinen Schattierungen beizukommen: von hübsch bunt (Stadtmuseum) über ernsthaft und dunkel (Horst-Janssen-Museum) bis zu animiert und bewegt (Edith-RussHaus).
Die Idee hatte sich im JanssenMuseum entwickelt, das die Graphic Novel, eine Unterform des Comics, neben Zeichnung und Grafik als ebenbürtige Kunst auf Papier einordnet. Es sind gezeichnete Romane, die sich eher an eine erwachsene Leserschaft richten. So erzählt Ulli Lust
in „Flughunde“(nach dem Roman von Marcel Beyer) vom Tod der sechs Kinder des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels im Führerbunker. Isabel Kreitz dagegen schildert in „Haarmann“den spektakulären Kriminalfall des Serienmörders Fritz Haarmann, der 1924 in Hannover zum Tode verurteilt wurde. Dazu gesellen sich viele Biografien und noch mehr autobiografische Stoffe.
Museumsleiterin Jutta Moster-Hoos und Kuratorin Sabine Siebel haben sich jedoch weniger für die gedruckten Seiten interessiert als vielmehr für die Originalzeichnungen, Vorskizzen und für den gesamten Entstehungsprozess – quasi von der ersten Idee bis zum Buch. Um unterschiedliche Gestaltungsmittel, Handschriften und technische Verfahren sichtbar zu
machen, werden 13 deutsche und deutschsprachige, zeitgenössische Comiczeichnerinnen und -zeichner sowie der Graphic-Novel-Pionier Hans Hillmann (1925– 2014) vorgestellt. Damit sei die aktuelle Comic-Szene zum ersten Mal nicht nur auf Festivals oder Comic-Foren präsent, sagt Siebel, sondern auch in einem Museum.
Die Kulturgeschichte des Comics breitet Museumsleiter Andreas von Seggern nebenan im Stadtmuseum aus und verfolgt den Weg des Comics zur Gilt als früher Comic: „Der Virtuose“(Ausschnitt) von Wilhelm Busch
Massenpopularität – von den Grafiken des Schweizer Illustrators Rodolphe Toepffer (1799–1846) und Wilhelm Buschs „Münchener Bilderbögen“im 19. Jahrhundert über Walt Disney bis zu Art Spiegelman oder Will Eisner in der Gegenwart. Schlaglichtartig konzentriert sich die Schau auf Beispiele aus den USA, Belgien – „eine regelrechte Comic-Hochburg“– und Deutschland. Dazu wurden eigens drei große Vitrinen-Elemente angefertigt, in deren Schubladen sich einige Höhepunkte der Schau befinden, etwa eine Originalzeichnung von Carl
Barks oder signierte Lithografien. „Es wird auf jeden Fall bunt und unterhaltsam“, verspricht von Seggern. Dazu tragen auch die ausgewählten Merchandising-Objekte bei, die die Wirkungsmacht des Comics dokumentieren – darunter etwa das berühmte Mickymaus-Telefon. Auch an eine Schmökerecke wurde gedacht, in der einige der bekanntesten Comics ausliegen.
Aktuelle Interpretation
Und weil aller guten Dinge drei sind, startet als Erstes das Edith-Russ-Haus mit fünf Künstlern aus Polen, Ägypten, Russland, Irland und Israel zum selben Thema und mit Geschichten, „die sonst nicht in Bildern erzählt werden können“, erläutert Museumsleiter Marcel Schwierin, weil es von ihnen kaum oder gar keine Fotografien gebe. Zu diesen „Unwanted Stories“gehören aber nicht nur Graphic Novels, sondern auch großformatige Wandzeichnungen, Installationen, Animationsfilme und zwei Computerspiele, „quasi die aktuellste Interpretation der Graphic Novel“.
Einige Arbeiten sind durchaus sehr politisch und gesellschaftskritisch. Viktoria Lomasko etwa beschäftigt sich mit zeitgenössischer Sklaverei in Moskau. Amir Yatziv, ehemals Stipendiat des EdithRuss-Hauses, ist mit einer digitalen Rekonstruktion von Auschwitz vertreten.
Verblüffende Bilder versetzt der irische Filmemacher David OReilly in Bewegung: In dem Animationsfilm „The External World“, der zwar kindlich und simpel daherkommt, aber brutal zur Sache geht, treten auch ergraute ComicFiguren auf. Im Altenheim rutschen sie auf wehrhaften Bananenschalen aus oder hocken gemeinsam vor dem Fernseher. Was sie sich anschauen? Einen Comic-Film. Was sonst?