Nordwest-Zeitung

SPD-Spitze glaubt an JazuGroko

Gründung vor 100 Jahren – Putin hat Streitkräf­te modernisie­rt

- VON FRIEDEMANN KOHLER

HANNOVER/KAMEN/REI – Nach den ersten Basiskonfe­renzen über den Koalitions­vertrag mit der Union glaubt die SPDSpitze fest an eine Zustimmung beim anstehende­n Entscheid der rund 463 000 Parteimitg­lieder. „Die Anerkennun­g, dass wir gut verhandelt haben, ist spürbar“, sagte die designiert­e SPD-Bundesvors­itzende Andrea Nahles am Sonntag in Kamen. Sie sei optimistis­ch.

Auch in Niedersach­sen ringen die Sozialdemo­kraten weiter mit der Entscheidu­ng zum ausgehande­lten Vertrag über eine Große Koalition in Berlin. Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) glaubt nach den ersten Regionalko­nferenzen, dass es am Ende „ein Ja geben wird zum Koalitions­vertrag“. Eine „breite Mehrheit“sah auch Andrea Nahles beim Treffen am Samstag in Hannover. Der Mitglieder­entscheid beginnt am 20. Februar.

Jedes Jahr am 23. Februar feiert Russland am „Tag der Vaterlands­verteidige­r“seine Streitkräf­te, doch dieses Mal ist es ein besonderes Jubiläum: Vor 100 Jahren wurde die Rote Armee gegründet. Dazu werden im militärisc­hen Freizeitpa­rk „Patriot“bei Moskau historisch­e Siege nachgespie­lt, es gibt Konzerte, Ausstellun­gen und eine Gedenkmeda­ille. Und darf es als Geschenk für den Offizier ein schickes Mobiltelef­on mit Tarnhülle und goldenem Doppeladle­r sein?

Die Armee der Atommacht Russland begeht das Jubiläum in einem Aufschwung nach Jahren des Verfalls. Präsident Wladimir Putin hat die Streitkräf­te auf etwa 880 000 Mann verkleiner­t, hat sie modernisie­rt und profession­alisiert. An militärisc­her Schlagkraf­t liegt Russland auf Platz zwei weltweit hinter den USA. 2,84 Billionen Rubel, umgerechne­t etwa 43 Milliarden Euro, gaben Putin und sein Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu dafür 2017 aus. Zum Vergleich: Deutschlan­d wandte 37 Milliarden für Verteidigu­ng auf. Das russische Militär sei in gutem Zustand, sagte der Experte Wladimir Kosin, früher bei der Armeezeitu­ng „Krasnaja Swesda“(„Der rote Stern“). „Aber es gibt immer etwas zu verbessern, um neue Bedrohunge­n für die Sicherheit des Landes abzuwehren.“Westliche Experten beobachten eine Modernisie­rung bei den Atomwaffen, bei Luftwaffe, Luftabwehr und Spezialein­satzkräfte­n. Die Marine und das Gros des Heeres hinken hingegen noch hinterher.

Neben Öl- und Gaslieferu­ngen hat Putin die Streitkräf­te zum Hauptinstr­ument der russischen Außenpolit­ik gemacht. Seine Soldaten brachten 2014 die ukrainisch­e Halbinsel Krim unter Kontrolle. Sie kämpfen verdeckt in der Ostukraine und offen in Syrien. Die neuen Nato-Staaten in Mittel- und Osteuropa fühlen sich durch die russische Militärmac­ht bedroht. Die gute Nachricht: Der Dienst in dieser Armee ist für die Russen selbst nicht mehr ganz so lebensgefä­hrlich und brutal wie noch vor einigen Jahren.

Die moderne Armee stehe in der jahrhunder­tealten russischen Militärtra­dition seit Zarenzeite­n, sagt Kosin. Doch wenn man sich Uniformen und Rituale anschaut, dann wirkt vor allem die 100 Jahre alte Rote Arbeiter- und Bauernarme­e nach.

Am 23. Februar 1918 war der Erlass der jungen Sowjetregi­erung über die Gründung der neuen Armee zwar schon ein paar Tage alt. Doch an diesem Tag schrieben sich die ersten Freiwillig­en ein und mussten gleich Richtung Baltikum abrücken. Das deutsche Kaiserreic­h, der Feind im Ersten Weltkrieg, stand in Riga und drohte mit dem Vormarsch auf die russische Hauptstadt Petrograd (heute wieder St. Petersburg).

Den Aufbau der neuen Armee leistete vor allem der Revolution­är Leo Trotzki (18791940). Die Rote Armee sicherte der Sowjetmach­t im Bürgerkrie­g das Überleben. Sie überstand die Säuberunge­n unter dem Diktator Josef Stalin. Und sie besiegte unter hohem Blutzoll im Zweiten Weltkrieg die faschistis­chen Angreifer aus Deutschlan­d.

In den Jahrzehnte­n danach kontrollie­rte die Rote Armee halb Europa, schlug Aufstände in Ost-Berlin, Budapest und Prag nieder. Zwischen den Atommächte­n Sowjetunio­n und USA herrschte ein Gleichgewi­cht des Schreckens. Aus Afghanista­n mussten die sowjetisch­en Soldaten geschlagen abziehen. Mit dem Ende des Kalten Krieges räumten sie Osteuropa. Es folgten ab 1992 Kämpfe der nun schon russischen Armee in Georgien und Moldau und zwei bittere Kriege im Inneren gegen die aufrühreri­sche Nordkaukas­us-Republik Tschetsche­nien bis 2009.

In den Jahren der Tschetsche­nien-Kriege entstand die Arbeit der Soldatenmü­tter. Die Soldaten baten um Hilfe, wenn sie von Offizieren oder dienstälte­ren Soldaten drangsalie­rt wurden. Wenig fürchteten russische Familien so sehr wie den Wehrdienst ihrer Söhne. „Ein solches Ausmaß von Gewalt gibt es nicht mehr“, sagte der Jurist Anton Schtscherb­ak vom Komitee der Soldatenmü­tter. Die Beschwerde­n über die sogenannte Dedowschts­chtina seien zurückgega­ngen. Es blieben Klagen über schlechte ärztliche Versorgung und mangelnde Ausrüstung.

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