Deutscher im türkischen Knast
73-Jähriger seit über einem halben Jahr ohne Anklage in Isolationshaft
Nach der Entlassung Deniz Yücels sitzen noch vier Deutsche in der Türkei aus politischen Gründen in Haft. Bislang war unklar, um wen es sich handelt.
ANKARA – Deniz Yücel ist frei – ist die Krise um deutsche Gefangene in der Türkei damit beigelegt? Fast könnte man den Eindruck gewinnen, es herrscht schon fast wieder „business as usual“. Dabei sitzen in dem Land nach Angaben des Auswärtigen Amtes immer noch vier Deutsche aus politischen Gründen im Gefängnis. Bislang waren ihre Namen nicht bekannt, doch eine Familie bricht nun ihr Schweigen – aus Verzweiflung. Der Gefangene: Enver Altayli, 73 Jahre alt, seit mehr als einem halben Jahr ohne Anklage im Gefängnis. Nach Angaben der Familie sitzt er in Isolationshaft.
Altayli besitzt die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft. Am 20. August wurde er in der Urlaubsregion Antalya festgenommen, wo die Familie in einem urigen Dorf eine kleine Ferienanlage betreibt. Hübsche Steinhäuser inmitten von Gärten, fantastischer Blick aufs Mittelmeer. Gäste aus der Bundesrepublik werden auf Deutsch begrüßt, zwei der drei Töchter Altaylis sind in Deutschland geboren. Eine der Töchter lebt in EnveF Altayli auf einem Familienbild. DeF 73-jähFige DeutschTüFke sitzt nach Angaben seineF Familie seit mehF als einem halben JahF in AnkaFa in Isolationshaft.
Frankfurt am Main, sie arbeitet dort als Ärztin.
Nach seiner Festnahme in Antalya wurde Altayli in die Hauptstadt Ankara gebracht, wo ein Richter am 26. August Untersuchungshaft verhängte. Nach dem Protokoll der Gerichtsverhandlung, das der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, wird Altayli dringend verdächtigt, Straftaten für eine Terrororganisation begangen zu haben. Gemeint ist die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, den die türkische Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich
macht. Altayli streitet Verbindungen zur Gülen-Bewegung und sämtliche Vorwürfe ab.
Altayli ist Jurist und war nach eigener Aussage 1968 vom türkischen Geheimdienst MIT zur Forschung über Osteuropa-Recht nach Deutschland entsandt worden. Beim MIT blieb er demnach bis 1973. In den 1980er-Jahren vertrat er die ultranationalistische türkische Partei MHP in der Bundesrepublik, der er aber seit Jahren nicht mehr angehört, wie seine Tochter Zehra Der sagt. Nach Angaben seiner Familie beriet Altayli Anfang der 1990er Jahre den damaligen türkischen Präsidenten Turgut Özal. Zuletzt arbeitete der AußenpolitikExperte als Publizist.
Altaylis Vater stammte aus Usbekistan und war vor Stalin aus der Sowjetunion in die Türkei geflohen. Altayli selbst trieb stets die Sorge vor sowjetischen und später russischen Expansionsbestrebungen um. Die Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte er besonders mit Blick auf die Annäherung an Moskau. „Er war gegen eine Zunahme des Einflusses Russlands auf die Türkei“, sagt Zehra Der. Sie glaubt, dass russlandfreundliche Kreise in Ankara ihren Vater „aus dem Spiel haben wollten“.
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes 28 Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei festgenommen, 24 davon sind wieder frei. Seit Yücels Entlassung vor einem Monat fordert Ankara, die Reisehinweise wieder zu entschärfen, in denen das Auswärtige Amt bis heute vor willkürlichen Festnahmen warnt – die Türkei hofft auf eine massenhafte Rückkehr deutscher Urlauber
Auf mehr Unterstützung aus Berlin hofft Altaylis Familie nun. „Wir würden uns wünschen, dass die Bundesregierung stärker auf seine Entlassung aus der Untersuchungshaft hinwirkt und darauf, dass der Prozess beschleunigt wird“, sagt Zehra Der.