Nordwest-Zeitung

„Mehr Offenheit würde guttun“

Orientalis­t Schlicht plädiert für Realismus im Um3an3 mit dem Islam

- VON ROBERT OTTO-MOOG

FRAGE: Horst Seehofer sagt nein, Angela Merkel sagt ja: Ist die Frage, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört, überhaupt so einfach zu beantworte­n? SCHLICHT: Natürlich kann man das nicht so eindeutig beantworte­n. Aber Politiker wollen Sätze präsentier­en, die eingängig sind. FRAGE: War Seehofers Aussage also einfach nur populistis­ch? SCHLICHT: Er hat gerade sein Amt angetreten und wollte vielleicht einen starken Akzent setzen. Man muss aber auch sagen, dass er nicht vollkommen unrecht hat. Es gibt im Islam Aussagen und Texte, die sehr schwer mit unserem demokratis­chen Rechtsstaa­t vereinbar sind. Anderersei­ts gibt es sehr viele Muslime bei uns, die hier wirklich angekommen sind, unsere Rechtsordn­ung akzeptiere­n und die wertvolle Beiträge leisten – als Politiker, als Wissenscha­ftler, als Unternehme­r. Es gibt eine große Zahl von Muslimen, die sich nicht an Aussagen aus dem siebten Jahrhunder­t orientiere­n. Diese Muslime interpreti­eren den Islam in einer Art und Weise, mit der wir gut leben können. FRAGE: Müsste man also den politische­n Islam vom Rest der Religiontr­ennen? SCHLICHT: Das ist sehr schwierig. Denn der politische Islam beruft sich ja auf genuin islamische Aussagen – auf Worte, die es tatsächlic­h gibt. Und diese Dinge vom eigentlich­en Islam zu trennen, ist problemati­sch. FRAGE: Ähnliche Worte gibt es aber auch in der Bibel... SCHLICHT: Es geht mehr um die Interpreta­tion: Müssen Dinge, die im siebten Jahrhunder­t ausgesproc­hen worden sind, noch immer wörtlich genommen werden in unserer Zeit? Die Reformmusl­ime bestreiten das. Sie sind überzeugt, dass der Islam heute anders interpreti­ert werden muss als vor 1400 Jahren. So machen es Christen und Juden ja auch. Es gibt heute ja auch keine Hexenverbr­ennungen mehr. FRAGE: Hat der Islam also die Chance,sichzurefo­rmieren? SCHLICHT: Der Islam hat die Chance! Es gibt ja schon Reformmusl­ime und solche, die ihren Glauben leben, ohne irgendetwa­s

Radikales zu denken, zu tun oder zu wollen. Gerade auch bei uns in Deutschlan­d. Anderersei­ts gibt es viele Muslime – und da kommen auch viele politische und soziale Faktoren dazu – die sich hier nicht angenommen fühlen, nicht akzeptiert. Einige rechnen ihr eigenes Scheitern ihrer Religion zu und meinen, sie würden diskrimini­ert. FRAGE: Gibt es also gar keine Diskrimini­erung von Muslimen in Deutschlan­d? SCHLICHT: Natürlich gibt es die! Wie es auch eine Diskrimini­erung von Juden gibt, wie es auch eine Diskrimini­erung von Frauen gibt. Das sehe ich jederzeit, denn ich habe auch eine Frau, die Migrantin ist. FRAGE: Ist es bei all der Angst, die bei vielen Deutschen herrscht, überhaupt möglich, eine sachliche Debatte über den Islam zu führen? SCHLICHT: Ansätze gibt es. Es gibt immer wieder Menschen, die bereit sind, auf verschiede- ne Nuancen einzugehen. In der breiten Bevölkerun­g ist es aber immer etwas schwierig, so etwas wie das Attentat vom Breitschei­dplatz macht eine sachliche Debatte schwer. Aber nur weil Menschen aufgrund von Terroransc­hlägen, Straftaten kriminelle­r Familiencl­ans oder radikaler Aussagen Vorbehalte gegenüber dem Islam haben, ist das nicht gleich Ausdruck von Islam feindlichk­eit. Es ist auch falsch, zusagen, das alles hätte nichts mit dem Islam zu tun. Ein bisschen mehr Offenheit würde guttun. FRAGE: Aber werden Muslime, die sich ohnehin schon ausgegrenz­t fühlen, dadurch und durch Seehofers Aussage nicht noch mehr aus der Gesellscha­ft gedrängt? SCHLICHT: Das kann durchaus sein. Aber diejenigen, die schon heute in Parallel gesellscha­ften leben, nehmen so etwas gar nicht wahr. Die lesen nicht die Zeitungen, die wir lesen. Die leben ohnehin weit entfernt von uns. Aber natürliche würde man den wohlmeinen­den und gutwillige­n Muslimen ein besseres Signal geben, wenn man ihnen sagt: Wir sind bei euch, und wir wollen mit euch dieses Land gestalten.

Alfred Schlicht: Gehört der Islam zu Deutschlan­d?, Orell Füssli, 232 Seiten, 19,95 Euro.

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