Scharfe Verurteilung – aber keine Sanktionen
EU-Außenminister stellen sich hinter London, ver5ichten allerdings auf Verurteilung Moskaus
BRÜSSEL – So scharf formulieren die Außenminister der Gemeinschaft wahrlich nicht oft. Aber der Giftanschlag vom 4. März in Großbritannien erschüttert Europa. Und so versicherten die Chefdiplomaten ohne lange Diskussion den Briten ihre „uneingeschränkte Solidarität“. Die EU sei „schockiert“über den „ersten offenen Einsatz“eines militärischen Nervengifts „auf europäischem Boden seit mehr als 70 Jahren“heißt es in einer Erklärung, die am Montag verabschiedet wurde.
Bei der Frage der Urheberschaft blieben die Außenamtschefs aber zurückhaltend schwammig. Man nehme die Einschätzung Großbritanniens sehr ernst, dass höchstwahrscheinlich Russland für den Anschlag verantwortlich sei, formulierten sie. „Alle Informationen, die wir haben,
deuten darauf hin, dass es keine alternative plausible Erklärung dafür gibt, dass auch hier eine Mitverantwortung der russischen Seite besteht“, betonte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) in Brüssel. Sollte Großbritannien als Reaktion auf den Anschlag Sanktionen fordern, würden diese in der EU diskutiert.
Doch dazu kam es nicht. Zwar erregte sich der britische Außenminister Boris Johnson heftig über das Verhalten Moskaus: „Die russischen Dementis werden immer absurder.“Erst gäben die Russen an, sie hätten den Kampfstoff Nowitschok nie produziert. Dann heiße es, man habe ihn produziert, aber alle Bestände vernichtet. Und schließlich betone Moskau, dass Teile des Giftes nach Schweden, Tschechien, in die Slowakei, die USA sowie Großbritannien gelangt seien. „Das ist die russische Strategie, einen Funken Wahrheit in einem Haufen von Lügen und Vernebelung zu verstecken“, schimpfte Johnson.
Tatsächlich rüstete aber auch der Londoner Minister verbal ab. Die britische Regierung will ebenso wie die übrige EU die Untersuchung der Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag abwarten. Deren Spezialisten trafen am Montag in Salisbury ein. Normalerweise, so hatten Fachleute vorab betont, habe jedes Nervengift so etwas wie einen Fingerabdruck, mit dem zweifelsfrei geklärt werden könne, woher es stammt. Doch in Brüssel wachsen auch erste Zweifel. Zu deutlich habe sich Russlands Präsident Wladimir Putin nach seiner Wahl geäußert: Die erhobenen Vorwürfe seien „Blödsinn“.
Ob die Fachleute und Sicherheitsbehörden tatsächlich schnell mit Ergebnissen zur politischen Entspannung oder Eskalation beitragen können, gilt als keineswegs sicher. Hochrangige Mitarbeiter der britischen Polizeibehörde Scotland Yard sagten am Montag, es könne Monate dauern, bis zweifelsfrei feststehe, wer für den Anschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia stecke. Und auch die Untersuchungen des Nervengiftes sei „keine Frage von wenigen Tagen“. So bleibt noch unklar, wie sich die Staatsund Regierungschefs der EU positionieren werden, wenn sie Ende dieser Woche in Brüssel zu ihrem Gipfeltreffen zusammenkommen. Die Beziehungen zur Moskau stehen auf der Tagesordnung.