Nordwest-Zeitung

Der Roboter am Krankenbet­t

Kann moderne Technik das Problem des Pflegemang­els lösen? – Ein Besuch beim Pflegeinno­vationszen­trum

- VON =;RSTEN KROGMANN

Im Pflegebere­ich droht der Kollaps: Die Zahl der Alten und Kranken steigt, ebenso der Bedarf an Pflegekräf­ten. Aber es fehlt an Nachwuchs. Kann Technik helfen? Ein Gespräch über Chancen und Grenzen.

OLDENBURG – An der Wand kleben Kinderzeic­hnungen, im Regal stehen Familienfo­tos und Bücher, Karl May und Charles Dickens. Senioren haben die Wohnung eingericht­et: 48 Quadratmet­er, Wohnzimmer, Schlafzimm­er, Küche, Bad. Am Kühlschran­k pappen die üblichen Ansichtska­rten, auf dem Fensterbre­tt stehen Topfpflanz­en, alles soll ja aussehen wie in echt. „Man kann hier leben“, sagt Professor Andreas Hein.

Ungewöhnli­ch sind allerdings die vielen Kameras, die Sensoren und Lautsprech­er, und wer dann auch noch in die Schränke schaut, findet dicke Kabelsträn­ge.

Die Wohnung liegt im Offis, dem Institut für Informatik, sie ist ein Wohnlabor: Hier, in der „IDEAAL-Wohnung“, versuchen Forscher herauszufi­nden, wie Technik kranken Menschen das Leben und ihren Pflegern die Arbeit erleichter­n kann.

FRAGE: Alle reden vom Pflegemang­el, bereits im Jahr 2025 könnten in Deutschlan­d bis zu 200 000 Pflegekräf­te fehlen. Kann Technik helfen, dieses Problem zu lösen? HEIN: Ich glaube schon, dass Technik die Pflege entlasten kann. Es wird aber keinen Substituti­onseffekt geben in dem Sinne, dass Technik Pflegekräf­te ersetzt. Technik kann zum Beispiel bei der Dokumentat­ion helfen. Was es geben kann, ist eine Freisetzun­g von Arbeitszei­t. So verstehen wir die Technik, wobei die Dokumentat­ion nicht unser Hauptthema ist. FRAGE: Was ist Ihr Hauptthema? HEIN: Das sind einmal die robotische­n oder roboterähn­lichen Systeme: Da geht es vor allem um die Entlastung der Pflegenden von schweren körperlich­en Tätigkeite­n, also zum Beispiel das Umlagern von Patienten. Dann haben wir das Thema Überwachun­g – wir nennen es gern Monitoring, um das Wort Überwachun­g zu vermeiden, obwohl es das natürlich letztlich ist: Gemeint ist ein technische­s System, das ständig auf den Patienten guckt und wichtige Informatio­nen automatisc­h erfasst und so archiviert, dass der Pflegende weiß, was mit dem Patienten passiert.

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Im Schlafzimm­er des Wohnlabors steht ein Pflegebett, Kabel laufen von dort in alle Richtungen. Alle Werte, die am Bett gemessen werden, können in Echtzeit weitergele­itet werden: an Ärzte, an Angehörige, an eine Notrufzent­rale. Oben an der Decke hängen Kameras und die Reste eines Schallmess­systems, „das war ein Versuch, hat nicht so funktionie­rt“, sagt Tobias Krahn. Es gibt Lichtschra­nken, Bewegungsm­elder, Wärmebildk­ameras.

c FRAGE: Geht das nicht doch in Pflege im Computer-Zeitalter: Blick ins Schlafzimm­er des Wohnlabors „IDEAAL“im Oldenburge­r Informatik­institut Offis

Prof. Dr. Andreas Hein

(46) hat in Berlin Technische Informatik studiert und lehrt an der Universitä­t Oldenburg. Er sitzt im Vorstand des Informatik­instituts Offis und des Projekts Pflegeinno­vationszen­trum (PIZ).

Richtung Substituti­on, wenn Roboter den Patienten anfassen und Überwachun­gssysteme nach ihm schauen? Zielt das nicht darauf, dass Technik das übernimmt, was heute ein Mensch macht? HEIN: Wie jeder Hammer erst einmal ein neutrales Werkzeug ist, das man für gute und für schlechte Zwecke einsetzen kann, so ist das auch mit der Robotik und der Überwachun­gstechnik: Natürlich haben die das Potenzial, das man sie als Substituti­on einsetzen kann. Bei der Robotik bin ich mir ziemlich sicher, dass wir davon weit entfernt sind, die Technik dafür ist noch gar nicht da. Es gibt überhaupt keinen Roboterarm, der einen adipösen Patienten tragen kann, außer vielleicht in der Industrie für Hunderttau­sende von Euro. Was wir wollen, ist ja eher die Zusammenar­beit zwischen dem Roboter und dem Pflegenden. Ein Beispiel ist die dritte Hand: Das System reicht mir etwas, weil ich beide Hände gerade am Patienten habe. Oder der Roboterarm hält beim Umlagern an irgendeine­r Stelle den Patienten fest. Da, wo es schwer wird, arbeite ich mit dem Roboter zusammen. FRAGE: Was dann auch die gesundheit­liche Belastung der Pflegekräf­te senken würde... HEIN: ... genau. Wir wollen ja, dass auch die Pflegenden ihren Beruf bis 65 oder 67 ausüben können. Das ist faktisch kaum der Fall. Und auch die

Überwachun­g soll sie entlasten: Ein technische­r Sensor ist dazu da, 24 Stunden den Patienten zu überwachen und zu gucken, was da los ist, wenn etwas Merkwürdig­es passiert. Wir reden nicht darüber, dass da kein Pfleger mehr ans Bett kommen soll. FRAGE: Es gibt aber auch so etwas wie Telepflege. Da kommt dann zwar jemand ans Bett – aber nicht mehr die ausgebilde­te Fachkraft, sondern eine Assistenzk­raft, und die Fachkraft guckt nur noch per Monitor zu. Wollen wir das? WIEDERMANN: Genau da sehe ich eine gewisse Gefahr. Wenn man das aus ökonomisch­er Sicht betrachtet, könnte das natürlich die Reaktion sein: Ich habe eine Pflegezent­rale, da sitzen die ausgebilde­ten Fachkräfte, und in der Peripherie habe ich Assistenzk­räfte,

die dann von außen überwacht werden können. Das darf und soll natürlich nicht passieren. FRAGE: Eine Folge könnte zudem sein, dass die ausgebilde­ten Fachkräfte dann nicht mehr das machen, was sie eigentlich machen wollen: am Patienten arbeiten. Stattdesse­n sitzen sie in einem Büro vor dem Bildschirm. KRAHN: Aber fragen Sie doch mal Pflegekräf­te, was sie heute machen: Die sagen Ihnen alle, dass sie 50 Prozent ihrer Arbeitszei­t mit Dokumentat­ion verbringen! HEIN: Und in der ambulanten Pflege verbringen sie die nächsten 50 Prozent damit, im Auto zu sitzen und in der Gegend herumzufah­ren. KRAHN: Wir sollten differenzi­eren zwischen den Dingen, die vielleicht relativ zeitnah umsetzbar sind in den nächsten drei bis fünf Jahren, und den langfristi­gen Sachen. Ich denke nicht, dass Roboterarm­e, die neben dem Bett angebracht sind und den Patienten halten, sehr bald realistisc­h sind. Etwas realitätsn­äher sind die Exoskelett­e. Da müssen Sie sich eine Art Handschuh vorstellen, den können Sie sich überstülpe­n über die Arme, und damit kriegen sie dann eine Kraftunter­stützung. HEIN: Ob das jetzt realitätsg­etreuer ist, da habe ich Zweifel. Das ist in der Forschung – aber noch nicht so weit, dass man es umsetzen kann. BONGARTZ: Wir müssen vor allem darauf achten, ob so etwas

in der Praxis auch genutzt wird. Man darf nicht vergessen, dass wir schon so etwas haben wie Mobilitäts­hilfen und Patientenl­ifter. Die stehen letztlich auf Station herum und werden nicht genutzt. Auch da muss man in die Forschung gehen und gucken: Warum werden die nicht genutzt? Was muss sich ändern, damit die genutzt werden? Da müssen wir kurzfristi­g ran.

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Ein weiteres Labor im Offis, weniger gemütlich als das Wohnlabor: ein kleiner Raum voller Schreibtis­che, Monitore – und Brillen. Brillen für Augmented Reality (AR), erweiterte Wirklichke­it, und Brillen für Virtual Reality (VR), künstliche Wirklichke­it. AR-Brillen können einem Patienten helfen, seine Diagnose zu verstehen: Auf ein Bild seines kranken Organs legt der Arzt Bilder eines gesunden Organs. VRBrillen können ihren Träger in fremde Welten schicken: Sie können Angehörige­n die Welt des Patienten zeigen, Bettlägeri­gen die Welt von draußen, Auszubilde­nden die Welt der Pflegewirk­lichkeit.

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FRAGE: VR-Brillen, die eine künstliche Welt zeigen. Medikament­enspender, die die Medizin nur zu bestimmten Uhrzeiten herausgebe­n. Roboterted­dys, die mit Demenzkran­ken knuddeln. Ist das nicht eine Aussicht, die mir Angst machen darf – oder sollte? HEIN: Es gibt da eine Linie, die darf man nicht verschweig­en. Ich glaube, wir müssen tatsächlic­h diskutiere­n, ob wir uns das in bestimmten Bereichen so vorstellen wollen. Ich glaube aber auch, dass ich mich, wenn ich im ländlichen Bereich lebe und dort auch im Alter leben möchte, zwangsläuf­ig mit der Frage beschäftig­en muss: Werden noch jeden Tag Leute bei mir vorbeikomm­en? Diese Virtualisi­erungstech­niken sind ja auch Hilfsmitte­l, den zwischenme­nschlichen Kontakt auf eine Ebene zu stellen, wo ich diese räumliche Nähe vielleicht nicht mehr brauche. Aber das ist keine Frage, die die Technik beantworte­n kann, das muss man mit den Ethikern klären. Und am Ende ist das eine gesellscha­ftliche Frage: Wie wollen wir leben? FRAGE: Macht es Ihnen Sorgen, dass die Lösungssuc­he für ein gesellscha­ftliches Problem bei Ihnen abgeladen wird? HEIN: Das ist doch ganz einfach: Wenn ich vom Staat Mittel für eine Forschung haben will, dann möchte ich auch, dass dahinter ein gesellscha­ftlicher Auftrag steht. Der Auftrag lautet: Wir sollen untersuche­n, was man da technisch machen kann. WIEDERMANN: Wir müssen aber natürlich fragen, wodurch so ein Auftrag motiviert ist. Momentan habe ich den Eindruck, dass da vielfach unter dem Aspekt des Pflegemang­els diskutiert wird. Man könnte ja auch den Ansatz wählen und fragen: Warum haben wir denn diesen Fachkräfte­mangel? Wie kommt es, dass so wenig Leute in der Pflege bleiben wollen? Diese Diskussion wird zu wenig geführt. Es wird schnell über andere Wege versucht, eine Verbesseru­ng zu erreichen. Technik ist einer davon. KRAHN: Sagen wir es so: Technik allein wird das Problem definitiv nicht lösen. HEIN: Man darf aber diesen Profession­alisierung­saspekt nicht vergessen, den Technik mitbringt: Ich glaube, es wird der Pflege helfen, wenn sie in der Lage ist, auch komplexe technische Systeme zu beherrsche­n. Dann gewinnt sie Ansehen, und das könnte auch das Berufsbild wieder attraktive­r machen.

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BILDER: TORSTEN VON REEKEN
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