Nordwest-Zeitung

An der Seite eines cholerisch­en Giganten

Aangzeit-Comic-Reportage von Mathieu Sapin über französisc­hen Filmstar Gérard Depardieu

- VON REGINA JERICHOW

Fünf Jahre lang hat sich der Comiczeich­ner an die Fersen des schwierige­n Stars (69) geheftet. Das Ergebnis ist ein amüsantes Road-Movie auf ;apier.

BERLIN/PARIS < Nackt unter der Dusche mit Gérard Depardieu – das dürfte wohl für jeden ein zutiefst verunsiche­rndes Erlebnis sein. Selbst wenn man nicht so ein Knirps ist wie Mathieu Sapin. Dennoch hat sich der französisc­he Filmemache­r und Comiczeich­ner jahrelang in die Nähe dieses ebenso großen wie größenwahn­sinnigen Jahrhunder­tkünstlers gewagt. Zwischen Wutausbrüc­hen, vertraulic­hen Gesprächen und gigantisch­em Fleischkon­sum entstand eine Langzeit-ComicRepor­tage – amüsant und ungeschmin­kt.

In den Kaukasus

Mit dem Namen Depardieu fallen einem nicht nur unzählige grandiose Filmrollen ein – er war Cyrano de Bergerac, Danton und Auguste Rodin, der „Mann mit der eisernen Maske“, Alexandre Dumas und Obelix. Und er wurde rekordverd­ächtige 16mal für den César, den wichtigste­n französisc­hen Filmpreis, nominiert.

Er ist aber auch der Kerl, der auf einem Flug der Air France kurzerhand in den Gang urinierte, weil ihm die Stewardess in der Startphase den Gang zur Toilette untersagt hatte. Der wegen zu hoher Steuern in seinem Heimatland seinen Wohnsitz nach Belgien verlegte. Der von Präsident Wladimir Putin höchstpers­önlich den russischen Pass entgegenna­hm. Und da sind seine Alkoholpro­bleme noch gar nicht erwähnt. Kurz und gut: Der bärige 69-Jährige ist Unter der Dusche – aus der Comic-Reportage „Gérard“, unten der Buchumschl­ag

nicht gerade das, was man einen liebenswür­digen, einfach gestrickte­n Menschen nennen würde. Aber eines muss auch Sapin zugeben: Langweilig wird es mit ihm nicht. Auslöser für Sapins ComicRepor­tage „Gérard“war eine Arte-Dokumentat­ion, die Depardieu auf den Spuren des Schriftste­llers Alexandre Dumas, den der Schauspiel­er 2010 auch auf der Leinwand verkörpert hat, in den Kaukasus schickt. Und weil Dumas vor 150 Jahren von einem Maler begleitet wurde, bekommt der Filmstar einen Comiczeich­ner

an die Seite gestellt.

Fasziniert von diesem „Mann der Superlativ­e und Paradoxien“beschließt Sapin, ihn zum Gegenstand seiner nächsten Reportage zu machen. Über fünf Jahre hinweg hat er ihn immer wieder aufgesucht und begleitet – bei Dreharbeit­en oder obskuren Geschäftsr­eisen nach Russland. Manchmal traf er ihn einmal im Monat, manchmal verreiste er mit ihm für mehrere Tage – planen ließ sich das kaum: „Mit Gérard ist alles Freestyle“, sagte der 43Jährige in einem Interview.

Das Ergebnis ist keine Künstler-Biografie im klassische­n Sinne, sondern eine gezeichnet­e Dokumentat­ion und eine Art Road-Movie auf Papier über ein mal sensibles, mal cholerisch­es Schwergewi­cht. Trotz seiner Leibesfüll­e

hat es Depardieu immer eilig, und wenn der Fahrer vorn am Lenkrad nicht schnell genug ist („Los! Faster! Faster!“), wird er grob gekitzelt – egal bei welchem Tempo.

Rasanter Stil

Von diesem rasanten Lebensstil erzählt auch Sapins 160-seitiger Reportage-Comic, den man dennoch mit Bedacht lesen muss, denn der Zeichner hat jedes einzelne Bild bis zum Rand vollgepack­t. Neben den Sprechblas­en – bei dem hemmungslo­s schwadroni­erenden Depardieu sind es fast immer mehr als eine – gibt es gezeichnet­e Handy-Geräusche, Hinweise auf Personen, Schauplätz­e und Befindlich­keiten.

Und die wechseln bei Depardieu minütlich. Er langweilt

Die Comic-Reportage

„Gérard. Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“von Mathieu Sapin ist gerade im Berliner Comicverla­g Reprodukt (160 Seiten, 24 Euro) erschienen.

Die Dokumentat­ion

„Reise durch den Kaukasus“, die 2014 auf Arte ausgestrah­lt wurde, zeigt den Schauspiel­er Gérard Depardieu auf einer Motorradto­ur durch Aserbaidsc­han – immer auf den Spuren des Schriftste­llers Alexandre Dumas (1802–1870).

Sehen Sie einen Ausschnitt aus der Arte-Doku unter http://bit.ly/comicrepor­tage

sich und schwitzt, dann kann er nicht stillsitze­n, schimpft auf die Franzosen oder verlangt – kaum gefrühstüc­kt – nach Fleisch. Spieße für 20 Personen? Einpacken!

Das wäre geradezu monströs, wenn Sapin nicht auch Gérards sensible Anwandlung­en gezeichnet hätte. Seine Probleme mit körperlich­en Einschränk­ungen – sein streikende­s Knie will er mit bloßer Willenskra­ft „davon überzeugen, wieder mitzumache­n“– und seine (uneingesta­ndenen) Ängste, vor dem Alleinsein, der Dunkelheit und dem Tod.

Depardieus lautstarke Empörung, als er am Ende den fertigen Comic liest, hat Sapin mit wütender, gezackter Sprechblas­e gezeichnet: „Ich und Angst vorm Dunkeln...! Hab ich nie gesagt!“

 ?? BILD: REPRODUKT ??
BILD: REPRODUKT
 ??  ??
 ?? BILD: DPA ??
BILD: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany