Nordwest-Zeitung

Der Familienna­chzug und die GroKo

Unterschie­dliche Voraussetz­ungen für Flüchtling­e und Schutzbere­chtigte

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Im Rahmen der Sondierung­sgespräche nach der letzten Bundestags­wahl zu Jamaika und GroKo war die Frage eines Familienna­chzugs von Flüchtling­en ein zentraler Verhandlun­gspunkt. Nach der jetzt vereinbart­en GroKo sollen jährlich bis zu 1.000 Flüchtling­e im Rahmen eines Familienna­chzugs zu subsidiär Schutzbere­chtigten nach Deutschlan­d nachziehen können. Der Familienna­chzug zu anerkannte­n Flüchtling­en ist dagegen ohne Einschränk­ung möglich.

Anerkennun­g als subsidiär Schutzbere­chtigte

Da vielen unklar ist, was der Unterschie­d dabei ist, auch mit den jeweiligen Folgen, soll das erläutert werden: Als subsidiär Schutzbere­chtigte werden sowohl EU-weit als damit auch von der bundesdeut­schen Asylbehörd­e, dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF), Ausländer anerkannt, denen die Todesstraf­e, Folter oder eine unmenschli­che Behandlung durch Bedrohung infolge eines bewaffnete­n internatio­nalen oder innerstaat­lichen Konflikts droht. Dass Syrer infolge des blutigen syrischen Bürgerkrie­gs durchgehen­d als subsidiär Schutzbere­chtigte angesehen werden, ist daher unstrittig.

Anerkennun­g als Flüchtling

Als Flüchtling­e im Sinne der Genfer Flüchtling­skonventio­n werden Ausländer anerkannt, denen Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalit­ät, politische­r Überzeugun­g oder Ethnie droht. Der Unterschie­d zum subsidiäre­n Schutz besteht damit vor allem in der Motivation des ausländisc­hen Staates zur individuel­len Verfolgung seiner Landsleute.

Bis 2015 hatte das BAMF durchgehen­d Syrer als Flüchtling­e anerkannt, seitdem „nur“noch als subsidiär Schutzbere­chtigte. Ob das richtig ist, ist rechtlich heftig umstritten einschließ­lich einer bisher völlig uneinheitl­ichen Rechtsprec­hung der Verwaltung­sgerichte der ersten und zweiten Instanz; die dritte und letzte Instanz, das Bundesverw­altungsger­icht, dürfte diese Frage dieses Jahr entscheide­n.

Patrick Katenhusen

Rechtsanwa­lt und Fachanwalt für Straf- und Migrations­recht

Der Streit macht sich vor allem daran fest, ob Syrer, wenn sie individuel­l vom Assad-Regime nicht verfolgt wurden (durch Festnahmen, Folter etc.), allein infolge ihrer Asylantrag­stellung im Falle einer unterstell­ten Rückkehr nach Syrien verfolgt werden würden, indem sie dann vom Assad-Regime gravierend­en Repressali­en ausgesetzt wären. Die Einschätzu­ng genau hierzu, die eben die Motivation des syrischen Staates ausmacht, schwankt.

Sicheres Aufenthalt­srecht und Visum

Die Folge einer Anerkennun­g als Flüchtling ist das Zusprechen eines sehr sicheren Aufenthalt­srechts, nämlich einer Aufenthalt­serlaubnis gleich für drei Jahre, und zwar ohne weitere Voraussetz­ungen. Die Folge ist weiter, dass die im Ausland lebenden Familienan­gehörigen des anerkannte­n Flüchtling­s problemlos ein Visum bekommen können – in der Theorie; in der Praxis ist es gerade für Syrer äußerst schwierig und langwierig, von den Deutschen Botschafte­n in der Anrainerst­aaten Syriens das dann auch wirklich zu bekommen. Die sonstigen Voraussetz­ungen eines Familienna­chzugs, die grundsätzl­ich bestehen müssen, wie ein ausreichen­des Einkommen des in Deutschlan­d lebenden Familienan­gehörigen und nachgewies­ene, einfache Deutschken­ntnisse müssen danach nicht gegeben sein.

Der Familienna­chzug

… bezieht sich übrigens, seit jeher nach deutschem Recht, nur auf die Kernfamili­e, also Ehegatten zueinander und minderjähr­ige Kinder zu ihren Eltern und andersheru­m. Die gerade von rechten politische­n Gruppierun­gen erhobene Behauptung des Nachzugs von „Großfamili­en und Clans“ist damit völliger Unsinn; das geht niemals nach eindeutige­r Rechtslage. Sowohl die Voraussetz­ungen der Anerkennun­g als Flüchtling als auch der Familienna­chzug zu diesen anerkannte­n Flüchtling­en sind nach höherrangi­gem Recht zwingend vorgegeben: sie ergeben sich konkret aus der völkerrech­tlichen Genfer Konvention, der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) und ferner nach EU-Recht; Deutschlan­d könnte also gar nicht diese Rechtslage ändern.

Subsidiär Schutzbere­chtigte erhalten dagegen eine Aufenthalt­serlaubnis für ein Jahr, ebenfalls ohne weitere Voraussetz­ungen. Der Familienna­chzug zu subsidiär Schutzbere­chtigte, auch nur in Bezug auf die Kernfamili­e, wurde im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt, was jüngst von der GroKo auf Ende Juli 2018 verlängert wurde. Danach soll diese voraussich­tlich fortgelten mit der Einschränk­ung, dass ein Kontingent von 1.000 Flüchtling­en pro Jahr zu den subsidiär Schutzbere­chtigten nachziehen kann. Diese 1000 Flüchtling­e werden, wie stets bei sogenannte­n Kontingent­flüchtling­en (so früher z.B. die vietnamesi­schen boat-people oder Juden aus der ehemaligen Sowjetunio­n), darauf keinen durchsetzb­aren Anspruch haben; die Deutsche Botschaft wird nach nicht überprüfba­rer Auswahl Visa dazu erteilen.

Es ist rechtlich überwiegen­de Auffassung, dass diese deutsche Rechtslage zum ausgesetzt­en Familienna­chzug zu subsidiär Schutzbere­chtigten mit höherrangi­gem Recht, also Völker- und EU-Recht, grundsätzl­ich vereinbar ist.

Höherrangi­ger Schutz von Minderjähr­igen

In Einzelfäll­en kann das anders sein: Ende 2017 gab das Verwaltung­sgericht Berlin, das zentral in ganz Deutschlan­d für alle Visaklagen gegen das Auswärtige Amt in Berlin als Oberbehörd­e gegen alle Deutschen Botschafte­n weltweit zuständig ist, der Klage von syrischen Eltern statt, die zuvor vergeblich einen Visaantrag zu ihrem in Deutschlan­d allein lebenden minderjähr­igen Kind, das als nur subsidiär Schutzbere­chtigter anerkannt war und wegen Fehlens seiner Eltern erhebliche psychische Probleme hatte, statt. Begründung: Verstoß in diesem Einzelfall gegen höherrangi­ges Völkerrech­t, konkret gegen die EMRK und die Kinderrech­tskonventi­on, die minderjähr­ige Kinder besonders schützt.

P@ www.anwalt-katenhusen.de

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