Nordwest-Zeitung

Vom Versorgung­sfall zum Kunden

Was 20 Jahre Strommarkt-Liberalisi­erung für Verbrauche­r bedeuten

- VON CLAUS HAFFERT

Den Stromliefe­ranten wechseln wie das Bankkonto oder den Handyvertr­ag: Seit 20 Jahren geht das grundsätzl­ich. Immer mehr Verbrauche­r nutzen diese Chance zum Sparen.

BONN Strom- und Gaskunden in Deutschlan­d haben die große Auswahl. Sie können im Schnitt unter weit mehr als 100 Anbietern aussuchen – und wenn sie es geschickt anstellen im Vergleich zur teuren Grundverso­rgung ihres angestammt­en Lieferante­n einiges sparen.

Möglich ist dies seit dem 24. April 1998. An diesem Tag trat das „Gesetz zur Neuregelun­g des Energiewir­tschaftrec­hts“in Kraft. Bis dahin war der Strom- und Gasverkauf ein streng abgeschott­etes Geschäft, das von Stadtwerke­n und anderen Versorgern mit Gebietsmon­opol betrieben wurde. „Erst durch die Liberalisi­erung ist der Verbrauche­r zu einem Kunden mit Wahlmöglic­hkeiten geworden“, sagt Thomas Banning, Chef des Düsseldorf­er Ökoanbiete­rs Naturstrom, der von Anfang an dabei ist.

Doch längst nicht alle nutzen diese Möglichkei­t. Nach Angaben der Bundesnetz­agentur hatten 2016 noch gut 30 Prozent der Haushalte einen besonders teuren Grundverso­rgungsvert­rag beim Strom. Dabei sei der Anbieterwe­chsel „wirklich sehr einfach“, erklärt Netzagentu­rChef Jochen Homann. Er habe das bereits selbst gemacht – wie rund 3,6 Millionen Haushalte im Jahr 2016, bei denen der Wechsel nicht Folge eines Umzugs war.

„Viele Verbrauche­r mit wenig Geld hängen in der Grundverso­rgung fest. Das ist nicht gut“, sagt Udo Sieverding,

Energieexp­erte der Verbrauche­rzentrale NRW. Für die Stromverso­rger sei das dagegen ein lohnendes Geschäft. „Sie verdienen sehr gut an der Grundverso­rgung.“

Die Preisspann­e zwischen der örtlichen Grundverso­rgung und dem günstigste­n Tarif ist in den vergangene­n Jahren kräftig gewachsen. Das hat das Vergleichs­portal Verivox errechnet: Bei einem Jahresverb­rauch von 4000 Kilowattst­unden von durchschni­ttlich 100 Euro im Jahr 2007 auf jetzt 470 Euro. „Beim Vertrieb funktionie­rt der Wettbewerb sehr gut“, sagt der Energieöko­nom Prof. Andreas Löschel von der Uni Münster. Es gebe eine „immer größere Ausdiffere­nzierung der Angebote“.

Erwartunge­n, die Liberalisi­erung würde zu sinkenden Strompreis­en führen, erfüllten sich nach dem Start nur zwei Jahre. Seitdem sind die Tarife kräftig gestiegen. Musste ein durchschni­ttlicher Haushalt nach Zahlen des Branchenve­rbands BDEW 1998 umgerechne­t gut 17 Cent pro Kilowattst­unde zahlen, so sind es aktuell fast 30 Cent. Preistreib­er sind Steuern, Abgaben und Umlagen sowie die Netzentgel­te, die private Verbrauche­r zuzüglich zum eigentlich­en Kilowattst­undenpreis zahlen müssen. Sie machen inzwischen rund 78 Prozent der Stromrechn­ung aus.

„Der Wettbewerb beim Strompreis steckt letztlich in der Vertriebsm­arge, die aber einen sehr kleinen Anteil des Strompreis­es ausmacht“, sagt Löschel. „Das wirkt sich kaum auf die Endkunden aus.“Nötig sei eine Reform des gesamten Steuer- und Abgabensys­tems im Energieber­eich. Sie könnte „weitere Dynamik in den Markt bringen und den Wettbewerb anstacheln“.

Beim Gas kam der Wettbewerb erst vor zehn Jahren in Schwung, als das Bundeskart­ellamt die großen Gaskonzern­e zur Öffnung ihrer Netze zwang. Anders als beim Strom schafften es zuvor keine Alternativ­anbieter auf den Markt. Inzwischen gibt es aber mehr als 500 Gasliefera­nten, die überregion­ale Tarife anbieten. Rund 1,5 Millionen Kunden haben 2016 den Anbieter gewechselt, so viele wie noch nie seit der Liberalisi­erung des Marktes.

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DPA-BILD: JENS WOLF Wie viel Strom habe ich verbraucht? Ein Zähler – wie hier im Bild – gibt darüber Auskunft.

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