Nordwest-Zeitung

Teure Wetten auf falsc&e Pferde

Deutschlan­ds Außenpolit­ik verliert die Orientieru­ng

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Man kann es kaum anders formuliere­n: Die deutsche Außenpolit­ik befindet sich in einem fundamenta­len Umbruch. Die alte Partnersch­aft mit den USA schwindet dahin, doch ein Alternativ­programm vermag Berlin nicht zu bieten. Es herrschen Wirrnis und Planlosigk­eit. Deutschlan­d, aber auch die Europäisch­e Union werden von den Ereignisse­n überrollt. Sie sind zum Ambos geworden. Den weltpoliti­schen Hammer stellen heute andere dar.

Nun kann man über die Handelspol­itik des US-Präsidente­n geteilter Meinung sein. Man kann auch die amerikanis­che Iran-Politik ablehnen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Reaktionen der deutschen Politik voller unlösbarer Widersprüc­he sind.

Über den Zoll-Disput sollte man sich ja mit den Amerikaner­n einigen können. Die Chinesen machen zurzeit vor, wie man das angeht. Sie haben einerseits ihren stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten als Sonderemis­sär nach Washington geschickt und werben anderersei­ts bei den Europäern um Unterstütz­ung. Bundeskanz­lerin Angela Merkel sollte sich allerdings hüten, der Versuchung nachzugebe­n, sich als Verbündete Chinas rekrutiere­n zu lassen. Wie sehr sich Deutschlan­d und die USA inzwischen entfremdet haben, zeigt schon allein das Auftreten einer solchen Konstellat­ion: Noch vor wenigen Jahren war selbst der Gedanke an eine chinesisch­deutsche Front gegen die Amerikaner völlig absurd. Heute ist das mindestens eine theoretisc­he Möglichkei­t.

Was bei Zöllen noch vermieden werden kann, ist in der Sicherheit­s- und Orientpoli­tik bereits geschehen: Deutschlan­d und Europa haben mit hohem Einsatz auf das falsche Pferd gesetzt. Man mag den Ausstieg der Amerikaner aus dem Iran-Deal für falsch halten, doch sollten Reaktionen auf solche Entscheidu­ng doch immer Resultat einer politische­n Kostenabwä­gung sein. Im Falle des Iran-Deals gab es die nicht.

Für ein zeitlich begrenztes Abkommen, das den iranischen Griff nach der Bombe

nur verzögert, das weder das Raketenpro­gramm noch den iranischen Staatsterr­orismus umfasst und das Teheran durch das Ende von Sanktionen Mittel für eben diese Programme beschert, hat Berlin das Verhältnis zu Washington beschädigt. Wie anders soll man es nennen, wenn sich die deutsche Regierung gegen den traditione­llen Verbündete­n auf die Seite eines zweifelhaf­ten Regimes stellt? Außenminis­ter Heiko Maas hat das grade in Washington erfahren. „Teheran statt Washington“ist dabei angesichts der Natur dieser beiden Länder eine offenkundi­g absurde Wahl.

Gleichzeit­ig legt sich Deutschlan­d zudem damit mit Russland, einem engen Verbündete­n Irans und dessen strategisc­hem Partner in Syrien, ins Bett. Anderersei­ts betrachtet man Russland in Berlin aber inzwischen wieder als militärisc­he Bedrohung. Gegen diese könnte sich Deutschlan­d angesichts der abgewirtsc­hafteten Bundeswehr nicht einmal gemeinsam mit den Europäern verteidige­n. Niemand sollte zudem glauben, dass die Wahl „Teheran statt Washington“sich nicht auch auf andere Aspekte des deutsch-amerikanis­chen Verhältnis­ses auswirkt, das gilt auch für den Zusammenha­lt der Nato.

Merkel führt Deutschlan­d offenkundi­g in eine außenpolit­ische Schaukelpa­rtie mit wechselnde­n, zeitweilig­en Partnern. Als Anker setzt sie auf eine gemeinsame europäisch­e Außenpolit­ik. Die allerdings existiert nicht. Länder wie Frankreich und Italien werden sich in Zukunft derartige

Unterstütz­ung mit Zugeständn­issen bei der Stabilität­sund Währungspo­litik bezahlen lassen. Mit kleineren Partnern, wie Ungarn oder Tschechien, liegt Berlin in der Einwanderu­ngsfrage heillos über Kreuz.

Das transatlan­tische Zerwürfnis nehmen natürlich auch Deutschlan­ds neue Freunde in Teheran wahr – und schrauben den Preis für ihr Wohlverhal­ten massiv in die Höhe. In der Nacht zum Donnerstag machte das Irans Oberster Führer Ali Khamenei

auf Twitter völlig klar: Die Europäer müssten sich den US-Sanktionen mit aller Kraft widersetze­n. Ihre Banken müssten alle Transaktio­nen in den Iran ausführen, und die Europäer sollten dafür sorgen, dass iranisches Öl vollständi­g verkauft wird. Zudem: Keine Kritik am Raketenpro­gramm und der Unterstütz­ung von Terrororga­nisationen. Sollte das nicht geschehen, würde der Iran „eingestell­te Aktivitäte­n“wieder aufnehmen, also wieder an Atomwaffen basteln.

Fazit: Berlin riskiert seine transatlan­tische Bindung, hat aber im Moment keine realistisc­hen alternativ­en Optionen. Das birgt die Gefahr von Isolation und letztlich Instabilit­ät. Die scheinbare „Emanzipati­on“von Washington, die so manchem deutschen Antiamerik­aner von Links wie Rechts gefallen dürfte, produziert daher unkalkulie­rbare außen- und sicherheit­spolitisch­e Risiken für Deutschlan­d.

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DPA-BILD: HARNIK Kühler Händedruck: Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD, links) und sein US-Kollege Mike Pompeo
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Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Der 47-Jährige schreibt für diese Zeitung über deutsche und internatio­nale Politik. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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