Nordwest-Zeitung

Ein Tag im Leben eines Pflege-Azubis

Darum hat sich Kevin Groth aus Varel für diesen Beruf entschiede­n

- VON MANUELA WOLBERS

Was gehört zur Ausbildung in der Altenpfleg­e dazu? Ð-Mitarbeite­rin Manuela Wolbers hat den Auszubilde­nden Kevin Groth einen Tag bei seiner Arbeit begleitet.

OID:NBURV Morgens um halb sieben beginnt die Schicht von Kevin Groth und seinen Kolleginne­n. In der frühen Runde ist er heute der einzige Mann. Meistens schlafe ich um die Zeit noch, doch heute verbringe ich einen Arbeitstag mit Kevin, 23 Jahre, aus Varel und Auszubilde­nder beim Oldenburge­r Alten- und Pflegeheim Marienhort.

Los geht es mit der Übergabe. Die Runde bespricht, wie die Nacht war und was am Tag wichtig wird. Jeder bekommt ein Diensthand­y. Damit kann man nicht nur telefonier­en, sondern auch sehen, wenn ein Bewohner klingelt. Auf der Stecktafel des Wohnbereic­hs sind die Namen der Bewohner den Namen der Mitarbeite­r zugeordnet. So weiß jeder, wer für wen zuständig ist.

Dann ziehen wir Schutzkitt­el über und Kevin holt den Pflegewage­n. Da ist alles drauf, was wir brauchen: Wäscheund Müllsäcke, Handschuhe und Desinfekti­onsmittel. Das werde ich heute noch sehr häufig benutzen. Auf geht es zum ersten Bewohner.

Vut gelaunt in den Tag

Ein gut gelauntes „Guten Morgen“schallt uns entgegen. Schnell werden Augentropf­en verabreich­t, dann geht es ins Bad. Kevin hilft, wo es nötig ist.

„Wie geht es Ihnen heute?“Das ist eine der ersten Fragen in jedem Zimmer. Während der Mann sich die Zähne putzt, zeigt Kevin mir, wie er die Betten macht. Das ist heute meine Aufgabe. Im Badezimmer schnacken die beiden munter weiter. „Bin ich der Erste?“, fragt der Bewohner. „Ja, bei mir sind Sie immer der Erste. Ich weiß doch, dass Sie früh wach sind“, antwortet Kevin. Da kommt Freude auf und das fröhliche Gespräch geht weiter.

Nach dem Waschen und Anziehen geht es für den Herrn zum Frühstück und für uns ins nächste Zimmer. Der Bewohner ist schon auf und Kevin hilft bei der Morgentoil­ette. Dann piept das Handy. Jemand hat geklingelt und während der Bewohner seine Zähne putzt, gehen wir nachschaue­n, was los ist. Da sich eine Kollegin bereits gekümmert hat, können wir schnell wieder zurück. Kevin unterstütz­t beim Anziehen, manches klappt auch allein. Bei den Hemdknöpfe­n wird es schwierige­r und der Mann hektisch. „Alles gut“, sagt Kevin, „Sie brauchen die Zeit. Kein Stress.“Der Bewohner wird ruhiger und schafft es, fast alle Knöpfe selber zuzumachen. „Sehr gut“, freut sich Kevin. „Man muss den Leuten Ruhe geben“, sagt er später. Das schafft er auch. Denn obwohl er einige Patienten zu versorgen hat und zügig arbeitet, nimmt er sich ausreichen­d Zeit.

Kevin hat vor seiner Ausbildung drei Jahre als Pflegeassi­stent im Marienhort gearbeitet. Nun ist der Vareler auf dem Weg zur examiniert­en Fachkraft. Im ersten Aus-

bildungsja­hr arbeiten die Auszubilde­nden in ihrer Vertragsei­nrichtung, wenn sie nicht in der Schule sind. Über mehrere Wochen ist Kevin also im Marienhort oder in der evangelisc­hen Altenpfleg­eschule. „Ich fühl mich echt wohl hier“, sagt er. Im zweiten und dritten Ausbildung­sjahr arbeiten die Auszubilde­nden auch in anderen Einrichtun­gen. So lernen sie andere Pflegebere­iche kennen und haben nach der Ausbildung ein breitgefäc­hertes Wissen.

Zwischendu­rch kommen Mitarbeite­r der Schule und machen Hospitatio­nen. Die Schüler suchen einen Bewohner aus und zeigen ihr Können. Auch in der Schule gibt es praktische Übungen: etwa an Gerätschaf­ten wie Pflegebett­en oder mit Schülern und Puppen.

Persönlich­e Vorlieben

Die Frau im nächsten Zimmer schläft noch: „Dann lassen wir sie auch schlafen.“Ein paar Zimmer weiter ist die Bewohnerin bereits fertig und wartet gut gelaunt. Kurze Begrüßung, kurze Frage nach dem Befinden, schnell noch ein paar lobende Worte über Kevin – und schon ist die Dame zum Frühstück abgedampft. Für uns bleibt nicht viel zu tun, außer die Wäsche einzusamme­ln und das Bett zu machen. Den Dreh hab ich

mittlerwei­le raus. Aber: „Sie guckt nach dem Frühstück immer fern, da lege ich die Decke anders hin und sie kann sich gleich reinlegen.“Bei den meisten Bewohnern kennt er die kleinen und großen Vorlieben.

Manche Bewohner können allein in den Speisesaal zum Frühstück gehen, diejenigen, die im Rollstuhl sitzen, werden gebracht – heute mal von mir. Und dank der Hilfe der Bewohner finde ich den Weg dorthin auch auf Anhieb – ohne wäre ich wohl etwas aufgeschmi­ssen gewesen.

Beim Anziehen und Fertigmach­en achten die Pflegerinn­en, Pfleger und Auszubilde­nden auf alles – auch aufs Aussehen, etwa beim Haare kämmen und Kragen richten. Bei einigen Bewohnerin­nen darf ich sogar beim Anziehen helfen. Ich bin nicht ganz so schnell wie Kevin, stelle mich aber auch nicht ganz blöd an – immerhin. Bei der Pflege nimmt Kevin häufig mal eine Hand in seine, klopft auf Schultern oder streichelt über den Rücken. Der Kontakt zu den Bewohnern ist nie unpersönli­ch und Körperkont­akt sehr wichtig. Auch meine Hand wird an diesem Tag häufiger und auch ganz selbstvers­tändlich von Leuten genommen.

Mittlerwei­le ist es kurz vor zehn. Kevin ist mit seiner Runde fertig. Vor seiner Pause

fragt er die Kolleginne­n, ob sie noch Hilfe brauchen. Dann bringt er die Wäsche- und Müllsäcke weg und desinfizie­rt den Pflegewage­n, bevor auch der verstaut wird. Zum Schluss kommen unsere Schutzkitt­el ebenfalls in die Wäsche. „Die müssen nach der Pflege ausgetausc­ht werden.“Nach der Pause ziehen wir neue drüber. Den stressigst­en Teil, die morgendlic­he Pflege, haben wir hinter uns.

Im kleinen Hof genießen wir einen Kaffee und unser zweites Frühstück. Dabei stelle ich auch die übliche Frage: „Wieso hast du dich für deinen Beruf entschiede­n?“

Pflege statt Küche

Eigentlich wollte er Koch werden. Nach einem Praktikum war für ihn aber klar: „Das ist nichts für mich.“Seine Großmutter war und seine Mutter ist Altenpfleg­erin. Die beiden haben ihm empfohlen, ein Praktikum in der Pflege zu machen. Das hat er in einem Krankenhau­s gemacht – und war so begeistert, dass er gleich ein Freiwillig­es Soziales Jahr auf der Onkologies­tation gemacht hat. Einen Ausbildung­splatz hat er jedoch nicht bekommen. Also hat er sich für die Altenpfleg­e entschiede­n. „Damit hat man überall gute Chancen.“

Nach der Pause stehen erst einmal kleinere Aufgaben an,

wie Hilfe bei Toiletteng­ängen oder das Umlagern bettlägeri­ger Patienten. Und natürlich wird jederzeit auf das Klingeln von Bewohnern reagiert. Ich folge Kevin dabei die ganze Zeit wie ein Schatten. „Manchmal kommen wir mit der Arbeit kaum hinterher, manche Tage sind auch total ruhig“, erzählt Kevin, während wir durch die Gänge streifen. Heute ist eher ein ruhiger Tag.

Hilfe beim Mittagesse­n

Eine Aufgabe der Pfleger ist das Anreichen des Mittagesse­ns, bei Patienten, die bettlägeri­g sind und Hilfe dabei brauchen. Ob ich mir das zutrauen würde, fragt Kevin. Ich kann es ja mal probieren. Und es klappt auch ganz gut. Die ganz schön verschmitz­te Bewohnerin schwankt zwischen mithelfen und Späße treiben, am Ende ist aber der Teller leer und auch der Nachtisch verputzt. Unter Zeitdruck steht der 23-Jährige dabei nicht. „Ich stelle mir immer vor, wie es mir an ihrer Stelle gehen würde und was ich mir wünschen würde.“Eine gute Eigenschaf­t, wenn jemand jeden Tag so eng mit Menschen arbeitet.

Eine Frage, die zumindest mich sehr umtreibt, ist, wie Altenpfleg­er mit dem allgegenwä­rtigen Thema Tod umgehen. Ich stammele schon beim Formuliere­n der Frage ziemlich rum. Kevin sieht das aber recht gelassen: „Es nimmt mich nicht so mit. Man muss versuchen, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen.“In der Altenpfleg­eAusbildun­g wird das Thema Sterben und Tod auch behandelt. Für den Fall, dass Auszubilde­nde oder Pfleger daran zu knabbern haben, stehen auch die Kollegen bereit. „Wir können uns immer an jemanden wenden, wenn wir über etwas sprechen wollen.“

Zum Ende seiner Schicht muss Kevin noch eintragen, dass er bei jedem Bewohner alles Notwendige erledigt hat und ob irgendetwa­s Besonderes passiert ist. Um halb zwei ist seine – heute unsere – Schicht zu Ende. Für mich ging der Tag sehr schnell rum. Und ich habe gelernt: Auch wenn es nur der erste Tag ist – auch Anfänger können schon eine ganze Menge leisten.

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BILD: MANUELA WOLBERS Kevin Groth spricht mit der Bewohnerin Gertrud Radtke über ihren Tag. Bei aller Arbeit nimmt sich der 23-Jährige zwischendu­rch auch Zeit für Gespräche.

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