Nordwest-Zeitung

Letzter Vorhang – Kudamm-Bühnen vor Abriss

Eine Berliner Institutio­n verschwind­et – Autor Rolf Hochhuth nennt es einen „7kandal“

- VON NADA WEIGELT

BERLIN Der große Regisseur Max Reinhardt erfand hier in den 1920er Jahren das deutsche Unterhaltu­ngstheater. Später gehörten Bühnenstar­s wie Inge Meysel und Harald Juhnke, Katja Riemann und Otto Sander zum Stammperso­nal. Jetzt ist nach fast 100 Jahren Schluss. Die traditions­reichen Kudamm-Bühnen in Berlin werden abgerissen, sie müssen einem Shopping-Center weichen. Am 27. Mai fällt der letzte Vorhang.

„Unsere Familie ist seit drei Generation­en mit dem Gebäude verbunden. Wir sind sehr traurig, dass wir Abschied nehmen müssen“, sagt Theaterdir­ektor Martin Woelffer (54), der den Betrieb seit 15 Jahren führt. „Anderersei­ts sind wir froh, dass der Kampf endlich vorbei ist. Wir freuen uns auf die neuen Herausford­erungen.“

In einem mehr als zehnjährig­en hartnäckig­en Ringen haben die Woelffers einen Kompromiss erreicht, der zumindest ihr Überleben sichert.

Das Theater und die Komödie am Kurfürsten­damm ziehen für die kommenden drei bis vier Jahre in das Schillerth­eater, ebenfalls im Stadtteil Charlotten­burg. In dem neuen Shopping-Center an ihrem angestammt­en Platz entsteht ein neues Theater – die Familie wird maßgeblich an der Planung beteiligt.

Viele Berliner sind gleichwohl

tief enttäuscht. Autor Rolf Hochhuth (87) spricht von einem „Skandal“. Denn die beiden historisch­en Bühnen an der bekanntest­en Einkaufsun­d Flaniermei­le der Stadt gelten als der Inbegriff des alten West-Berlin. Sie wurden einst von dem jüdischen Architekte­n Oskar Kaufmann mit viel Plüsch, Gold und Liebe zum Detail geschaffen.

Doch seit 1990 wird das sogenannte Kudamm-Karree mit den beiden Bühnen zum Spekulatio­nsobjekt – ein Beispiel für die Immobilien­entwicklun­g vielerorts in der Stadt. Das zunehmend herunterge­kommene Areal wechselt für steigende Preise mehrfach den Besitzer, die Theater sind für den geplanten Neubau eines lukrativen City-Quartiers ein Klotz am Bein. Ihr Mietvertra­g wird gekündigt.

Erst Anfang 2017 kann Berlins neuer Kultursena­tor Klaus Lederer (Linke) nach Verhandlun­gen die Einigung mit dem aktuellen Besitzer Cells Bauwelt vermitteln. Die Enttäuschu­ng: Es wird nur noch ein Theater mit 650 Plätzen geben (bisher zusammen 1400); zudem liegt der Raum deutlich abgeschied­ener vom Publikumss­trom in einem Kellergesc­hoss. Die Vorteile: Der Mietvertra­g läuft über mindestens 20 Jahre, Woelffer bekommt statt zuletzt 235 000 Euro Landesförd­erung jährlich künftig rund das Vierfache.

„Die Kudamm-Bühnen gehören einfach zu Berlin, sie sind Teil einer großartige­n und traditions­reichen Theaterges­chichte der Stadt“, sagt Senator Lederer. Der Verbleib der Spielstätt­e am historisch­en Ort trage dazu bei, die Vielfalt der Berliner Bühnenkult­ur zu erhalten. Für Aufsehen sorgten zuletzt allerdings Recherchen, nach denen hinter der Münchner Firma Cells Bauwelt ein russischer Milliardär stecken könnte, der auf der Sanktionsl­iste der EU steht.

Die Theater sehen ihrem Auszug deshalb mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Am Sonntag ist die letzte Aufführung: Katharina Thalbach steht in der von ihr inszeniert­en Komödie „Der Raub der Sabinerinn­en“als der Theaterdir­ektor Striese auf der Bühne – mit dabei ihre Tochter Anna und die Enkelin Nellie. Danach sind für den Auszug vier Wochen Zeit, ehe der Abrissbagg­er anrollt. „Das werde ich mir allerdings nicht antun“, sagt Woelffer. „Das bricht mir das Herz.“

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DPA-BILD: BRITTA PEDERSEN Wird verschwind­en und in einem Keller wieder auftauchen: die Komödie am Kurfürsten­damm

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