Wenn ein Kind verschwindet...
2017 kümmerte sich die Polizei um 95 Fälle in der Stadt
Mehr als 60 000 Kinder und Jugendliche werden pro Jahr in Deutschland als vermisst gemeldet. Die allermeisten Fälle enden gut, so auch in der Stadt Oldenburg. Die fragte nach, wie sich die Situation hier darstellt.
OLDENBURG / AMMERLAND – Das Kind müsste doch schon längst zu Hause sein. Seit Stunden ist der Schulunterricht vorbei. Nachfragen bei Klassenkameraden, Freunden und Verwandten bleiben ergebnislos. Das Kind ist verschwunden. Und es kehrt nicht zurück. Nicht in dieser Nacht, nicht am nächsten Tag… Eine schreckliche Vorstellung – nicht nur für Eltern und Erziehungsberechtigte.
600 Vermisste
Etwa 600 Kinder und Jugendliche wurden laut aktueller Erhebungen am 16. Mai 2018 in ganz Niedersachsen vermisst. Richtig aussagekräftig seien diese Zahlen aber nicht, wie Frank Federau vom Landeskriminalamt (LKA) auf -Nachfrage betont. Denn: Einerseits finden sich darunter auch zahlreiche Altfälle, die teils mehrere Jahrzehnte (bis 1964) zurückliegen; andererseits sind hier auch Meldungen vermerkt, die sich nahezu stündlich ändern können. Sie alle werden
dennoch in der bundesweiten Datei „Vermisste und unbekannte Tote“geführt. Rund 60000 Kinder und Jugendliche werden laut der Initiative Vermisste Kinder jedes Jahr in Deutschland als unauffindbar gemeldet – und kehren in mehr als 99 Prozent der Fälle wohlbehalten zurück.
Mehrfach-Ausreißer
In ganz Niedersachsen seien es jährlich 7000, die kurzfristig oder länger vermisst werden – wenn sie also „ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt unbekannt ist“, wie es aus hiesiger Behörde heißt. „Hier muss grundsätzlich von einer Gefahr für Leib oder Leben oder körperliche Unversehrtheit ausgegangen werden, solange die Ermittlungen nichts anderes ergeben“, so Polizeisprecher Stephan Klatte.
Welch ein Glück also, dass es in den vergangenen Jahren keine derart herausragenden Oldenburger Fälle gegeben hatte, in denen eine Öffentlichkeitsfahndung von Nöten gewesen wäre. „In den meisten Fällen erscheinen die Kinder und Jugendlichen von sich aus wieder zu Hause und sind bei Freunden oder Verwandten“, so Klatte.
Vermisstenfälle verjähren zwar in der Regel nach 30 Jahren, „in besonderen Fällen, wie beispielsweise dem Verdacht eines Tötungsdeliktes, bleiben die Fahndungen aber bestehen“, so Frank Federau vom LKA. Das sind Zahlenspiele, die den Eltern beim plötzlichen Verschwinden
ihres Nachwuchses nicht unbedingt weiterhelfen mögen – auch nicht, dass nahezu alle so Vermissten nach kurzer Zeit wiederkommen. Denn wenn das eigene Kind nicht wie verabredet oder erwartet zurückkehrt, wächst halt die Panik.
So geschehen auch in der Stadt Oldenburg. Im vergangenen Jahr wurden hier derer 95 Fälle gezählt, in denen Minderjährige plötzlich unauffindbar waren, darunter 14 Kinder im Alter zwischen acht und dreizehn Jahren. Dabei
handelt es sich aber nicht um 95 unterschiedliche Personen. Manchmal rissen einzelne Minderjährige, häufig auch aus Hilfeeinrichtungen, mehrfach aus. Nebenan im Ammerland waren es 19 „wiederholt Abgängige“, wie es dort im Behördendeutsch heißt. Dort zählte man im vergangenen Jahr insgesamt gleich 157 Vermisstenfälle.
Erfolgt eine Vermisstenmeldung in der Stadt, werden Fahndungsmaßnahmen „immer
sofort“eingeleitet – „wenn mit dem plötzlichen Verschwinden schwerwiegende Straftaten vermutet oder eine Eigen-/Suizidgefahr angenommen werden müssen“, so Klatte.
Keine 24-Stunden-Frist
Grundsätzlich sollten Eltern daher auch dann die Polizei wegen eines nicht nach Hause gekommenen Kindes einschalten, sobald etwas ungewöhnlich erscheint – eine 24-Stunden-Frist, die vor einer Fahndung vermeintlich abgewartet werden müsse, gebe es in keiner Dienstvorschrift. In Oldenburg ist das 6. Fachkommissariat (FK) für Jugendkriminalität zuständig, die Beamten sind speziell für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen geschult, wie es aus der Behörde heißt. Bleiben die Minderjährigen längere Zeit unauffindbar, wird das 1. FK (sonst zuständig für Vermisstenfälle mit Volljährigen) in die Suche involviert.
Kehren die Vermissten dann irgendwann freiwillig zurück, werden gefunden oder aufgegriffen, geht es an die Motivsuche. Natürlich interessiere sich die Polizei dafür, warum jemand seine Familie oder Hilfeeinrichtung verlassen habe. Liebeskummer, schulische Schwierigkeiten und Streit sind einige der Gründe. Aber auch Schlimmeres. Ist beispielsweise häusliche Gewalt eine Ursache, muss dem unbedingt nachgegangen und das Jugendamt eingeschaltet werden, heißt es aus der Behörde.