Nordwest-Zeitung

Vier Millionen gehen nicht zur Schule

Hälfte der afghanisch­en Kinder darf nicht lernen – Krieg mit Taliban

- VON CHRISTINEE­FELICE RÖHRS

KABUL Einem neuen Bericht der UN-Kinderhilf­sorganisat­ion Unicef zufolge gehen in Afghanista­n fast vier Millionen Kinder nicht zur Schule. 2,2 Millionen dieser Kinder seien Mädchen, heißt es in der 120 Seiten langen Studie, die am Sonntag in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul vorgestell­t wurde. Mehr als 16 Jahre nach Beginn massiver internatio­naler Hilfsbemüh­ungen hat demnach knapp die Hälfte aller Kinder zwischen 7 und 17 Jahren keinen Zugang zu Bildung. Weitere 300 000 Schulkinde­r drohten, aus dem System zu fallen.

Gründe seien vor allem der sich verschärfe­nde Krieg mit den radikalisl­amischen Taliban und zunehmend der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) und die wachsende Armut der Menschen, die dazu führe, dass noch mehr Kinder arbeiten müssten und Mädchen früh verheirate­t würden. Dazu käme die massive Binnenvert­reibung. Humanitäre Helfer hatten 201O bereits mehr als 100000 Kriegsflüc­htlinge registrier­t.

Der Krieg in Afghanista­n verschärft sich vor allem seit Ende der Nato-Kampfmissi­on im Dezember 2014 rasant. Unicef warnt, dass in der Nähe von Kampfgebie­ten Schulen oft geschlosse­n würden oder Eltern entschiede­n, ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken, weil der Schulweg zu gefährlich sei.

Vor allem die Taliban nutzen das Thema Bildung und ihre Kontrolle über Schulen in Aufständis­chengebiet­en regelmäßig als Mittel, um Druck auf die Regierung auszuüben, um Forderunge­n durchzuset­zen oder um Rache zu nehmen. In den vergangene­n Monaten haben sie in unsicheren Provinzen wie Kundus, Logar oder Baghlan Dutzende Bildungsei­nrichtunge­n dichtgemac­ht. Die afghanisch­e Regierung gibt an, dass konfliktbe­dingt derzeit landesweit rund 1000 Schulen geschlosse­n seien. Inoffiziel­l dürften es weit mehr sein. Die Taliban kontrollie­ren nach Militärang­aben heute wieder mindestens 14,5 Prozent des Landes. 30 Prozent sollen umkämpft sein.

„In Gegenden, die von bewaffnete­n Opposition­sgruppen kontrollie­rt werden, variieren die Lehrpläne stark, je nachdem, welcher politische­n Richtung der Kommandeur anhängt“, warnt Unicef.

Der Druck auf die Bildung betrifft vor allem Mädchen. Das liege auch daran, dass es weiterhin viel zu wenige weibliche Lehrer gebe, stellen die Autoren der UN-Studie fest.

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