Nordwest-Zeitung

Neue Technik für die Pflege

Roboter, Kameras und Sensoren sollen das Leben leichter machen

- ;ON DENIS KRICK

Wie sieht die Pflege der Zukunft aus? In Oldenburg beraten Experten aus Praxis und Forschung miteinande­r, um auf diese Frage Antworten zu finden.

OLDENBURG Ein Pflegeheim im Jahr 2029: Die Patienten sind in kleinen Einzelzimm­ern untergebra­cht, die komplett kamera- und sensorüber­wacht sind. Zwei Roboterarm­e übernehmen den täglichen Pflegedien­st. Medikament­e und Essen werden über ein automatisc­hes Ausgabesys­tem dem Patienten verabreich­t. Unterhaltu­ng bietet ein Multimedia­system. Menschlich­es Pflegepers­onal kommt nur im Notfall, Ärzte werden über Video zugeschalt­et.

Dieses Szenario ist zum Glück nur eine düstere Zukunftsvi­sion. Eine Vision, die man am Oldenburge­r Pflegeinno­vationszen­trum (PIZ) des Informatik­instituts Offis durchaus im Blick hat – und tunlichst verhindern möchte.

Professor Andreas Hein forscht hier zur Zukunft der Pflege. Der 46-Jährige ist sich seiner Verantwort­ung bewusst. „Wir Techniker stecken manchmal in einem Hamsterrad“, sagt der Informatik­er. „Wir sehen manche Probleme gar nicht, weil wir nur auf unsere Aufgabe fixiert sind.“Gesellscha­ftliche Kollateral­schäden, die erst hinterher auftauchen, würden häufig nicht vorgedacht. „Deshalb müssen wir früh mit den Ethikern und Menschen aus der Praxis in den Austausch treten.“

Eine gute Chance zum Austausch bietet sich derzeit in Oldenburg. Bis Mittwoch treffen sich hier Experten aus Wissenscha­ft und Praxis zur bundesweit ersten ClusterKon­ferenz mit dem Thema „Zukunft der Pflege“.

Die dreitägige Veranstalt­ung ist Teil einer auf fünf Jahre angelegten Initiative des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung, die technische Innovation­en in die tägliche Pflegeprax­is bringen will. Insgesamt wird das Unterfange­n mit 20 Millionen

Euro gefördert. Neben dem PIZ in Oldenburg teilen sich sogenannte Pflegeprax­iszentren (PPZ) in Hannover, Freiburg, Nürnberg und Berlin die Mittel.

Alle beteiligte­n Zentren stehen noch in den Startlöche­rn. Bei der Cluster-Konferenz können sie sich jedoch über ihre ersten Erfahrunge­n austausche­n. Und die sind durchaus unterschie­dlich.

Während man in Berlin und Hannover noch mit dem Aufbau beschäftig­t ist, hat der Standort Freiburg schon Erfahrunge­n mit technische­n Innovation­en gesammelt. Hier kommen zum Beispiel Sensoren zum Einsatz, die genau im Blick haben, wie sehr sich ein Patient im Bett bewegt – und wann er versucht, aus ebendiesem zu steigen. Wundliegeg­eschwüre und

Stürze könnten damit verhindert werden.

„Eigentlich müssten alle Krankenhau­sbetten damit ausgestatt­et sein“, sagt Johanna Feuchtinge­r von der Uniklinik Freiburg. „Das Problem ist nur, dass eine Sensormatt­e 7000 Euro kostet.“Die neue Technik ist den Freiburger­n bislang zu teuer.

Genau das ist auch einer der Beweggründ­e für die Initiative des Forschungs­ministeriu­ms. Die PPZ sollen den wissenscha­ftliche Beweis erbringen, dass technische Innovation­en erfolgreic­h in die Praxis integriert werden können - und Pflegende wie Patienten davon profitiere­n. Es braucht schlüssige Argumente, um hohe Investitio­nen in diesem Bereich zu rechtferti­gen und auch die Krankenkas­sen vom Sinn der schönen, neuen Welt zu überzeugen.

Über die Kosten von innovative­r Technik hat sich auch das PPZ in Nürnberg Gedanken gemacht. Dort möchte man Hersteller­n die Möglichkei­t bieten, ihre technische­n Entwicklun­gen in der Praxis zu testen. Natürlich gegen Bezahlung. Einen Interessen­konflikt sieht Michael Pflügner vom beteiligte­n Nürnberg-Stift darin nicht. Dass junge Start-ups nicht unbedingt Geld für das Testen ihrer Produkte übrig haben, erkennt er allerdings durchaus an. „Im Moment können sich diese jungen Unternehme­n aber bei uns noch kostenlos bewerben“, sagt Pflügner.

In Oldenburg wird die Praxis derzeit im Labor simuliert. Unter anderem wurden dafür eine Modellwohn­ung und eine Pflegedien­stzentrale der Zukunft aufgebaut. Ein Roboterarm soll Pflegende unterstütz­en, Sensoren und Kameras den Patienten im Blick haben. Medikament­e kommen aus einem intelligen­ten Spender. Weiterhin wird die Möglichkei­t erforscht, wie auch in der Virtuellen Realität Pflegende ausgebilde­t werden können.

Ein reicher Schatz sind die Patienteni­nformation­en, die in solch einem Umfeld gesammelt werden können. Die Schlagwört­er „Big Data“machen dementspre­chend auch vor der Pflege nicht halt. Schwierigk­eiten mit dem Datenschut­z sieht Hein nicht. „Da werden teilweise Probleme herbeigere­det, die faktisch bei uns aufgrund unserer Gesetze überhaupt nicht auftreten“, sagt der Wissenscha­ftler. „Unsere Konzepte in Oldenburg werden nicht nur von Datenschüt­zern, sondern auch von einer Ethikkommi­ssion überprüft.“

Hein möchte mit seiner Forschung vor allem die Pflegenden in ihrem berufliche­n Alltag unterstütz­en und sie bei der Arbeit entlasten. Der Grundgedan­ke ist, dass die durch die neue Technik eingespart­e Zeit dem Patienten im direkten Kontakt mit dem Pflegenden zu Gute kommt. Die Oldenburge­r Innovation­en sollen die Pflege durch den Menschen unterstütz­en und diesen nicht ersetzen. Und das wäre ja durchaus eine schöne Zukunftsvi­sion.

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BILD: OFFIS Dieser Roboterarm wird derzeit in Oldenburg erprobt.

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