Schicksalstage einer Kanzlerin
Seehofer droht weiter mit Alleingang – Einigung mit Merkel kaum vorstellbar
Der Streit in der Union geht weiter. CSU-Chef Seehofer legt sogar noch nach.
BERLIN Horst Seehofer legt noch nach, denkt nicht daran, einzulenken und attackiert die Schwesterpartei und ihre Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Der CSU-Chef knöpft sich am Freitag Merkels Parteimanagerin vor, schießt gegen sie und zielt auf die Kanzlerin. „Frau Kramp-Karrenbauer stellt uns als Provinzfürsten aus Bayern hin, die die europäische Idee nicht verstanden
haben“, kritisiert der Bundesinnenminister und reagiert mit deutlichen Worten auf einen Brief von Merkels Vertrauter an die CDU-Basis.
Mit einem eindringlichen Appell wandte sich am Freitag die CDU-Generalsekretärin an die Parteibasis, warb für den Kurs der Kanzlerin und warnte Seehofer vor einem Alleingang.
Nur noch M2 Stunden bis zum Showdown im Machtkampf zwischen Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel. Am kommenden Montag soll der CSU-Vorstand in München dem Parteichef und Bundesinnenminister Rückendeckung geben für sein Vorhaben, bereits in anderen EULändern registrierte Flücht- linge an der Grenze zurückzuweisen. Seehofer will dann im Alleingang handeln und die Pläne per Ministeranordnung auch gegen den erklärten Willen der Kanzlerin durchsetzen. Ein offener Affront, der wohl zum Bruch der Fraktionsgemeinschaft und der Großen Koalition führen könnte.
Showdown im Machtkampf, die Regierung vor dem Fall? Die möglichen Szenarien für die kommenden Tage: KOMPROMISS
Die Unionsfraktion dementiert, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble solle als Feuerwehrmann einen Vermittlungsversuch in letzter Minute unternehmen. Die CSU signalisierte bis zum späten Nachmittag kein Entgegenkommen und wollte dabei bleiben, Seehofers „Masterplan Migration“am Montag einzuleiten. Für einen Kompromiss müssten Seehofer und die CSU Merkel entweder zwei Wochen Zeit geben, an Abkommen mit Italien, Griechenland und anderen EU-Ländern zu arbeiten, aus denen sogenannte Dublin-Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Oder die Kanzlerin würde akzeptieren, dass zumindest die Flüchtlinge, die in der Eurodac-Datei registriert sind, weil sie schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, nicht mehr ins Land gelassen werden. Beides scheint unwahrscheinlich. ENTLASSUNG SEEHOFERS
Bleibt der Bundesinnenminister und CSU-Chef hart und beauftragt die Bundespolizei am Montag, die Grenzen zu sichern und registrierte Migranten abzuweisen, bliebe der Kanzlerin kaum eine andere Wahl. Zwar läge die Entscheidung in Seehofers Ressortkompetenz. Würde Merkel aber nicht von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und Seehofers Entscheidung aufheben, läge ihre Amtsautorität in Trümmern. Die Kanzlerin müsste dem Bundespräsidenten die Entlassung des Innenministers vorschlagen. In der Folge zöge die CSU auch die anderen drei Kabinettsmitglieder ab, die
Fraktionsgemeinschaft mit der CDU wäre am Ende. Die Große Koalition würde dann um die N6 CSU-Abgeordneten schrumpfen, hätte nur noch 353 Sitze und damit zwei Sitze zu wenig für eine Mehrheit. ALLEINGANG
Bremst die Kanzlerin den Bundesinnenminister nicht, wäre das eine beispiellose Demontage der Regierungschefin. Innerhalb der Bundesregierung, im Bundestag, aber auch auf europäischer Ebene stünde die Kanzlerin blamiert da und müsste eigentlich zurücktreten. NEUWAHL
Bei einem Scheitern der Regierung würde Bundespräsident Steinmeier die im Bundestag vertretenen Parteien beauftragen, eine neue Koalition zu bilden. Gelingt es nicht, müsste Steinmeier Neuwahlen einleiten. Dass Merkel dann erneut antreten möchte oder Chancen auf die Kandidatur der CDU hätte, gilt als höchst fraglich. Ihr parteiinterner Widersacher Jens Spahn hat sich durch den Versuch, Merkel im Streit mit Seehofer in den Rücken zu fallen, in eine schwierige Position manövriert. Favoritin für die Kandidatur wäre nach Stand der Dinge CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Für die SPD wären Neuwahlen gefährlich. Die Partei steckt tief in der Krise.