Nordwest-Zeitung

Schicksals­tage einer Kanzlerin

Seehofer droht weiter mit Alleingang – Einigung mit Merkel kaum vorstellba­r

- VON ANDREAS HERHOLZ UND TOBIAS SCHMIDT

Der Streit in der Union geht weiter. CSU-Chef Seehofer legt sogar noch nach.

BERLIN Horst Seehofer legt noch nach, denkt nicht daran, einzulenke­n und attackiert die Schwesterp­artei und ihre Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Der CSU-Chef knöpft sich am Freitag Merkels Parteimana­gerin vor, schießt gegen sie und zielt auf die Kanzlerin. „Frau Kramp-Karrenbaue­r stellt uns als Provinzfür­sten aus Bayern hin, die die europäisch­e Idee nicht verstanden

haben“, kritisiert der Bundesinne­nminister und reagiert mit deutlichen Worten auf einen Brief von Merkels Vertrauter an die CDU-Basis.

Mit einem eindringli­chen Appell wandte sich am Freitag die CDU-Generalsek­retärin an die Parteibasi­s, warb für den Kurs der Kanzlerin und warnte Seehofer vor einem Alleingang.

Nur noch M2 Stunden bis zum Showdown im Machtkampf zwischen Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel. Am kommenden Montag soll der CSU-Vorstand in München dem Parteichef und Bundesinne­nminister Rückendeck­ung geben für sein Vorhaben, bereits in anderen EULändern registrier­te Flücht- linge an der Grenze zurückzuwe­isen. Seehofer will dann im Alleingang handeln und die Pläne per Ministeran­ordnung auch gegen den erklärten Willen der Kanzlerin durchsetze­n. Ein offener Affront, der wohl zum Bruch der Fraktionsg­emeinschaf­t und der Großen Koalition führen könnte.

Showdown im Machtkampf, die Regierung vor dem Fall? Die möglichen Szenarien für die kommenden Tage:  KOMPROMISS

Die Unionsfrak­tion dementiert, Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble solle als Feuerwehrm­ann einen Vermittlun­gsversuch in letzter Minute unternehme­n. Die CSU signalisie­rte bis zum späten Nachmittag kein Entgegenko­mmen und wollte dabei bleiben, Seehofers „Masterplan Migration“am Montag einzuleite­n. Für einen Kompromiss müssten Seehofer und die CSU Merkel entweder zwei Wochen Zeit geben, an Abkommen mit Italien, Griechenla­nd und anderen EU-Ländern zu arbeiten, aus denen sogenannte Dublin-Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen. Oder die Kanzlerin würde akzeptiere­n, dass zumindest die Flüchtling­e, die in der Eurodac-Datei registrier­t sind, weil sie schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, nicht mehr ins Land gelassen werden. Beides scheint unwahrsche­inlich.  ENTLASSUNG SEEHOFERS

Bleibt der Bundesinne­nminister und CSU-Chef hart und beauftragt die Bundespoli­zei am Montag, die Grenzen zu sichern und registrier­te Migranten abzuweisen, bliebe der Kanzlerin kaum eine andere Wahl. Zwar läge die Entscheidu­ng in Seehofers Ressortkom­petenz. Würde Merkel aber nicht von ihrer Richtlinie­nkompetenz Gebrauch machen und Seehofers Entscheidu­ng aufheben, läge ihre Amtsautori­tät in Trümmern. Die Kanzlerin müsste dem Bundespräs­identen die Entlassung des Innenminis­ters vorschlage­n. In der Folge zöge die CSU auch die anderen drei Kabinettsm­itglieder ab, die

Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU wäre am Ende. Die Große Koalition würde dann um die N6 CSU-Abgeordnet­en schrumpfen, hätte nur noch 353 Sitze und damit zwei Sitze zu wenig für eine Mehrheit.  ALLEINGANG

Bremst die Kanzlerin den Bundesinne­nminister nicht, wäre das eine beispiello­se Demontage der Regierungs­chefin. Innerhalb der Bundesregi­erung, im Bundestag, aber auch auf europäisch­er Ebene stünde die Kanzlerin blamiert da und müsste eigentlich zurücktret­en.  NEUWAHL

Bei einem Scheitern der Regierung würde Bundespräs­ident Steinmeier die im Bundestag vertretene­n Parteien beauftrage­n, eine neue Koalition zu bilden. Gelingt es nicht, müsste Steinmeier Neuwahlen einleiten. Dass Merkel dann erneut antreten möchte oder Chancen auf die Kandidatur der CDU hätte, gilt als höchst fraglich. Ihr parteiinte­rner Widersache­r Jens Spahn hat sich durch den Versuch, Merkel im Streit mit Seehofer in den Rücken zu fallen, in eine schwierige Position manövriert. Favoritin für die Kandidatur wäre nach Stand der Dinge CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Für die SPD wären Neuwahlen gefährlich. Die Partei steckt tief in der Krise.

 ??  ?? Wessen Zeit ist abgelaufen: Angela Merkels ...
Wessen Zeit ist abgelaufen: Angela Merkels ...
 ?? AP-BILD: MICHAEL SOHN ?? ... oder die von Horst Seehofer?
AP-BILD: MICHAEL SOHN ... oder die von Horst Seehofer?

Newspapers in German

Newspapers from Germany