Vermeintliche Politbombe lediglich eine Jux-Rakete
Titanic-Redakteur sorgt mit satirischem Tweet zur Auflösung der Union für Verwirrung
BERLIN Die Nachricht ließ aufhorchen: „Bericht: Seehofer kündigt Fraktionsgemeinschaft der Union auf“, hieß es am Freitag gegen 12.30 Uhr in einer Pushnachricht der Smartphone-App des Senders n-tv. Unter anderem der „Focus“und die „Bild“zogen schnell nach. Und angesichts der High-Noon-Stimmung in Berlin zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) schien diese Ankündigung zunächst glaubwürdig, wenn auch sensationell zu sein. Immerhin könnte dieser in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Schritt das Ende der Großen Koalition einläuten.
Frage nach Echtheit
In deutschen Redaktionen wurden daraufhin eifrig Eilmeldungen vorbereitet. Die politischen Kommentatoren feilten im Kopf schon an Formulierungen, Schlagzeilen für die Titelseite wurden entworfen. Und dann kam alles anders: Sieben Minuten nach der Eilmeldung meldete n-tv: „Korrektur: Unionsgemeinschaft wird nicht aufgelöst.“Was war passiert?
Quelle der Nachricht war ein Twitter-Account mit dem Namen „hr Tagesgeschehen“, dessen Profilbild unter anderem das Logo des hessischen Rundfunks zeigt. Um 11.56 Uhr zitiert der Account den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) mit den Worten „...müssen wir uns jetzt darauf vorbereiten, schon bei der nächsten Bundestagswahl mit einer neuen Bayern-CDU anzutreten.“Eine „Politbombe“sei da in Hessen geplatzt, hieß es.
Die Echtheit des Accounts schien auf den ersten, flüchtigen Blick gesichert zu sein. Denn er war mit einem weißen Häkchen auf himmelblauem Hintergrund versen
sehen – und mit diesem werden von Twitter verifizierte Accounts von Personen oder Institutionen gekennzeichnet, die von öffentlichem Interesse sind.
Falsche Eilmeldung
Die letzten Tweets des Accounts mit der Abkürzung @hrtgn enthalten Schlagzeilen, wie sie durchaus vom Hessischen Rundfunk hätten veröffentlicht werden können: „Eintracht Frankfurt: Ra- zur Saison 2018/19 kommt aus Japan“oder „Frankfurter Finanzbeamte vor WhatsApp-Verbot“.
Auffällig war jedoch, dass die Tweets nur ein Bild enthielten, aber keinen Link – für ein Online-Medium durchaus ungewöhnlich. Außerdem endeten die Lokalnachrichten bereits am Donnerstagabend. Davor sind mehr oder weniger lustige Tweets zu lesen, und Nachrichten des Accounts des Satire-Magazins „Titanic“wurden häufig retweetet.
Die Lösung: Hinter @hrtgn steckt der Titanic-Redakteur Moritz Hürtgen, der seinen verifizierten Account – wohl am Donnerstagabend – kurzerhand in „hr Tagesgeschehen“umbenannt hat. Die „Politbombe“, die da hochgegangen war, war lediglich eine Jux-Rakete. Die Agentur „Reuters“habe aus dem Tweet eine Nachricht gemacht und sie verbreitet, heißt es in Medienberichten. Medien, die sich auf die Agentur verließen, sendeten eine falsche Eilmeldung in die Welt.
Hürtgen war schon einmal bundesweit in die Schlagzeilen geraten, als er der BildZeitung im Februar 2018 einen angeblichen Mailverkehr zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und einem russischen Internet-Troll zugespielt hatte und zum Interview bei der Bild erschienen war. Bekannt wurde der Satire-Coup als #miomiogate.
Historisches Vorbild
Die Auflösung der Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU war 19M6 tatsächlich ein reales Thema: Der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß hatte nach der verlorenen Bundestagswahl (Spitzenkandidat der Union war Helmut Kohl) die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt. Kurze Zeit später einigten sich CDU und CSU unter Helmut Kohl – vollzogen wurde die Trennung nicht.