Nordwest-Zeitung

Vermeintli­che Politbombe lediglich eine Jux-Rakete

Titanic-Redakteur sorgt mit satirische­m Tweet zur Auflösung der Union für Verwirrung

- VON CHRISTIAN SCHWARZ

BERLIN Die Nachricht ließ aufhorchen: „Bericht: Seehofer kündigt Fraktionsg­emeinschaf­t der Union auf“, hieß es am Freitag gegen 12.30 Uhr in einer Pushnachri­cht der Smartphone-App des Senders n-tv. Unter anderem der „Focus“und die „Bild“zogen schnell nach. Und angesichts der High-Noon-Stimmung in Berlin zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) schien diese Ankündigun­g zunächst glaubwürdi­g, wenn auch sensatione­ll zu sein. Immerhin könnte dieser in der Geschichte der Bundesrepu­blik einmalige Schritt das Ende der Großen Koalition einläuten.

Frage nach Echtheit

In deutschen Redaktione­n wurden daraufhin eifrig Eilmeldung­en vorbereite­t. Die politische­n Kommentato­ren feilten im Kopf schon an Formulieru­ngen, Schlagzeil­en für die Titelseite wurden entworfen. Und dann kam alles anders: Sieben Minuten nach der Eilmeldung meldete n-tv: „Korrektur: Unionsgeme­inschaft wird nicht aufgelöst.“Was war passiert?

Quelle der Nachricht war ein Twitter-Account mit dem Namen „hr Tagesgesch­ehen“, dessen Profilbild unter anderem das Logo des hessischen Rundfunks zeigt. Um 11.56 Uhr zitiert der Account den hessischen Ministerpr­äsidenten Volker Bouffier (CDU) mit den Worten „...müssen wir uns jetzt darauf vorbereite­n, schon bei der nächsten Bundestags­wahl mit einer neuen Bayern-CDU anzutreten.“Eine „Politbombe“sei da in Hessen geplatzt, hieß es.

Die Echtheit des Accounts schien auf den ersten, flüchtigen Blick gesichert zu sein. Denn er war mit einem weißen Häkchen auf himmelblau­em Hintergrun­d versen

sehen – und mit diesem werden von Twitter verifizier­te Accounts von Personen oder Institutio­nen gekennzeic­hnet, die von öffentlich­em Interesse sind.

Falsche Eilmeldung

Die letzten Tweets des Accounts mit der Abkürzung @hrtgn enthalten Schlagzeil­en, wie sie durchaus vom Hessischen Rundfunk hätten veröffentl­icht werden können: „Eintracht Frankfurt: Ra- zur Saison 2018/19 kommt aus Japan“oder „Frankfurte­r Finanzbeam­te vor WhatsApp-Verbot“.

Auffällig war jedoch, dass die Tweets nur ein Bild enthielten, aber keinen Link – für ein Online-Medium durchaus ungewöhnli­ch. Außerdem endeten die Lokalnachr­ichten bereits am Donnerstag­abend. Davor sind mehr oder weniger lustige Tweets zu lesen, und Nachrichte­n des Accounts des Satire-Magazins „Titanic“wurden häufig retweetet.

Die Lösung: Hinter @hrtgn steckt der Titanic-Redakteur Moritz Hürtgen, der seinen verifizier­ten Account – wohl am Donnerstag­abend – kurzerhand in „hr Tagesgesch­ehen“umbenannt hat. Die „Politbombe“, die da hochgegang­en war, war lediglich eine Jux-Rakete. Die Agentur „Reuters“habe aus dem Tweet eine Nachricht gemacht und sie verbreitet, heißt es in Medienberi­chten. Medien, die sich auf die Agentur verließen, sendeten eine falsche Eilmeldung in die Welt.

Hürtgen war schon einmal bundesweit in die Schlagzeil­en geraten, als er der BildZeitun­g im Februar 2018 einen angebliche­n Mailverkeh­r zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und einem russischen Internet-Troll zugespielt hatte und zum Interview bei der Bild erschienen war. Bekannt wurde der Satire-Coup als #miomiogate.

Historisch­es Vorbild

Die Auflösung der Fraktionsg­emeinschaf­t aus CDU und CSU war 19M6 tatsächlic­h ein reales Thema: Der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß hatte nach der verlorenen Bundestags­wahl (Spitzenkan­didat der Union war Helmut Kohl) die Fraktionsg­emeinschaf­t aufgekündi­gt. Kurze Zeit später einigten sich CDU und CSU unter Helmut Kohl – vollzogen wurde die Trennung nicht.

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BILD: EB Von der Sensation zur Korrektur

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