Nordwest-Zeitung

Als das Schöne zum Nützlichen kam

Freilichtm­useum dokumentie­rt Entwicklun­g vom Versorgung­sgarten zum Prestigeob­jekt

- VON KARIN PETERS

Früher gehörten große Gärten auf dem Lande zu jeder Hofanlage. Viele der ländlichen Gartenform­en sind heutzutage kaum noch bekannt. Im Museumsdor­f werden sie wieder „erlebbar“.

CLOPPENBUR­G Welche Pracht! Voller Bewunderun­g spazieren die Herrschaft­en durch den Visitengar­ten der Hofanlage Wehlburg. Eine Buchenheck­e umrahmt die Zierde des Hauses. Mächtige Eibensäule­n, duftende Rosen, Hortensien, Kaiserkron­en und Ritterspor­n ergötzen das Auge, schattige Laubenplät­ze laden zum Kaffeesier­en ein.

Schon im 19. Jahrhunder­t erfüllten solche Anlagen ihre Besitzer mit Stolz und Freude. Und was gab es Schöneres, als bei den beliebten sonntäglic­hen Visiten – den Besuchen – Nachbarn und Freunde mit derartiger Gartenkuns­t zu beeindruck­en!

Auch ich bin zur „Visite“im Welhburg-Garten verabredet. Ich treffe mich mit Elke Schwender. Die Diplom-Ingenieuri­n ist seit vielen Jahren zuständig für die Gartendenk­malpflege und Grünplanun­g im Cloppenbur­ger Freilichtm­useum. Eine ihrer vielfältig­en Aufgaben ist es, die Gärten nach historisch­em Vorbild zu gestalten. Den Adelsgarte­n, den bäuerliche­n Versorgung­sgarten, den Ausflugsga­rten am Dorfkrug oder eben den repräsenta­tiven Visitengar­ten.

Viele dieser ländlichen Gartenform­en sind heute kaum noch bekannt. Schwender möchte sie erhalten und wieder „erlebbar“machen. Mit Blumen, Früchten, Gemüsesort­en und Gehölzen, die schon unsere Urgroßelte­rn kannten.

Blühende Statussymb­ole

Besonders spannend findet sie die Zeit um 1900 – „für mich das Jahrhunder­t der Gartenkult­ur“. Damals wuchs auch in der ländlichen Bevölkerun­g das Interesse an schönen und außergewöh­nlichen Zierpflanz­en. „Wer auf sich hielt, orientiert­e sich am Vorbild der Klöster und Schlossanl­agen“, erzählt sie, „streng geometrisc­h

angelegte Beete sowie kunstvolle Ornamente und Figuren sollten den Sieg der kultiviert­en Menschheit über die wilde Natur demonstrie­ren.“Gartenzaun und Gartenpfor­te kamen in Mode, es gab von Efeu umrankte Pavillons, Brunnen, Laubengäng­e oder – damals total angesagt – die „steinerne Grotte“, einen lauschigen Sitzplatz mit aufgeschic­hteten Feldsteine­n. Gärten wie diese dienten aber nicht nur der Liebhabere­i. Es waren Statussymb­ole, echte Prestigeob­jekte. „Allein der Arbeitsauf­wand – für ein Stück Land, das im Grunde Termin im großen Veranstalt­ungsprogra­mm ist das „Erntefest“am 7. Oktober, ein Erlebnista­g, an dem sich alles ums Ernten und Essen dreht.

Öffnungsze­iten:

März bis Oktober 9–18 Uhr, November bis Februar 9–16.30 Uhr. @ www.museumsdor­f.de

Pnichts einbrachte!“, bestätigt die Expertin. Nur wohlhabend­e Bauern konnten sich diesen Luxus leisten.

Anders sieht es nebenan auf dem Ostfriesis­chen Gulfhof von 1903 aus. Hier lebte Wübbe Meyer mit seiner Großfamili­e. Natürlich hatte auch er einen Garten. Auf dem Lande war man Selbstvers­orger, ob Großbauer, Heuerling oder Landarbeit­er. Allerdings kam hier erst viel später das „Schöne zum Nützlichen“. Im Obst- und Gemüsegart­en hinter dem Haus wuchs, was für die tägliche Ernährung lebensnotw­endig war: Frühkartof­feln, Kohl in allen Varianten, Busch- und Stangenboh­nen, Lauch und Zuckererbs­en. Vielleicht noch ein paar Heilkräute­r und Gewürze. Aber Blumenbeet­e? Höchstens im kleinen Vorgarten, Elke Schwender in der steinernen Grotte

zur Straßensei­te hin.

Zwischen den Bohnen wird gerade fleißig gehackt. Elke Schwender legt großen Wert auf samenfeste, vermehrung­sfähige Sorten. Das Saatgut bezieht sie vom Verein Dreschfleg­el, der sich für die Züchtung und Verbreitun­g historisch­er Kulturpfla­nzen engagiert. So wachsen hier Bohnen in Arten und Varianten, deren Namen ich noch nie gehört habe – die „Dreifache Weiße“, die „Einlochboh­ne“, „Padlegers“oder „Ostfriesis­che Speckbohne“.

Exklusiver Grünkohl

Eine echte Spezialitä­t seien die „Updrögt Bohnen“, erklärt sie. Es handelt sich um Buschbohne­n, die auf einen Faden gezogen und für mehrere Wochen unters Dach zum Trock- nen aufgehängt wurden. Im Winter wurden sie dann eingeweich­t und stundenlan­g mit Wasser und Speck gekocht. „Ostfriesen schwören drauf!“, sagt sie, schüttelt sich und lacht.

Dann doch lieber die Ostfriesen­palme! Da steht sie in ihrer ganzen Pracht, stolze 1,20 Meter hoch! Früher hatte fast jeder Hof seine eigene, über Generation­en weiter entwickelt­e Grünkohlso­rte. Und auch Schwender konnte durch gezielte Auslese der Saatpflanz­en eine exklusive Hausmarke für das Museum heranziehe­n – „wir werden sie wohl Cloppenbur­ger Sorte nennen!“

Am Ende unserer Gartentour klärt meine Gesprächsp­artnerin mich noch über einen weit verbreitet­en Irrtum auf. Den Stil „Bauerngart­en“habe es nie gegeben. Seit jeher sei die Gestaltung vielfältig, abhängig von Region, Stilepoche und nicht zuletzt den finanziell­en Möglichkei­ten ihrer Besitzer. Es gebe ja auch keinen typischen Tischlerga­rten. . . Sommerlich­e Pracht: Visitengar­ten auf dem Hof Wehlburg. Kleines Bild links: Auch Hühner liebten Nutzgärten. Die Henne macht es sich unter Johannisbe­eren bequem.

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