Als das Schöne zum Nützlichen kam
Freilichtmuseum dokumentiert Entwicklung vom Versorgungsgarten zum Prestigeobjekt
Früher gehörten große Gärten auf dem Lande zu jeder Hofanlage. Viele der ländlichen Gartenformen sind heutzutage kaum noch bekannt. Im Museumsdorf werden sie wieder „erlebbar“.
CLOPPENBURG Welche Pracht! Voller Bewunderung spazieren die Herrschaften durch den Visitengarten der Hofanlage Wehlburg. Eine Buchenhecke umrahmt die Zierde des Hauses. Mächtige Eibensäulen, duftende Rosen, Hortensien, Kaiserkronen und Rittersporn ergötzen das Auge, schattige Laubenplätze laden zum Kaffeesieren ein.
Schon im 19. Jahrhundert erfüllten solche Anlagen ihre Besitzer mit Stolz und Freude. Und was gab es Schöneres, als bei den beliebten sonntäglichen Visiten – den Besuchen – Nachbarn und Freunde mit derartiger Gartenkunst zu beeindrucken!
Auch ich bin zur „Visite“im Welhburg-Garten verabredet. Ich treffe mich mit Elke Schwender. Die Diplom-Ingenieurin ist seit vielen Jahren zuständig für die Gartendenkmalpflege und Grünplanung im Cloppenburger Freilichtmuseum. Eine ihrer vielfältigen Aufgaben ist es, die Gärten nach historischem Vorbild zu gestalten. Den Adelsgarten, den bäuerlichen Versorgungsgarten, den Ausflugsgarten am Dorfkrug oder eben den repräsentativen Visitengarten.
Viele dieser ländlichen Gartenformen sind heute kaum noch bekannt. Schwender möchte sie erhalten und wieder „erlebbar“machen. Mit Blumen, Früchten, Gemüsesorten und Gehölzen, die schon unsere Urgroßeltern kannten.
Blühende Statussymbole
Besonders spannend findet sie die Zeit um 1900 – „für mich das Jahrhundert der Gartenkultur“. Damals wuchs auch in der ländlichen Bevölkerung das Interesse an schönen und außergewöhnlichen Zierpflanzen. „Wer auf sich hielt, orientierte sich am Vorbild der Klöster und Schlossanlagen“, erzählt sie, „streng geometrisch
angelegte Beete sowie kunstvolle Ornamente und Figuren sollten den Sieg der kultivierten Menschheit über die wilde Natur demonstrieren.“Gartenzaun und Gartenpforte kamen in Mode, es gab von Efeu umrankte Pavillons, Brunnen, Laubengänge oder – damals total angesagt – die „steinerne Grotte“, einen lauschigen Sitzplatz mit aufgeschichteten Feldsteinen. Gärten wie diese dienten aber nicht nur der Liebhaberei. Es waren Statussymbole, echte Prestigeobjekte. „Allein der Arbeitsaufwand – für ein Stück Land, das im Grunde Termin im großen Veranstaltungsprogramm ist das „Erntefest“am 7. Oktober, ein Erlebnistag, an dem sich alles ums Ernten und Essen dreht.
Öffnungszeiten:
März bis Oktober 9–18 Uhr, November bis Februar 9–16.30 Uhr. @ www.museumsdorf.de
Pnichts einbrachte!“, bestätigt die Expertin. Nur wohlhabende Bauern konnten sich diesen Luxus leisten.
Anders sieht es nebenan auf dem Ostfriesischen Gulfhof von 1903 aus. Hier lebte Wübbe Meyer mit seiner Großfamilie. Natürlich hatte auch er einen Garten. Auf dem Lande war man Selbstversorger, ob Großbauer, Heuerling oder Landarbeiter. Allerdings kam hier erst viel später das „Schöne zum Nützlichen“. Im Obst- und Gemüsegarten hinter dem Haus wuchs, was für die tägliche Ernährung lebensnotwendig war: Frühkartoffeln, Kohl in allen Varianten, Busch- und Stangenbohnen, Lauch und Zuckererbsen. Vielleicht noch ein paar Heilkräuter und Gewürze. Aber Blumenbeete? Höchstens im kleinen Vorgarten, Elke Schwender in der steinernen Grotte
zur Straßenseite hin.
Zwischen den Bohnen wird gerade fleißig gehackt. Elke Schwender legt großen Wert auf samenfeste, vermehrungsfähige Sorten. Das Saatgut bezieht sie vom Verein Dreschflegel, der sich für die Züchtung und Verbreitung historischer Kulturpflanzen engagiert. So wachsen hier Bohnen in Arten und Varianten, deren Namen ich noch nie gehört habe – die „Dreifache Weiße“, die „Einlochbohne“, „Padlegers“oder „Ostfriesische Speckbohne“.
Exklusiver Grünkohl
Eine echte Spezialität seien die „Updrögt Bohnen“, erklärt sie. Es handelt sich um Buschbohnen, die auf einen Faden gezogen und für mehrere Wochen unters Dach zum Trock- nen aufgehängt wurden. Im Winter wurden sie dann eingeweicht und stundenlang mit Wasser und Speck gekocht. „Ostfriesen schwören drauf!“, sagt sie, schüttelt sich und lacht.
Dann doch lieber die Ostfriesenpalme! Da steht sie in ihrer ganzen Pracht, stolze 1,20 Meter hoch! Früher hatte fast jeder Hof seine eigene, über Generationen weiter entwickelte Grünkohlsorte. Und auch Schwender konnte durch gezielte Auslese der Saatpflanzen eine exklusive Hausmarke für das Museum heranziehen – „wir werden sie wohl Cloppenburger Sorte nennen!“
Am Ende unserer Gartentour klärt meine Gesprächspartnerin mich noch über einen weit verbreiteten Irrtum auf. Den Stil „Bauerngarten“habe es nie gegeben. Seit jeher sei die Gestaltung vielfältig, abhängig von Region, Stilepoche und nicht zuletzt den finanziellen Möglichkeiten ihrer Besitzer. Es gebe ja auch keinen typischen Tischlergarten. . . Sommerliche Pracht: Visitengarten auf dem Hof Wehlburg. Kleines Bild links: Auch Hühner liebten Nutzgärten. Die Henne macht es sich unter Johannisbeeren bequem.