Heute zweiter Teil: 5000 Tage Einzelhaft – der Fall Bogner
Ein Mörder klagt die Gesellschaft an – Zweiter und letzter Teil der großen NWZ-Reportage
Christian Bogner gilt als einer gefährlichsten Verbrecher eutschlands. Sein Leben lang hat er sich nicht an Recht und Gesetz gehalten. Jetzt sagt er: Ihr tut mir Unrecht!
OLD NBU nn einem Sommertag ziehe ich im Warteraum der Justizvollzugsanstalt (JVA) Oldenburg Schuhe, Socken und Gürtel aus, gehe durch den Metalldetektor, lasse mich abtasten. Ein Justizvollzugsbeamter führt mich durch mehrere Schleusen, dann erreichen wir die Sicherheitsstation. Wieder eine Schleuse: Der Beamte gibt einem Kollegen seinen Schlüsselbund, auf dieser Station darf niemand einen Schlüssel am Mann tragen. Hier, im „Gefängnis im Gefängnis“, gilt die höchste Sicherheitsstufe. KAPITEL IV:
GEFANGENENBESUCH
Christian Bogner wartet bereits im Besucherraum, eingesperrt hinter Panzerglas. Ein Wachmann wird beim Gespräch dabei bleiben, Sicherheitsvorschrift. Bogner springt auf und winkt, er freut sich: Besuch! „Hallo, Herr Krogmann!“Seine Stimme knarzt blechern aus der Gegensprechanlage.
Bogner sieht jünger aus als 62 Jahre: ein schlanker Mann, volles Haar, immer in Bewegung. Früher, sagt er, habe er viel Sport gemacht, „laufen, sprinten, ich war sehr antrittsstark“. Es klingt lustig, wenn das ein Mann sagt, der so oft aus dem Gefängnis weglief. Bogner sagt, sein Vater habe ihn umbringen wollen, als er 15 war. „Aber ich war schneller, ich konnte fliehen.“Heute läuft er nicht mehr, „der Antrieb fehlt“, sagt er. Aber er macht Sit-ups, „alle drei Tage 350, in Zehnersätzen“.
Bernd Maelicke, der Gefängnisexperte, sagte 2014 im „Zeit“-Interview über Christian Bogner: „Es ist anzunehmen, dass er keine liebevolle Kindheit hatte. Aber ich habe keine Ahnung, ob irgendwas stimmt, was der Mann sagt. Ich würde alles erst mal bezweifeln.“Heute äußert sich Maelicke, 77 Jahre alt, nicht mehr öffentlich über Bogner; es gab juristischen Ärger.
Im modernen Strafvollzug geht man davon aus, dass Ausbrecher nicht mehr heimlich über Mauern klettern und Bettlaken zusammenknoten. Man geht davon aus, dass sie andere Mittel einsetzen, wenn sie fliehen wollen: Sie manipulieren Mitgefangene oder Mitarbeiter, sie bezahlen sie, sie bedrohen sie, sie nehmen sie als Geiseln.
Auch im Fall Bogner, wo man weiterhin von einer „hohen Fluchtbereitschaft“ausgehen müsse, sei eher „an einen Fluchtversuch mittels Geiselnahme zu denken“, schreibt der psychiatrische Gutachter Professor Dr. Norbert Leygraf.
Leygraf stellt 2011 bei Bogner „prognostisch insgesamt eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerer Straftaten einschließlich von Tötungsdelikten“fest. Er attestiert ihm ein „außerordentliches Manipulationsvermögen“und eine „hohe Intelligenz“. Eine Absonderung Bogners von Mitgefangenen des Normalvollzugs
sei „unerlässlich“und „alternativlos“, so Leygraf. Mit Blick auf ein „manipulatives Beziehungsgeflecht“zu Gefängnis-Bediensteten empfiehlt er eine regelmäßige Verlegung des Gefangenen zwischen drei Anstalten. Eine erneute Begutachtung sei vor Ablauf von vier oder fünf Jahren nicht sinnvoll.
2016 erstellt Professor Dr. Hans-Ludwig Kröber ein neues Gutachten. Er bestätigt die Einschätzung seines Kollegen Leygraf: Die Unterbringung in der Sicherheitsstation sei weiterhin unerlässlich, den Wechsel zwischen drei Haftanstalten hält auch Kröber für „sinnvoll“. Eine erneute Begutachtung sei vor Ablauf von vier Jahren nicht sinnvoll.
„Ich sitze in der Gutachterfalle“, sagt Christian Bogner im Besucherraum der Sicherheitsstation. Er zuckt mit den Schultern und lächelt schief.
Mit mir sprechen die Gutachter nicht über Bogner. Leygraf teilt mit, er äußere sich „grundsätzlich nicht über Probanden“, „ob mit oder ohne Schweigepflichtentbindung“. Kröber antwortet erst gar nicht auf meine Anfrage.
Früher, sagt Bogner, habe er im Gefängnis wenigstens arbeiten können. Er faltete Biomülltüten, allein in einem abgeschlossenen Raum auf der Sicherheitsstation. Jetzt könne er das nicht mehr, seine Schulterverletzung mache ihm zu schaffen: eine Schusswunde, zugefügt auf der Flucht. Seine Tage verbringt er seither im Haftraum, „nur mit mir allein“, berichtet er: „beim Aufstehen, beim Frühstück, beim Hofgang, beim Duschen, bei jeder Mahlzeit, jeder Tasse Kaffee, bei jedem Albtraum, bei jeder Verstimmung, bei jeder schlechten Nachricht in den Medien, beim Fernsehen, beim Musikhören, beim Schreiben, beim Lesen und beim Nachdenken über das Gelesene, 24 Stunden Tag und Nacht, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr“.
Ich frage Bogner, wann er das letzte Mal privaten Besuch hatte im Gefängnis. Er muss lange nachdenken, dann fällt es ihm ein: „Norbert war da!“Norbert ist ein ehemaliger Mithäftling, sie kennen sich aus der Zeit vor 2004, als Bogner noch im Normalvollzug saß. Als er mir von Norberts Besuch erzählt, liegt dieser bereits mehr als ein Jahr zurück.
Kriminelle halten sich
nicht an Recht und Gesetz. Wie gehen wir damit um, wenn sie Recht und Gesetz von uns einfordern? Wenn sie, so wie Christian Bogner, sagen: IHR tut mir Unrecht an?
Im Oldenburger Gefängnis gilt der Fall Bogner als Chefsache, „da sind wir raus“, heißt es. Chefsache bedeutet hier: Zuständig ist das Justizministerium in Hannover, die JVA in Oldenburg ist nur ausführendes Organ.
Im Ministerium erklärt eine Sprecherin, dass Einzelhaft immer als „Ultima Ratio“angeordnet werde, als letztes mögliches Mittel. Sie verweist auf Paragraf 82 des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes, darin ist die Einzelhaft geregelt. „Einzelhaft von mehr als drei Monaten Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung des Fachministeriums“, heißt es in Absatz 2. Diese Zustimmung vom Ministerium gibt es im Fall Bogner, wieder und wieder.
Das Ministerium bittet um Verständnis, dass man ansonsten keine Auskünfte zu Inhaftierten erteilen könne, „aus grundsätzlichen Erwägungen zur Sicherheit und Ordnung“und „aus Gründen der Wahrung der Persönlichkeitsrechte“. Um wessen Persönlichkeitsrechte es geht, teilt das Ministerium nicht mit. Um die von Christian Bogner, der verzweifelt selbst die Öffentlichkeit sucht?
In seinem psychiatrischen Gutachten schreibt Professor Kröber: „Natürlich birgt die Vereinsamung eines Gefangenen in der Sicherheitsstation stets Gefahren für die psychische Verfassung.“Es sei aber festzustellen, „dass Herr Bogner mit dieser Situation erstaunlich gut zurechtkommt“.
Kröbers Kollege Leygraf sieht es ähnlich. Er schreibt, Bogner sei „ein emotional stabiler, agiler und optimistisch eingestellter Mann mit einer Mitteilungsfreude“. KAPITEL V:
„ES GIBT DAS BÖSE“
Manchmal, teilt Bogner mir mit, quälen ihn „überfallartig auftretende Depressionsschübe, die mich zuweilen komplett auf den Boden des Haftraums drücken“. Das Alleinsein „tut weh“, sagt er, sein einziger Gesprächspartner sei Kurt: „eine etwa dreißig Zentimeter große Koalabär-Nachbildung aus dem Hause Steiff“.
Ein Stofftier namens Kurt als einziger Gesprächspartner:
Christian Bogner, dem seine Gutachter eine „überdurchschnittliche Intelligenz“und „hohe manipulative Fähigkeit“bescheinigen, weiß, welche Details Journalisten gern in ihre Reportagen schreiben.
„Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden“, so steht es im Strafvollzugsgesetz. Und: „Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“
Aber was ist mit den Gefangenen, die vermutlich nicht wieder herauskommen?
Christian Bogner sagt, er stelle sich jeden Tag vor, was er tun würde, wenn er eines Tages doch entlassen werde. Er sagt: Er würde gern ein Unternehmen gründen. Darauf bereitet er sich vor. Er liest Bücher, studiert Buchführung und Rechnungswesen, er informiert sich über Steuerrecht und Versicherungspflichten. Er hat sogar schon einen Businessplan geschrieben für die Bank, die ihm das Existenzgründungsdarlehen bewilligen soll.
Nebenbei arbeitet er an einem Wiederaufnahmeverfahren. Bogner, ein rechtskräftig verurteilter Mörder, behauptet, er sei kein Mörder. Ja, sagt er, er habe schwere
Straftaten begangen. „Aber ich bin kein gewalttätiger Mensch“, sagt er. Der Gärtner Danielsen, Bogner nennt ihn im Gespräch immer nur „mein Freund“, sei durch einen Unfall gestorben.
In den Bogner-Gutachten ist immer wieder von Lügen und Täuschungen die Rede, von Simulation, von mangelndem Mitgefühl und ausgesprochener Gewissenlosigkeit. Jeder, mit dem ich über Bogner spreche, warnt mich: Bogner sei ein Meister der Manipulation. Er manipuliere alle Menschen, die länger mit ihm zu tun hätten, um sie für seine Zwecke einzuspannen.
„Es gibt das Böse“, sagt der Strafvollzugsexperte Bernd Maelicke in seinem Interview mit der „Zeit“, „es gibt durch und durch böse Menschen. Die müssen weggesperrt werden, dürfen in diesem Zustand nie mehr auf die Menschen losgelassen werden.“ KAPITEL VI:
MANIPULATIONSVE DACHT
„So“, sagt im Besucherzimmer der Sicherheitsstation der Wachmann, „wir müssen jetzt zum Ende kommen.“Die Besuchszeit ist vorbei.
Christian Bogner winkt mir hinterher, er lächelt. Er muss hinter der Trennscheibe warten. Erst wenn ich die Sicherheitsstation verlassen habe, darf die Tür zu seinem Teil
des Besucherzimmers aufgeschlossen werden. Ein Beamter wird ihn zurück in seinen Haftraum bringen.
Es ist früher Nachmittag, draußen scheint die Sonne. Das Gespräch mit mir war das letzte Gespräch für Christian Bogner heute.
„Es ist mir unverständlich, wie ein Mensch das aushalten kann“, sagt Helmut Pollähne, Bogners Anwalt. Er hat Verfassungsbeschwerde im Fall Bogner eingereicht: Seiner Ansicht nach werden Bogners Grund- und Menschenrechte in der Haft verletzt. „So etwas wie im Fall Bogner habe ich noch nicht erlebt“, sagt er.
Pollähne arbeitet unentgeltlich, ein Langzeitgefangener wie Christian Bogner hat kein Geld für einen Anwalt. Ist Pollähne bereits manipuliert worden von Bogner? Ist ein Journalist, der über Bogner schreibt, manipuliert? Bin ich manipuliert? Diese Fragen beschäftigen mich während der gesamten Recherche.
Neulich landete wieder der Hubschrauber im Oldenburger Gefängnishof. Das Spezialeinsatzkommando stieg aus, es ging in die Sicherheitsstation, fesselte Bogner, brachte ihn zum Hubschrauber. Der Hubschrauber flog diesmal nach Sehnde. Bogner lebt dort unter den gleichen Haftbedingungen wie in Oldenburg, nur der Haftraum ist ein wenig kleiner.
Bogner schreibt mir zunächst von dort, dann bricht er den Kontakt ab. In einem letzten Brief teilt er mir mit, dass er jetzt mit einem Journalisten zusammenarbeite. Dessen Recherchen würden „unweigerlich dazu führen, dass endlich all die Dinge, die schon vor vielen Jahren zum Nachweis meiner Unschuld hätten geklärt werden können und müssen, nun mit Volldampf in Bewegung geraten“.
Soll man über jemanden wie Bogner schreiben oder nicht? Ich habe diesen Text geschrieben – und ihn dann Monate lang liegengelassen. Erst jetzt habe ich mich entschieden: Auch ein Mann wie Christian Bogner soll das Recht haben, seine Geschichte zu erzählen.
Das hier ist sie.