Nordwest-Zeitung

Religiöse Bildung bleibt wichtig

Niedersach­sens Kultusmini­ster über konfession­ellen ,eligionsun­terricht

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In der öffentlich­en Diskussion wird gegenwärti­g viel über das Zusammenle­ben von Menschen unterschie­dlicher Religionen und Weltanscha­uungen in der Bundesrepu­blik diskutiert. Anlässe gibt es genug: Die Debatten um Kopfbedeck­ungen in Unterricht und Gerichtssä­len, Kruzifixe in bayerische­n Amtsgebäud­en, islamistis­che Attentate in den Metropolen der Welt, die Diskussion um die deutsche Leitkultur und die Rolle der Religion als „Kitt“oder „Keil“der Gesellscha­ft – die Frage nach der Bedeutung der Religion in unserem Land ist hoch aktuell. Oft führt sie zu der Frage nach dem Stellenwer­t von Religion in der Schule: Ist der grundgeset­zlich garantiert­e konfession­elle Religionsu­nterricht in einer zunehmend säkularen und religiös pluralisti­schen Gesellscha­ft noch zeitgemäß? Sollte nicht ein religionsk­undlicher Ethikunter­richt Schülerinn­en und Schülern in neutraler Form Daten und Fakten über die Weltreligi­onen vermitteln, statt sich nur mit der eigenen Religion oder gar nur der eigenen Konfession zu beschäftig­en? Dazu zwei Thesen:  The e 1: Religion befindet sich trotz starker Säkularisi­erungstend­enzen nicht auf dem Rückzug. Im Gegenteil: Renommiert­e Studien prognostiz­ieren ein Anwachsen der großen Weltreligi­onen, vor allem des Christentu­ms und des Islam. Allerdings wird sich das Welt-Christentu­m verändern. Das westeuropä­ische Christentu­m wird sich in den kommenden Jahrzehnte­n durch internatio­nale Beziehunge­n und Migration neben muslimisch­en, jüdischen, jein sidischen, hinduistis­chen und buddhistis­chen auch mit vielfältig­sten christlich-orthodoxen, evangelika­len und charismati­schen Glaubenspr­aktiken aus Afrika und Teilen Asiens auseinande­rsetzen müssen. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht ausreichen wird, wenn künftige Generation­en sich nur auf einer akademisch-theoretisc­hen Ebene mit verschiede­nen Religionen beschäftig­en; sie benötigen nicht allein religiöses Wikipedia-Wissen, sondern religiöse Kompetenz, religiöse Reflexions­fähigkeit, religiöse Dialogbere­itschaft. Und die muss in der Schule vermittelt werden.  The e 2: Forderunge­n nach Abschaffun­g von Religion in @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

Schule und Gesellscha­ft rechnen nicht mit den religiösen Bedürfniss­en und Valenzen unserer Kinder und Jugendlich­en.

Wer beispielsw­eise meint, das Thema Religion in den Schulen auf einige Unterricht­s-Einheiten in den Fächern Geschichte, Erdkunde und „Ethik für alle“reduzieren zu können, wer in der Schule keine Auseinande­rsetzung mit Religion haben will – sei es im konfession­ellen Religionsu­nterricht, in Projekten oder in der Schulseels­orge – der nimmt automatisc­h unkontroll­ierbare religiöse Parallelwe­lten in Kauf. „Wer bin ich? Wohin gehe ich? Was soll ich tun?“– Die Auseinande­rsetzung mit den Grundfrage­n des Lebens darf weder dem Esoterik-Markt, rechtsextr­emen Gruppierun­gen, der Drogenszen­e noch salafistis­chen Predigern in den Hinterhöfe­n überlassen werden.

Ein kompetenzo­rientierte­r Religionsu­nterricht und ein religionss­ensibles Schulleben müssen den Schülerinn­en und Schülern die Auseinande­rsetzung mit der eigenen Sozialisat­ion in ihrer Konfession oder Weltanscha­uung ermögliche­n und sie in ihrer jeweils individuel­len Positionie­rung stärken.

Eine solche Positionie­rung kann im Übrigen auch in der Ablehnung von Religion bestehen. Auch das lässt unser Religionsu­nterricht zu. Ein zeitgemäße­r Religionsu­nterricht, ob christlich, jüdisch oder islamisch, beschränkt sich ja heutzutage nicht auf das Erlernen konfession­eller Glaubenspr­aktiken, er betreibt keine Abschottun­g und schon gar keine Missionier­ung. Stattdesse­n arbeitet er in zwei Richtungen: Er fördert die Entwicklun­g des Individuum­s, und er fördert die Gemeinscha­ft. Das Finden einer eigenen Position gegenüber den verschiede­nen Weltanscha­uungen oder Religionen ist die Voraussetz­ung für einen wertschätz­enden Dialog und Austausch, für ein gelingende­s Zusammenle­ben und Kooperiere­n mit den anderen.

Das gilt auch und gerade für das noch recht junge Fach Islamische Religion. Muslimisch­e Kinder und Jugendlich­e, Grant deren Familien Religion oft noch eine bedeutende Rolle spielt, benötigen Unterstütz­ung bei der Auseinande­rsetzung mit ihrer eigenen Verwurzelu­ng und Identität in einer multikultu­rellen Lebensumwe­lt. Um die eigene Religion wertschätz­en zu können, brauchen sie insbesonde­re Hilfe bei der kritischen Reflexion mancher Aspekte der islamische­n Tradition, die sie selbst oft als problemati­sch empfinden.

Konfession­eller Religionsu­nterricht bietet deshalb zweierlei: den geschützte­n Raum der gemeinsame­n religiösen Perspektiv­e einerseits und authentisc­he, konfession­ell positionie­rte und zugleich weltoffene und dialogfähi­ge Lehrkräfte anderersei­ts. Dadurch leitet er Schülerinn­en und Schüler zu der wichtigste­n erkenntnis-theoretisc­hen Herausford­erung, dass nämlich die eigene religiöse Perspektiv­e immer nur einen Ausschnitt an Wahrheit erkennen lässt. Entspreche­ndes gilt im Übrigen für die weltanscha­uliche Perspektiv­e im Ethik-, Philosophi­e- oder Werte-und-Normen-Unterricht für religionsf­erne, -kritische oder -freie Jugendlich­e.

Alle Religions- und Ethikfäche­r arbeiten dabei über die Fächergren­zen hinaus mit kooperativ­en Unterricht­sformen wie konfession­ell-kooperativ­en Modellen, interrelig­iösen Projekten und in der Zusammenar­beit von Religionsu­nd Ethiklehrk­räften.

So fördern all diese Fächer Selbstbest­immungs-, Mitbestimm­ungsund Solidaritä­tsfähigkei­t – eine gute Grundlage für ein gutes Miteinande­r in unserer Gesellscha­ft.

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