Brexit-Sorgen oder „Mumbo Jumbo“?
Immer mehr Unternehmen fürchten 6tellenabbau und drohen mit Wegzug
Jaguar Land Rover sieht eine unsichere Zukunft. Das Kabinett trifft sich zu einer 6ondersitzung.
LONDON Airbus, Siemens, BMW, sogar die Traditionsmarke Jaguar Land Rover – immer mehr Industrieunternehmen in Großbritannien wagen sich in Sachen Brexit inzwischen aus der Deckung. Sie fordern ganz offen eine Abkehr vom harten BrexitKurs der Regierung. Vor allem aber wollen sie endlich Klarheit, wie das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien aussehen soll.
Das Kabinett will sich an diesem Freitag bei einer Sondersitzung auf einen Plan für die Nach-Brexit-Zeit einigen. Doch es ist weiterhin tief zerstritten. Die einen fordern einen klaren Bruch mit Brüssel. Die anderen wollen so eng wie möglich an die EU gebunden bleiben.
Der Regierung zufolge gibt einen Mittelweg – doch wie der aussehen soll, ist noch geheim. Spekulationen, Premierministerin Theresa May könnte nun doch eine enge Anbindung an die EU suchen, haben das Brexit-Lager missDeutlich
trauisch gemacht. Sicher ist nur eines: Am 29. März 2019 wird Großbritannien aus der EU ausscheiden, mit Abkommen oder ohne.
Schlittert das Land 2019 ohne Abkommen aus der EU, wäre auch die bereits verabredete Übergangsphase von knapp zwei Jahren hinfällig. Am Brexit-Tag würde Chaos ausbrechen. Zölle müssten eingeführt werden, Warenkontrollen an den Grenzen wären nötig. Ein Szenario, für das weder die britischen Zollbehörden noch die auf dem
Kontinent gerüstet wären.
Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Das habe etwa in der Autoindustrie dazu geführt, dass Investitionen im Vergleich zum Vorjahr beinahe um die Hälfte gesunken seien, teilte der Verband der britischen Autohersteller und -händler (SMMT) jüngst mit.
Die Zollunion garantiert freien Warenverkehr über Binnengrenzen hinweg. Voraussetzung dafür sind aber gemeinsame Außenzölle. Der Binnenmarkt sorgt dafür, dass keine rechtlichen Hürden die
Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Geld und Dienstleistungen innerhalb der EU einschränken. Bislang will London aus beiden Regelwerken austreten, gleichzeitig aber den Handel so „durchlässig wie möglich“gestalten. Wie das gehen soll, ist noch ein Rätsel.
„Über die beiden vergangenen Jahre hinweg war die Wirtschaft geduldig“, sagte der Chef des britischen Handelskammerverbands BCC, Adam Marshall. Jetzt sei jedoch das Fass am überlaufen. wird das vor allem daran, dass sich inzwischen viele Unternehmen kritisch zu Wort melden, die bisher geschwiegen haben.
„Wir brauchen dringend mehr Sicherheit, um weiter stark in Großbritannien zu investieren und unsere Lieferanten, Kunden und 40000 Angestellte in Großbritannien zu schützen“, erklärte Jaguar Land Rover am Donnerstag. Wenn der freie Handel mit der EU und der unbeschränkte Zugang zum Binnenmarkt verloren gingen, sei die Zukunft ungewiss.
Airbus hatte im Fall eines harten Brexits ohne Abkommen mit dem Teil-Rückzug aus Großbritannien gedroht. „Einfach ausgedrückt gefährdet ein Szenario ohne Deal direkt die Zukunft von Airbus im Vereinigten Königreich“, so Tom Williams, Leiter Verkehrsflugzeug-Produktion.
Ob die Warnungen bei den Brexit-Hardlinern im Kabinett Gehör finden, darf bezweifelt werden. Außenminister und Brexit-Wortführer Boris Johnson soll darauf angesprochen mit einem Kraftausdruck reagiert haben, der mit „Scheiß auf die Wirtschaft“übersetzt werden kann. Er nennt die Sorgen der Wirtschaft auch gern „Mumbo Jumbo“, was so viel wie „Mumpitz“bedeutet.