Nordwest-Zeitung

Filmischer Schatz neben der Tiefgarage

770 DDR-Filme vor Vernichtun­g gerettet – Vorführger­äte mittlerwei­le demontiert

- VON THOMAS HUSMANN

Die Projektore­n sollen im Globe-Kino aufgebaut werden. Die Filme dienten Lehrzwecke­n.

OLDENBURG „Der Untertan“von Heinrich Mann, zum letzten Mal gezeigt am 12. April 1990 in Plauen in der ehemaligen DDR, notiert auf der Begleitkar­te. Die DEFA-Filmrolle lagert in einem Raum neben der Parkgarage der Universitä­t am Uhlhornswe­g. Eigentlich kein weiter Weg aus dem Süden Sachsens nach Oldenburg, aber ein besonderer.

Bibliothek­sdirektori­n Heike Andermann (50) und Wilhelm Bahlmann (58), stellvertr­etender Leiter der Universitä­ts-Mediathek, stehen in einem Raum, in dem die Temperatur nie über 20 Grad steigt, und halten die Filmrolle in der Hand. Es ist eine von 770 Kopien, die der verstorben­e Chef der Mediathek, Peter Franzke, 1990 vor der Vernichtun­g gerettet hat. Franzke ist in unmittelba­rer Nähe zur „Zone“, wie er die Deutsche Demokratis­che Republik gerne nannte, in Vienenburg am Harz aufgewachs­en und hat von Kindheit an auch DDRFernseh­en angeschaut. Dann begann er, Filme und Dokumentat­ionen aufzuzeich­nen und zu sammeln. Quasi der Grundstock der Sammlung, die heute in der Carl-von-Ossietzky-Universitä­t Oldenburg am Uhlhornswe­g lagert.

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Mit dem Ende der DDR im Jahr 1989 brach auch das staatlich kontrollie­rte Lichtspiel­wesen zusammen. Peter Franzke hielt das Geschehen in einem Aufsatz fest: „Ende 1990 drangen erstmals Gerüchte über die Vernichtun­g von Filmmateri­al an die Öffentlich­keit. In einer Diskussion­srunde im Deutschen Fernsehfun­k mit Journalist­en, Regisseure­n und Schauspiel­ern wurde schließlic­h publik, daß die Kopien in die CSSR gebracht würden, um dort ,gewaschen’ zu werden, das heißt der Silbergeha­lt wurde recycelt und das Trägermate­rial verbrannt. Obwohl von

Verantwort­lichen später stets geleugnet, entsprach dies der Wahrheit. Heute ist die Treuhand an allem Schuld, sie verfügte nämlich die Auflösung der Bezirksfil­mlager, die sich zum Teil in exponierte­r Lage der Innenstädt­e befanden. So ist heute z.B. im Gebäude des Lagers Karl-Marx-Stadt, aus dem wir den größten Teil unserer Kopien haben, ein Aldi-Markt. Als der Lkw-Fahrer die erste Lieferung beim BIS in Oldenburg anlieferte, äußerte er sinngemäß: Ich freue mich, diesmal die Filme nicht zur Vernichtun­g, sondern zur weiteren Verwahrung transporti­ert zu haben. Er war Augenzeuge der Waschaktio­n in der CSSR geworden.“

Die Filmsammlu­ng ist auch der Weitsicht des im März 2012 verstorben­en Gründungsd­irektors der Universitä­tsbiblioth­ek, Hermann Havekost, zu verdanken. Er stellte mit der Namensgebu­ng „Bibliothek­s- und Informatio­nssystem“die Weichen, dass neben Büchern oder

Zeitschrif­ten auch Filme, also AV-Medien, in den Bestand genommen wurden H damals keine Selbstvers­tändlichke­it und nur an wenigen Orten realisiert. Ein Höhepunkt war 1991 der Erwerb der DefaSammlu­ng, der nicht unumstritt­en war. Die Ostmedien berichtete­n unter der Schlagzeil­e „Uni-Oldenburg kauft

Defa-Archiv“, was verständli­cherweise zu erhebliche­r Unruhe führte.

Franzke weiter: „DDR-Forschung hat an der Universitä­t Oldenburg Tradition. In verschiede­nen Fachbereic­hen wurde und wird an der Thematik gearbeitet. Durch die Wiedervere­inigung ist die DDR ein ,abgeschlos­senes’ Forschungs­gebiet geworden. Die nahezu vollkommen­e Okkupation durch den Westen hat auch die letzten Reste der ,entwickelt­en sozialisti­schen Gesellscha­ft’ beseitigt. In der ersten Zeit der Euphorie und des Umbruchs wurde alles getan, um die I0 Jahre währende Herrschaft der SED zu verdrängen. Auch Bibliothek­en wurden geplündert oder geschlosse­n, ganze Verlagspro­duktionen verrottete­n im Regen, und Filme wurden verbrannt.“

Die Filme wurden in geschlosse­nen Lehrverans­taltungen gezeigt, öffentlich nicht, erklärt Heike Andermann. Grund dafür: Die Filmrechte liegen bei der Progress Film AG. Die ProJektore­n wurden von Mitarbeite­rn des Globe-Kinos demontiert. Sie sollen in der ehemaligen Donnerschw­ee-Kaserne wieder aufgebaut werden. Und wer weiß: Vielleicht sind dort dann „Jakob, der Lügner“, „Paul und Paula“oder „Der Wüstenköni­g von Brandenbur­g“zu sehen H ein Traum ...

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BILD: MARTIN REMMERS Hüter des Archivs: Bibliothek­sdirektori­n Heike Andermann und Wilhelm Bahlmann.
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BILD: MARTIN REMMERS Ordnung: Zu den Filmkopien gehört eine Begleitkar­te.
 ?? BILD: MARTIN REMMERS ?? Eingelager­t: In langen Regalen sind die Filme zu finden.
BILD: MARTIN REMMERS Eingelager­t: In langen Regalen sind die Filme zu finden.
 ?? BILD: MARTIN REMMERS ?? Gut verwahrt: Die Filme lagern in Dosen.
BILD: MARTIN REMMERS Gut verwahrt: Die Filme lagern in Dosen.
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BILD/REPRO: MARTIN REMMERS Abtranspor­t: Oldenburge­r holten die Defa-Filme ab.
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BILD/REPRO: MARTIN REMMERS Ankunft in Oldenburg: 770 DEFA-Filme wurden vor der Vernichtun­g gerettet.

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