Die Rechts-Links-Partei
Wie die AfD mit sozialistischen Anleihen in Wahlkämpfen punkten will
Er wird ein entscheidender Tag werden – dieser 1. September 2019. Dann wird sich herausstellen, ob die AfD eine Episode in der Geschichte der Bundesrepublik bleibt, oder ob sie sich dauerhaft etabliert und vielleicht gar dieses Land mitregieren wird.
Am 1. September 2019 werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt, und im Moment könnte es in den Umfragen für die AfD kaum besser laufen: 18 Prozent in Thüringen (Linke 26, CDU 31), 22 Prozent in Brandenburg, (SPD und CDU jeweils 23) und 24 Prozent in Sachsen (CDU 32, Linke 19, SPD 9).
Die AfD profitierte von der Asylkrise. Und: Die Partei ist dabei, neue Themenfelder zu besetzen und ihr Image als ausschließliche Anti-Einwanderungs-Partei zu verändern. Es geht um das Soziale, und da zeichnet sich eine Strategie ab, die – auf alten Politikmodellen aus der Zwischenkriegszeit aufbauend – durchaus gefährlich-erfolgversprechend daher kommt.
Im Aufgalopp zur Bundestagswahl fremdelte die Partei noch deutlich mit der Sozial-, Arbeitsmarkt-, und Steuerpolitik. Das lief im Programm irgendwo hinten, enthielt Allgemeines zu Rente und Arbeitslosenversicherung sowie Widersprüchliches zu Steuersenkungen und sozialen Subventionen. Da waren deutlich die Wurzeln zu spüren. Die Partei hatte ja einmal als Projekt wirtschaftsliberaler Ökonomieprofessoren begonnen. Erst nach dem PetryPutsch und vor allem später, nach deren Ausbootung, verschwanden liberale Positionen. Mindestlohn und höhere Leistungen für Hartz-IV-Bezieher fanden so schon 2017 den Weg ins Wahlprogramm.
Doch nun ist in Teilen der AfD regelrecht der Sozialismus ausgebrochen – ein Sozialismus mit einer streng nationalen Note. Beispiel Rente: Anfang Juli stellte da auf dem Augsburger Parteitag die AfDFraktion im thüringer Landtag ein neues Rentenkonzept vor. Das Papier trägt die Handschrift des Fraktionschefs Björn Höcke. Die begleitende Rhetorik enthält einen Schuss Verschwörungstheorie und gleicht dem, was man auch von Links hört. Altersarmut habe ihre Ursache „an der durch interessierte Kreise ideologisch vorbereiteten und von den Altparteien bereitwillig umgesetzten Zerstörung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung“.
Das AfD-Rezept: Eine so genannte „Produktivitätsund Staatsbürgerrente“. Das Rentenniveau soll auf 50 Prozent steigen, finanziert durch Staatsspritzen. Für Geringverdiener soll es Zuschüsse geben – aber nur, wenn sie deutscher Staatsbürger sind. Riester-Rente und alle Zuschüsse zu Privatrenten sollen weg, Kinderlose mehr zahlen.
Ähnlich sieht es auch in der Arbeitsmarkt-Politik aus. Da fordert das Rentenpapier deutlich höhere Löhne. Gewerkschaften und Großunternehmen versagten hier zum Schaden der Kleinunternehmen und Arbeitnehmer. Da aber Löhne nicht vom Staat gemacht werden, will die AfD „alternative Gewerkschaften“, um ihr Programm durchzusetzen. Denn: „Die Gewerkschaftsbonzen sind längst korrumpiert“Im Osten hat sie eine solche gleich selbst gegründet. Auf der Webseite Jürgen Pohls – eines thüringer Bundestagsabgeordneten, der sich als Sozialexperte profiliert – bricht sich in diesem Zusammenhang erneut der Doppelklang von sozialistischer Rhetorik und nationaler Identitätspolitik Bahn. Da heißt es zum einen: „Die Altparteien haben die Interessen der Arbeitnehmer verraten. Sie versprachen mehr soziale Gerechtigkeit und schufen eine Gesellschaft, in der die Mittelschicht schrumpft, die Armut zunimmt und die Reichen immer reicher werden.“Zum anderen: „Sie holten
auch noch über eine Million Migranten ins Land. Die meisten sind schlecht oder gar nicht ausgebildet. Unter ihrer Last droht das Sozialsystem zu kollabieren.“
Diese Kombination von Sozialem und Nationalen hat in Deutschland Vorläufer, insbesondere in den Nationalbolschewisten der 20er Jahre auf den beiden extremen Flügeln des politischen Spektrums. In kommunistischen Kreisen war vom „Volksganzen“und dem „Volkskampf“die Rede. Auf der Rechten versuchte damals etwa Ernst Niekisch den Brückenschlag zwischen den sozialen Forderungen der Arbeiterbewegung und einer nationalen, staatszentrierten Identitätspolitik. In die gleiche Richtung zielte Oswald Spengler mit seinem „preußischen Sozialismus“.
In nationalkonservativen Kreisen waren und sind diese Ideen nicht vergessen. Da träumen einige von einer gemeinsamen „Querfront“linker und rechtsnationaler Kräfte gegen das liberale, kapitalistische System. Der gemeinsame Gegner soll einen, oder zumindest Stimmen bringen. Diskutiert wird das auch im Umfeld des bedeutendsten Thinktanks des deutschen Nationalkonservativismus – dem „Institut für Staatspolitik“im anhaltinischen Schnellroda. Es ist kein Zufall, dass dessen Chef, Götz Kubitschek, ein enger Höcke-Vertrauter ist.
In den 20er Jahren vermochte das Soziale die politischen Gegensätze letztlich nicht zu überbrücken. Die „Querfront“gab es nicht. Das könnte sich unter den Vorzeichen der bundesdeutschen Demokratie, den Problemen des Sozialstaates sowie einer Wählerschaft, die in der Mehrheit sowohl einen starken Staat als auch möglichst umfangreiche staatliche Wohlfahrt fordert, ändern. Das Soziale macht die AfD in weiten Kreisen anschlussfähig.
Im Frühjahr 2019 wird die AfD nun einen Sonderparteitag zur Sozialpolitik abhalten. In der Rentenfrage gibt es in der Partei durchaus auch abweichende Ideen, die allerdings noch nicht formuliert sind. Ob die AfD wirklich zu einer nationalbolschewistischen Wiedergängerin wird, dürfte danach klar sein.