Nordwest-Zeitung

Zum Leidwesen der Passagiere

Boom in der Luftfahrtb­ranche – Viele Bestellung­en und Lieferengp­ässe – Kapazitäte­n am Anschlag

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Die

Luftfahrtb­ranche trifft sich in diesen Tagen in Großbritan­nien und es ist eine Menge los. Neben den Luftfahrts­chauen in Farnboroug­h und Le Bourget in Europa spielt vor allem die in Dubai eine Rolle. Die ILA in Berlin hat eigentlich nur noch Nostalgiew­ert. Es ist eine Menge los auf dem Markt des Fliegens: bei den Flugzeugba­uern, den Fluggesell­schaften, aber auch für uns Verbrauche­r. Doch der Reihe nach.

Die Marktberei­nigung bei den Airlines ist weltweit in vollemGang­e und längst noch nicht beendet. Um nur ein paar Übernahmek­andidaten zu nennen: Alitalia und Air India stehen zur überfällig­en Übernahme, weil beide viel zu lange unter dem Schutz ihres Staates standen und den Markt abschotten wollten – getrieben vom nationalen Stolz. Aktuell: Norwegian. Die Airline ist klein, aber lukrativ– nur total überschuld­et. Alle wollen die Airline haben.

Die Flugzeugba­uer haben ganz andere Probleme: der Nachfrage standzuhal­ten. Die beiden Weltmarktf­ührer Airbus (Europa) und Boeing (USA) liefern sich ein ständiges Kopf-an-Kopf-Rennen, überbieten sich mit Ankündigun­gen, wie sie das Fliegen revolution­ieren wollen – und können dann nicht liefern – nämlich Flugzeuge. Der Alltag sind Auslieferu­ngsverzöge­rungen, Probleme mit Triebwerke­n und das Luxusprobl­em der zu vielen Aufträge. Wir reden hier wohlgemerk­t von börsennoti­erten Unternehme­n.

Hinzu kommt: Airbus ist derzeit zu sehr mit sich selbst beschäftig­t. Es wird praktisch die komplette Führungsma­nnschaft ausgewechs­elt.

Auf der Airshow in Farnboroug­h kassieren die Flugzeugba­uer nun wieder Unmengen an Aufträgen. Gefragt sind vor allem die Arbeitstie­re der Lüfte, die Kurz- und Mittelstre­ckenmaschi­nen. Das sind Flugzeuge der A320-Familie von Airbus und die aus dem 737-Stall von Boeing. Rund um den Globus sind stets mehr als zweitausen­d Boeing 737 gleichzeit­ig in der Luft. Al-

le zwei Sekunden startet oder landet irgendwo auf der Welt ein A320.

Wer immer auf einer Kurzoder Mittelstre­cke unterwegs ist, wird mit hoher Wahrschein­lichkeit in einem dieser beiden Flugzeugty­pen sitzen. Und die Erfolgsser­ie wird auf Jahre hinaus nicht abreißen. Airbus meldet 6000 offene Bestellung­en für die A320-Familie, Boeing liegen 4700 Aufträge für die 737 vor, die meisten für die modernste Version

Doch die Freude über die

Kauflaune der Airlines kann nicht über die fehlenden Nachrichte­n zu dem seit zwei Jahren diskutiert­en neuen Langstreck­enjet von Boeing hinwegtäus­chen, der inoffiziel­l denNamen 797 trägt. Wie schwer das sein kann, hat Airbus mit dem Super-Jumbo A380 leidvoll erfahren. Das Flugzeug ist bei Passagiere­n beliebt und effizient, dennoch findet es keine neuen Käufer.

Beide Hersteller fertigen derzeit 46 oder 47 Maschinen im Monat. Vom nächsten Jahr an sollen sowohl bei dem amerikanis­chen wie dem europäisch­en Hersteller jeden Monat 57 bis 60 Flugzeuge die Montagehal­len verlassen. Doch wie soll das alles gehen?

Mitten drin sitzen wir Passagiere. Touristen erleben einen schwierige­n Sommer.

Verschoben­e Starts, Verspätung­en, Ausfälle, Umbuchunge­n – der Flug wird in diesem Sommer zum notwendige­n Übel auf dem Weg zur Erholung. Im Sommer 2018 gilt: Wer in den Ferien fliegen will, muss Geduld im Gepäck haben. Daran haben nicht nur Fluggesell­schaften ihren Anteil, sondern auch Reisekonze­rne.

Gern erklärt die Branche die Zumutungen des Sommers zu Nachwehen des AirBerlin-Niedergang­s. Die zweitgrößt­e Fluggesell­schaft eines Landes verschwind­et eben nicht folgenlos. Aber von hausgemach­ten Ursachen sprechen die Fluggesell­schaften wenig. Sie haben Tickets verkauft, für die sie zum Zeitpunkt der Buchung weder Flugzeugeg noch Personal hatten. ÜberMonate flog in der Luftfahrt die Hoffnungmi­t, diese Nöte beheben zu können, bis die Urlauberma­ssen aufbrechen. Angesichts dieser Zumutungen erscheint eine Klage über die Gier der Fluggesell­schaften nach dem schnellen Geschäft naheliegen­d.

Das greift aber zu kurz. Die gesamte Reisebranc­he pflegt nämlich im Ferienflug ein System, das Abweichung­en und Änderungen als Dauerzusta­nd zulässt. Es ist Zeit zum Umdenken: Für den zahlenden Urlauber wäre es erholsamer, wenn nicht immer er der Flexible sein müsste.

Autor dieses Beitrages ist Norbert

Wahn. Er ist Luftfahrte­xperte dieser Zeitung und beobachtet deutsche und internatio­nale Märkte. @ Den Autor erreichen Sie unter Wahn@infoautor.de

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DPA-BILD: MATTHEWS Ein Airbus A380 wird bei der Farnboroug­h Internatio­nal Airshow ausgestell­t.
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