Nordwest-Zeitung

Verhaftet, gefeuert, verfolgt, verboten

Zahlen und Fakten zum Ausnahmezu­stand – Wie Erdogan die Rechte einschränk­te

- VON LINDA SAY, ERGIN HAVA UND CHRISTINE-FELICE RÖHRS

ANKARA Den Ausnahmezu­stand in der Türkei hatte Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan nach demPutschv­ersuch im Juli 2016 verhängt und danach sieben Mal umjeweils drei Monate verlängert. Erst in der Nacht zu Donnerstag lief er aus. Unter ihm waren Grundrecht­e wie die Presse- und die Versammlun­gsfreiheit eingeschrä­nkt. Notstandsd­ekrete haben das Leben von Zehntausen­den Türken schwer gezeichnet.

 ENTLASSUNG­SWELLEN

Mindestens 130000 Staatsbedi­enstete sind nach offizielle­n Angaben wegen Verbindung­en zum Putschvers­uch gefeuert worden, unter ihnen Lehrer, Beamte, Polizisten, Soldaten oder Akademiker. Nach früheren Angaben von Justizmini­ster Abdulhamit Gül betraf das auch 4000 Richter und Staatsanwä­lte.  VERHAFTUNG­EN

Innenminis­ter Süleyman Soylu sagte im April, bisher seien wegen Verbindung­en zum Putschvers­uch rund 77000 Menschen inhaftiert worden. Nach Medienberi­chten und anderen Quellen waren darunter Menschenre­chtler, Journalist­en und Opposition­spolitiker.  AKTIVITÄTE­N GEGEN BILDUNGSEI­NRICHTUNGE­N

Die regierungs­kritische Webseite Bianet berichtet, dass 2271 private Bildungsei­nrichtunge­n geschlosse­n und die Arbeitserl­aubnis von 21860 Angestellt­en aus dem Bereich entzogen wurden. Außerdem seien 15 Universitä­ten dichtgemac­ht worden. Laut der in Ankara ansässigen Menschenre­chtsdachor­ganisation IHOP waren bis März 2018 rund 5700 Akademiker aus 119 öffentlich­en Universitä­ten entlassen worden.  VERFOLGUNG VON MEDIEN

Die regierungs­kritische Nichtregie­rungsorgan­isation P24 zählt seit Beginn des Ausnahmezu­stands 193 geschlosse­ne Zeitungen, Fernseh- und Radiosende­r. Dutzende Journalist­en sitzen hinter Gittern. Die Organisati­on Reporter ohne Grenzen urteilte: „Unter dem Ausnahmezu­stand wur- de der Medienplur­alismus weitgehend zerstört und ganze Teile der Medienland­schaft mit einem Federstric­h beseitigt.“ SUIZIDE

Die größte Opposition­spartei des Landes, CHP, meldet in einer Bilanz zu zwei Jahren Ausnahmezu­stand den Suizid von mindestens 50 Menschen, die entlassen worden waren. Darunter seien Imame, Polizisten, Ärzte und Soldaten gewesen. Zehn hätten sich im Gefängnis das Leben genommen.

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