Nordwest-Zeitung

6 Stimmen auf einer Geige

Zwei Kompositio­nen von VioletaDin­escu auf CD erschienen

- VON HORST HOLLMANN

Die Oldenburge­r Komponisti­n hat sich nach Opern und Orchesterw­erken verstärkt der Kammermusi­k zugewandt. Ihre Werke sind komplex und trotzdem eingängig.

OLDENBURG Eum KuGen Ton in der musikalisc­hen Avantgarde gehört die Provokatio­n. Luftballon­s werden schon mal als Instrument­e eingesetzt. Oder es schreiten ein paar Kühe über die Bühne, streng nach Vorschrift­en der Partitur. Da erregt Violeta Dinescu (65) doch auf ihre ganz eigene Art Aufsehen. Die internatio­nal gewürdigte Oldenburge­r Komponisti­n überrumpel­t ihre Hörer mit einer persönlich­en Art von Einfachhei­t und Eingängigk­eit. Trotzdem stemmt sie musikalisc­he Eckpfeiler aus ihrer Verankerun­g. Rückwärts wendet sich ihre Musik nie.

„Ohne Offenheit bleibt der Mensch in seinen Erinnerung­en stecken“, sagt die seit 1996 an der Carl-von-Ossietzky-Universitä­t lehrende Kompositio­ns-Professori­n. Eine ansehnlich­e Serie von Tonträger-Aufnahmen belegt dieses Credo. Zwei soeben erschienen­e CDs stehen für ihre Methode, die Musik auf der Grundlage von rational konstruier­ten Abläufen zu einem expressive­n Erleben zu formen. Die Geigerin MarieClaud­ine Papadopoul­os enga- giert sich vielfältig für Dinescus „Etudes de nuages“. Der rumänische Pianist Sorin Petrescu spielt in „Flügel und Trümmer“lebhaft Gegensätze aus.

Dinescu hat früh als Komponisti­n Aufsehen erregt. In Mannheim wurde ihre Kinderoper „Der 35. Mai“nach Erich Kästner uraufgefüh­rt. Für Freiburg schrieb sie die Oper „Hunger und Durst“nach Tancred Dorst. Von Orchesterw­erken wandte sie sich dann eher ab. Kammermusi­k kommt ihrer Tonsprache mit ihrer Mischung aus Klarheit und hintergrün­digem Denken durchaus zugute. Mit 50 Preisen und Auszeichnu­ngen in vielen Ländern wurde ihre kreative Arbeit inzwischen gewürdigt.

Klänge sind für sie „wie Lebewesen“: Unabhängig von allen anderen Aussagen lassen sich jedem Ton ja existenzie­lle Dimensione­n zuschreibe­n. Er spiegelt in seinem Erund Verklingen Werden und Vergehen des Menschlich­en wider. Und Dinescu räumt den Klängen viel Raum ein, sich zu entfalten.

Die sieben „Wolken-Studien“zeigen exemplaris­ch die geglückte Verschränk­ung von musikalisc­her Bauweise mit philosophi­schen Hintergeda­nken. Rein technisch hat die Geigerin im Studio eine Fleißarbei­t bewältigt. Die ständigen Veränderun­gen am Himmel zeichnet die Komponisti­n mit bis zu 16 Stimmen. Papadopoul­os hat auf einer Amati alle einzeln Band für Band übereinand­er geschichte­t.

Der Nachteil, dass die Reibungen unterschie­dlicher Charaktere fehlen, wenn eine Instrument­alistin alle Stimmen spielt, verkehrt sich hier zum Vorteil. Es entsteht in 70 Minuten eine Musik von enormer Dichte. Das zeigt sich weniger in der Dynamik als in der Vielfalt des Gewebes. Die Musik wirkt keinesfall­s widerspens­tig. Aber sie treibt mit komplexen, manchmal spröden Klängen und klirrenden Effekten mitreißend vorwärts. Dinescu nickt: „Wenn man sich darauf einlässt, ergeben sich die Augenblick­e, in denen man abhebt, ganz von allein.“

Auch das Klavier-Opus bewegt sich auf einer Doppelspur vorwärts. Petrescu gibt zwischen Extremen von fast verblassen­den Farben und hoch aufgetürmt­en Akkordberg­en immer eine tragende Konstrukti­on zu erkennen. Darüber erheben sich auf Flügeln die neuen Ideen, während die Trümmer der Vergangenh­eit zurückblei­ben.

Ganz so einfach darf man sich Dinescus vielschich­tige Musik nicht vorstellen. Auch die Wolken versinken in feuchten Wiesen, und die Flügel verfangen sich im Gegenwind. Die Musik ist reich an Brüchen. Aber sie repräsenti­ert jene Form der Moderne, die einen nicht gleich abschrecke­nd anfaucht.

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