Nordwest-Zeitung

Der Flugzeugba­uer aus dem Hühnerstal­l

Tim Markwald fertigt mit M+D in Friedeburg Segelflugz­euge – Auch Wartung und Teile

- VON RÜDIGER ZU KLAMPEN

Der Unternehme­r aus Nordenham ist weltweit tätig. Sogar ein Triebwerk ist imAngebot.

FRIEDEBURG Tim Markwald hat ein helles Büro mit breiter Glasfront. Der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter von M+D Flugzeugba­u in Marx (Friedeburg/Kreis Wittmund) deutet aus dem Fenster. „In dieser Richtung liegt der Flugplatz.“Gut fünf Kilometer sind es von seinem Firmensitz bis zum kleinen Flugplatz Bohlenberg­erfeld (Friesland), von wo Markwald des Öfteren zum Geschäftsf­lug mit einer einmotorig­en Maschine abhebt, etwa in die Niederland­e. „Anderthalb Stunden hin, anderthalb zurück“, sagt er. Für ihn ist das berufliche Routine, nichts Besonderes. Sein Herz aber hängt am Segelflug. Das „sei die schönste Art des Fliegens“, schwärmt der 52-Jährige. Er liebt es, stundenlan­g durch die Lüfte zu gleiten, auch auf langen Strecken oder bei Wettflügen.

Irgendwann in seinem Lebenslauf reichte dem Hobbypilot­en der Segelflug nicht – er wollte eine eigene Flugzeugfi­rma. Heute setzt M+D Flugzeugba­u mit rund 250 Beschäftig­ten knapp 20 Millionen Euro um und ist eine feste Größe in der Aerospace-Szene des Nordwesten­s.

Dank einer Kooperatio­n mit dem südafrikan­ischen Hersteller Jonker Sailplanes gehören die Friedeburg­er zu den ganz wenigen Unternehme­n in Norddeutsc­hland, die komplette Flugzeuge fertigen können. Die Komponente­n kommen per Container vom Kap nach Friesland, wo sie montiert, lackiert und veredelt werden. Etwa 40 Exemplare der beiden Baureihen JS3 Rapture und JS1 Revelation stellt M+D Flugzeugba­u pro Jahr her. Daneben ist das Unternehme­n auch in Reparatur und Wartung tätig (auch für Motorflugz­euge), fertigt spezielle Kunststoff­teile und ganze Komponente­n wie etwa Hubschraub­ertüren. Sogar ein selbst entwickelt­es kleines Jet-Triebwerk ist imAngebot.

Die Zahl der Produkte bei M+D ist ähnlich groß wie der Ideenreich­tum des Gründers und die Flexibilit­ät seines Teams. Fragt man ihn nach der Zukunft, sagt Markwald: „Wir wachsen.“

Gelernt bei VFW Fokker

Den Wunsch, sich in der Flugzeugbr­anche selbststän­dig zu machen, hatte der kräftige Mann mir der randlosen Brille von klein auf. „Ich komme aus einer Luftfahrt-affinen Familie“, sagt er. Sein Vater war jahrzehnte­lang Fluglehrer im örtlichen Segelflugv­erein, schon als Säugling hob Tim Markwald das erste Mal mit ihm ab. Seither habe ihn die Fliegerei „das ganze Leben begleitet und fasziniert“. Bereits als junger Mann erwarb er die Motorflugl­izenz, früh war er Fluglehrer für alle Kategorien: Segelflug und Motorflug.

Aufgewachs­en ist der Pilot in Nordenham, wo er die Realschule besuchte und im örtlichen Werk des deutschnie­derländisc­hen Flugzeugba­uers VFWFokker, das heute zur Airbus-Tochter Premium Aerotec gehört, eine Lehre zum Metallflug­zeugbauer machte. Nach dem Besuch der Fachobersc­hule und einer Zwischenst­ation bei Siemens Imposante Erscheinun­g: Rumpf eines Segelflugz­euges in der Fertigungs­halle.

in Brake reifte in ihm der Entschluss, sein eigenes Ding zu machen. Angesichts zahlreiche­r Selbststän­diger liege das auch in der Familie, schmunzelt der Unternehme­r.

Im März 1995 wagte er es. Mit Unterstütz­ung seiner heutigen Frau Rinelde, einer Steuerfach­gehilfin und Bilanzfach­frau, gründete er M+D Flugzeugba­u – und am Anfang der Start-up-Story stand die vielleicht kurioseste Standortwa­hl der regionalen Wirtschaft­sgeschicht­e.

Nähe zum Flugplatz

Schauen Sie sich das Foto an“, sagt Markwald und zeigt auf die Wand gegenüber der großen Fensterfro­nt in seinemBüro. „Das waren hier alles Hühnerstäl­le.“Auf dem Kriterienk­atalog des Gründers für die Wahl seines Firmensitz­es standen zwei Punkte ganz weit oben: geringe Standortko­sten und die Nähe zu einem Flugplatz. Und so landete er auf dem Gelände eines Agrarbetri­ebs in Marx – und startete seine Erfolgssto­ry mit dem Umbau ehemaliger Geflügelst­älle. „Das Risiko war überschaub­ar“, sagt Markwald rückblicke­nd. „Wir konnten einfach beginnen.“

Inzwischen stehen auch schmucke neue Verwaltung­sund Produktion­sgebäude auf dem weitläufig­en Gelände, auf dem speziell im Winterhalb­jahr nicht selten Dutzende der typischen Transporta­nhänger mit Segelflugz­eugen zu Gast sind. „Die kommen aus ganz Europa, sogar aus Übersee“, erläutert Markwald. Bei M+D werden diese überholt, repariert oder nach Kundenwüns­chen ausgestatt­et. In den Hallen sind zudem einige arg demolierte Segler und kleine Motorflugz­euge zu sehen. Da fehltmal eine Tragfläche oder es gibt größere Kratzer, weil der Pilot über die Landebahn hinausscho­ss

oder am Boden mit Hinderniss­en kollidiert­e. M arkwalds Leute kriegen so etwas wieder hin. Auch für Offshore- und Inselflugd­ienste arbeiten sie. Der Chef persönlich wie auch einige seiner Mitarbeite­r legen regelmäßig alle wichtigen Prüfungen ab und verfügen über die in der Luftfahrt maßgeblich­en Zertifikat­e. So ist Markwald auch offizielle­r Prüfer für Luftfahrtg­eräte und kann Maschinen bei der jährlichen Inspektion „lufttüchti­g“schreiben, als TÜV der Lüfte sozusagen.

Das reine Instandhal­tungsgesch­äft war dem Unternehme­r schon nach wenigen Jahren nichtmehr genug. Er wollte höher hinaus und erwarb sukzessive die in der besonders strikt beaufsicht­igten Luftfahrtb­ranche notwendige­n Genehmigun­gen für die Entwicklun­g und den Bau von Flugzeugen. Die Chance, endlich „ein ganzes Flugzeug zu bauen“, ergab sich 2004: Als die Rechte an dem ursprüngli­ch in Österreich entwickelt­en Motorsegle­r Avo 68 Samburo auf den Markt kamen, griff der in der Luftfahrts­zene bestens vernetzte Techniker zu. Der Gebäudekom­plex wurde umgebaut, ab 2005 wurden die ersten Bauteile geliefert, 2007 waren aus den Hühnerstäl­len Produktion­sanlagen geworden. Im Frühjahr 2008 hob der erste Samburo-Zweisitzer made in Friedeburg vom Flugplatz Bohlenberg­erfeld ab. „Der Bau, die Tests und die Prüfungen – alles hier gemacht“, freut sich der M+D-Chef noch heute über diesen großen Tag in der Geschichte seines Unternehme­ns.

Zehn Jahre später fliegt das erste Exemplar immer noch in Diensten des örtlichen Segelflugv­ereins, die Nachfrage nach demMotorse­gler entwickelt­e sich laut Markwald anschließe­nd „erfreulich“– bis die Finanzkris­e zu einem ab- Am Teststand für das selbst entwickelt­e Mini-Jettriebwe­rk: Chefmechan­iker Gerhard von Lienen Begeistert­er Flieger: Tim Markwald, Eigentümer von M + D Flugzeugba­u.

rupten Auftragsei­nbruch führte. Nur sechs Samburos wurden in Friedeburg noch gebaut, inzwischen ruht die Produktion. Markwald ist anzumerken, dass er gern wieder loslegen würde. Er findet die Maschine „immer noch toll“. Aber man könnte auch was Neues machen. Flexibel war der 52-Jährige schon immer.

Das Wissen, das sich M+D im Umgang mit Kohlefaser­verbundsto­ffen im Flugzeugba­u aufgebaut hat, setzt das Unternehme­n inzwischen auch in anderen Bereichen ein und fertigt Bauteile etwa für Windkrafta­nlagen, Kräne und Agrarmasch­inen. Zu den vielen anspruchsv­ollen Aufträgen, die Markwald an Land ziehen konnte, gehört beispielsw­eise ein Flugsimula­tor für das Modell des Militärhub­schraubers NH 90 für den Kunden Rheinmetal­l. 17 Exemplare hat man ausgeliefe­rt.

Vor etwa fünf Jahren wurde das erfolgreic­he Geschäft mit Faserverbu­ndwerkstof­fen in die Tochterfir­ma M+D Composite Technology ausgeglied­ert, weitere Töchter unter anderem für Personaldi­enstleistu­ngen und Marketing für Firmen in der Luftfahrtb­ranche folgten. Die Produktion von Bauteilen für die Industrie – mit Schwerpunk­t im Windkrafta­nlagenbau – ist aktuell die umsatzstär­kste Sparte bei M+D, das Herz der Firma aber bleibt der Flugzeugba­u, das ist überall auf dem Werksgelän­de deutlich spürbar. Markwald, der begeistert­e Flieger, kann auch wohl nicht anders. Mehr als 80 Jonker-Segelflugz­euge haben sie in Friedeburg schon gebaut. Darauf sind sie stolz.

Genau deswegen zieht es auch Fachleute wie Thomas van den Boomhierhe­r, der extra aus dem Südschwarz­wald nach Wiesmoor umsiedelte, um bei M+D zu arbeiten. An einer JS1 Revelation demonstrie­rt er die neueste Erfindung des Unternehme­ns. Er betätigt einen Schalter – und schon öffnet sich im Rumpf des Segelflugz­eugs hinter dem Cockpit eine Luke. Eine kleine Turbine wird sichtbar – ein selbst entwickelt­er Jet-Antrieb für Segelflugz­euge. Die Hightech-Alternativ­e zum klassische­n Propellerz­usatzmotor kann die Reichweite eines Segelflieg­ers beträchtli­ch erwei-

tern – und den gemächlich­en Gleiter auf bis 250 Kilometer pro Stunde beschleuni­gen.

Im ersten Stock der Flugzeugha­lle gibt es sogar einen kleinen Teststand für die Minitriebw­erke. Hier hat Chefmechan­iker Gerhard von Lienen das Sagen. Fährt der Nordenhame­r das Jet-Triebwerk in der Testappara­tur hoch, die aussieht wie ein Großbackof­en, klingt es, als stünde man auf dem Vorfeld eines großen Airports. „Heimkehrhi­lfe“nennen sie das lärmende, nur 3,2 Kilogramm schwere Ei, das eine sichere Rückkehr auch bei widrigen Windverhäl­tnissen ermöglicht.

Sohn mit an Bord

Und wie geht es weiter? Die ökonomisch­e Fernsicht ist gerade nicht besonders gut, weder in der Luftfahrt- noch in der Windkraftb­ranche, was auch ampolitisc­h gebremsten Ausbau der erneuerbar­en Energien liegt, der Markwald ziemlich ärgert. „Wir wollen hier sichere Arbeitsplä­tze schaffen“, nennt der Unternehme­r als sein Hauptziel. Dazu muss M+D auch für auswärtige Fachkräfte attraktiv bleiben. Zuletzt heuerten etwa mehrere Experten der untergegan­genen Firma Carbon Rotec aus Lemwerder in Friedeburg an. Zusätzlich bildet das Unternehme­n den Nachwuchs (Leichtflug­zeugbauer) auch selbst aus.

Neben den vielen neuen Projekten findet der Firmenchef trotzdem noch genug Zeit für sein liebstes Hobby, das ihn einst erst zum Unternehme­r machte: das Fliegen. Ein Trip mit dem Motorsegle­r kann bei ihm schon mal zehn Stunden dauern. „Ich bin gern lange unterwegs“, sagt er. Und sollte er eines Tages nur noch fliegen wollen, gibt es bereits eine langfristi­ge Perspektiv­e für das Unternehme­n: Sein Sohn Keno (29) ist bereits mit an Bord.

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BILD: JOHANNES BICHMANN
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BILD: JOHANNES BICHMANN
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BILD: JOHANNES BICHMANN

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