Endlich mal wieder ausschlafen
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist urlaubsreif
Die Anstrengungen des Unionsstreits waren ihr anzumerken. Die Kanzlerin kritisierte die schroffe Wortwahl in der Auseinandersetzung.
BERLIN Das freundliche Lächeln auf ihrem Gesicht zum Auftakt der traditionellen Sommerpressekonferenz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter der Kanzlerin schwere Wochen und Monate liegen. Der Migrationsstreit zwischen ihr und Innenminister Horst Seehofer sowie der CSU insgesamt ist offensichtlich nicht spurlos an ihr vorbeigegangen.
Sicherlich müsse man bei Meinungsverschiedenheiten um Kompromisse ringen, sagt eine nachdenkliche Kanzlerin an diesem Freitag in Berlin. Dies dürfe sich aber nicht zu lange hinziehen. Und vor allem: Auf den Ton komme es
an – und der sei zum Teil schon „sehr schroff“gewesen. Angesichts einer zu beobachtenden sprachlichen Verwahrlosung in der politischen Kultur versuche sie ihrerseits umso mehr, auf ihre Sprache zu achten. Denn für sie bestehe „zwischen Denken, Sprechen und Handeln ein ziemlich enger Zusammenhang“.
Der deutliche Seitenhieb auf Seehofer, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) zeigt, wie ernst sie nach dem Streit die Lage einschätzt – für die Koalition, für Deutschland, für sich selbst. Ihre dritte große Koalition steht schon nach vier Monaten vor einem riesigen Scherbenhaufen. Dass die Bürger mit der Koalition unzufrieden seien, „das haben wir uns selbst zuzuschreiben“, sagt sie selbstkritisch und meint natürlich auch die CSU-Granden.
Angela Merkel hat eine ihrer schwierigsten, wenn
nicht die schwierigste Phase ihrer inzwischen 13-jährigen Amtszeit hinter sich. Sie scheint angeschlagen. Dabei haben CDU und CSU ihren nervenzehrenden Streit nur vorerst beigelegt, völlig ausgeräumt ist er keineswegs.
Die CSU liegt in Umfragen für Bayern derzeit bei 38 Prozent. Das würde nach der Landtagswahl im Herbst nicht mal für eine Regierung mit der FDP reichen, sondern nur mit den Grünen, die derzeit bei 16 Prozent liegen, und der SPD, die in diesen Umfragen auf 13 Prozent abgesackt ist – oder auch mit der AfD.
Wenn man sich erinnert, wie schwer sich insbesondere die CSU während der Jamaika-Verhandlungen mit den Grünen tat, kann man erahnen, wie sehr sie sich gegen dieses Koalitionsaussichten
stemmen wird und wie sehr der bayerische Wahlkampf die große Koalition im Bund noch belasten kann.
Mit Seehofer zieht ein weiterer Unions-Politiker, der den direkten Konflikt mit Merkel suchte, den Kürzeren. Eine Regierung müsse handlungsfähig sein. Wenn dabei ihre Richtlinienkompetenz betroffen sei, müssten das auch die Minister akzeptieren, sagt die Kanzlerin. Doch über das Tief der Schwesterpartei und Seehofers kann sie sich nicht wirklich freuen. Sie weiß, dass auch sie und ihre CDU runtergerissen werden.
Und die SPD? Die Führung um Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz hatte ihrer Basis versprochen, auch in einer erneuten großen Koalition unter Merkel die Partei erneuern
und für kommende Wahlen das Profil schärfen zu wollen. Die Konflikte dürften folglich nach der BayernWahl nicht weniger werden. Im Gegenteil: Es droht ein heißer Herbst.
In der wohl letzten Kanzlerschaft Merkels kann von Durchregieren keine Rede mehr sein. Es gilt eher, ihre dritte große Koalition über die Runden zu bringen. Dabei kann sie ihren von der FDP immer wieder kritisierten zögerlichen, reaktiven Präsidialstil nicht mehr durchhalten.
Dies hat nichts deutlicher gemacht als gerade der Asylstreit mit der CSU. Seehofer kann für sich immerhin in Anspruch nehmen, Merkel gezwungen zu haben, in Sachen Flüchtlinge in der EU aktiv zu werden – und es kam tatsächlich Bewegung in die verhärteten Fronten zwischen den EU-Mitgliedern. Denn Merkel muss darauf achten, dass Deutschland in Europa glaubwürdig bleibt und auch im Rest der Welt.
„Zwischen Denken, Sprechen und Handeln besteht f!r mich ein ziemlich enger Zusammenhang“BUNDESKANZLERIN ANGELA MERKEL