Als Neuseeländer im besetzten Oldenburg
Briefe eines alliierten Soldaten an die Familie werden vom Landesarchiv ausgewertet
1947: Der Krieg ist vorbei, aber Oldenburg ist von Soldaten aus Großbritannien und dem Commonwealth besetzt. Zu ihnen gehört auch Bertrum Loudon, der seine Erlebnisse in Briefen an seine Familie schilderte.
OLDENBURG Es war ein Zufall, der Deborah Telford an die deutsche Wirkungsstätte ihrer Großeltern führte. Die Oldenburgerin Jana Mischok, derzeit Lehramtsstudentin in Bielefeld, suchte eine Wohnmöglichkeit für ein Praktikum in Neuseeland. Journalistin Deborah Telford bot dort eine solche an. Beim Kennenlernen über Skype wurde Telford hellhörig als Jana Mischok ihre Heimatstadt erwähnte. „Oldenburg, da war mein Großvater stationiert“, erklärte die Journalistin. So entstand die Idee zu einem Gegenbesuch, zu dem sie Briefe ihres Großvaters aus dieser Zeit mitbrachte.
Alltag der Besatzung
Von 1947 bis 1949 war Bertrum Loudon (1896-1977) als Major der Royal Army in Oldenburg tätig (neuseeländische Truppen kämpften damals unter britischem Kommando in Europa). Von seiner Arbeit und seinen Eindrücken aus dem besiegten und zerstörten Deutschland zeichnen unzählige Briefe an die Familie ein eindrucksvolles Bild.
Wolfgang Henninger vom Niedersächsichen Landesarchiv ist begeistert. „Private Korrespondenz gerade von Angehörigen der Besatzungsmächte ist nur sehr selten überliefert“, sagt er. Gerade dieser ungewohnte Blickwinkel auf die historische Situation macht uns natürlich sehr neugierig.“Denn ihren Familien erzählten Soldaten mitunter auch Alltagsangelegenheiten, die sonst unter strenge militärische Geheimhaltung gefallen wären. Das tat auch Bertrum Loudon bisweilen, zum Beispiel wenn es um Fehlverhalten der eigenen Kameraden ging. „Es gibt etwa eine Schilderung, wie briti- Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte in Oldenburg die Britische Armee das Sagen. Mit ihr war auch Bertrum Loudon drei Jahre lang in Oldenburg stationiert. Bertrum Loudon bewunderte die Oldenburger.
sche Soldaten eine Party feierten und anschließend über 80 Häuserfenster einwarfen und wahllos Deutsche verprügelten. Auch von Soldaten, die sich am Schwarzmarkt beteiligten, erzählte mein Großvater in seinen Briefen.“Von den Oldenburgern sprach er zugleich mit großer Bewunderung, lobte sie als „erstaunliche Leute: hart arbeitend, ehrlich und freundlich. Ein Volk, von dem wir viel Gutes lernen könnten.“
Obdach für Flüchtlinge
Zu Loudons Hauptaufgaben in Oldenburg gehörte es, Wohnraum für die in Lastwagen-Ladungen herverfrachteten Vertriebenen aus den Ostgebieten zu finden. Während er unzählige Flüchtlinge etwa Alvito Loudon verlor ihren Hass auf Deutsche.
in großbürgerlichen Wohnungen unterbringen konnte, ließ er großspurige Vorgesetzte auch schon einmal abblitzen. „Ein englischer Colonel hatte sich einmal aus Lüneburg angekündigt und verlangte ein Haus für sich, seinen Chauffeur und seine Bediensteten“, erzählt Deborah Telford. „Mein Großvater antwortete nur, das sei absurd, es gebe hier kein Haus für seine Entourage und wenn diese Leute in Oldenburg ankämen, würde er sie wieder wegschicken.“Über einen Geistlichen im Oldenburger Münsterland, der seine allein bewohnten 16 Zimmer nicht teilen wollte, schrieb er später nur „I fixed him“, was heute etwa hieße „Ich hab ihn eingenordet.“
Sehr schnell nach seiner Stationierung folgte Bertrum
Loudon seine Ehefrau Alvito nach Oldenburg. Die gebürtige Engländerin mit einem gewalttätigen deutschen Vater hatte zwei Brüder im Ersten Weltkrieg verloren und hasste deshalb alle Deutschen aus tiefstem Herzen.
„Was sie dann aber sah, als sie in Oldenburg ankam, ließ ihr Herz schmelzen“, erzählt Deborah Telford. „Die Versehrten, die vielen Menschen, die nichts mehr hatten, und vor allem die Waisenkinder.“Alvito Loudon arbeitete im Waisenhaus des Roten Kreuzes an der Alteneschstraße. „Sie schrieb in ihren Briefen von Kinderbetten aus grasbewachsener Erde und alten Zeitungen, die als Windeln benutzt wurden“, erzählt Deborah Telford.
Aus Hass wird Mitgefühl
Alvito knüpfte Kontakte zum Neuseeländischen Roten Kreuz, um Hilfslieferungen zu organisieren. So kamen auf ihr Betreiben Care-Pakete mit Windeln, Kinderkleidung und Nahrung aus Neuseeland nach Oldenburg. Ein Artikel in der vom Oktober 1948 über die Arbeit des Waisenhauses erwähnt unter anderem auch das Engagement von Alvito Loudon. Von ihrem Einsatz für viele Oldenburger Kinder zeugen auch zahlreiche Dankesbriefe, die Alvito und Bertrum Loudon von Kindern
und Eltern erhielten, denen sie in ihrer schwersten Zeit geholfen hat. Auch diese Briefe hat Deborah Telford nach Oldenburg mitgebracht.
Die Briefe des Großvaters hatte sie vor zehn Jahren von ihrer Mutter bekommen mit dem simplen Auftrag „Mach was damit.“Nur ein Teil des Gesamtumfangs macht die Zeit in Oldenburg aus. Diesen Teil überlässt sie jetzt in Kopien dem Landesarchiv. „Ich glaube, sie sind hier gut aufgehoben“, sagt sie. Von der Ursprungsidee, die Originale in Oldenburg zu lassen, riet ihr Wolfgang Henninger ab. „Der Nachlass sollte in so einem Fall immer zusammenbleiben“, sagt er. „Auf verschiedene Stellen verteilt, gehen größere inhaltliche Zusammenhänge oft verloren. Deshalb ist es besser, alle Originale in Neuseeland zu archivieren.“
Für Deborah Telford hat die Korrespondenz ihrer Großeltern allerdings nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch einen wichtigen gesellschaftlichen Wert: „Meine Großmutter ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die menschliche Natur auch zum Besseren verändern kann, wenn man seinen vermeintlichen Feind selbst kennenlernt“, sagt Telford. Das gelte besonders auch für die heutige Zeit: „Man soll nie die Hoffnung aufgeben, dass aus Hass Mitgefühl werden kann.“