Nordwest-Zeitung

„Unions-Konflikt noch nicht beendet“

,inisterprä­sident Stephan Weil kritisiert CSU – Asylstreit sorgt für Verstimmun­g

- VON DORIS HEIMANN

Niedersach­sens SPDLandesc­hef und Ministerpr­äsident Stephan Weil hält den Unionskonf­likt in Berlin noch nicht für ausgestand­en. Er schließt einen heißen Herbst nicht aus.

FRAGE: Die SPD will Erneuerung, bleibt aber im Umfragetie­f Warum? STEPHAN WEIL: Ja, das macht uns allen Sorge. Da wirkt noch einiges von dem Wechselbad der Gefühle nach, das die SPD zwischen dem September 2017 und dem März 2018 hatte. Wir hatten eine ganz schlimme Wahlnieder­lage, dann einen quälenden Regierungs­bildungspr­ozess und eine schwierige parteiinte­rne Diskussion. Die Nachwirkun­gen sind noch nicht wirklich ausgestand­en. Ich hoffe sehr, dass wir im zweiten Halbjahr erleben werden, wie die SPD wieder durchstart­et. Die Vorarbeite­n sind gemacht, das Fundament wurde im Wesentlich­en gelegt. FRAGE: Wie geht die SPD aus dem Berliner Unionsstre­it hervor? WEIL: Wir haben ein absurdes Staats-Schauspiel erlebt, das wohl beispiello­s ist. Die CSU hat kurz gesagt das Geschäft der AfD betrieben, und sie betreibt es nach wie vor. Die Kakophonie, die die CSU über Wochen hinweg veranstalt­et hat, ist ein einziges großes Konjunktur­programm für die

AfD. Es wundert mich gar nicht, dass sich die CSU in Umfragen in Bayern gerade im Sinkflug befindet. Ich kann auch nicht sagen, dass mir das leid tut. Ich bin zutiefst verärgert, weil ich es für hochgradig verantwort­ungslos halte, was wir seitens der CSU erlebt haben. FRAGE: Welche Auswirkung­en hat das auf die Berliner Koalition? WEIL: Wenn sich der Koalitions­partner CSU nicht endlich darauf besinnt, dass es eine gemeinsame Geschäftsg­rundlage in Form der Koalitions­vereinbaru­ng gibt, dann werden wir wahrschein­lich ein unruhiges zweites Halbjahr erleben. Bei vielen Mitglieder­n der SPD gibt es eine tiefe Verärgerun­g über das Gebaren der CSU. Das, was uns die CSU in diesem Sommer präsentier­t hat, ist nicht nur eine Schädigung unserer politische­n Ordnung, sondern auch unserer nationalen Interessen: Herr Seehofer hat es Frau Merkel in bemerkensw­erter Weise schwer gemacht, ihr Standing in Brüssel zu behaupten. Wir werden uns sehr

genau anschauen, wie sich das in den nächsten Monaten entwickelt. Ich hoffe sehr, dass die CSU zur Besinnung kommt – am besten vor den bayerische­n Landtagswa­hlen. FRAGE: Waren die CSU-Forderunge­n also lediglich Wahlkampf-Geplänkel? WEIL: Die Ankerzentr­en, die sogenannte­n Transitzon­en und alles, was wir noch so an vermeintli­chen Zauberwort­en gehört haben: Das sind alles Chiffren dafür, wie versucht wird, die politische­n Koordinate­n zielstrebi­g nach rechts zu verschiebe­n. Die Geduld der SPD und ihrer Mitglieder ist langsam aufgebrauc­ht. Es ist geradezu mit Händen zu greifen, dass die CSU geglaubt hat, mit martialisc­hem Auftreten gegenüber der Kanzlerin ihre eigenen Wahlaussic­hten in Bayern verbessern zu können. Stattdesse­n hat sie sie aber verschlech­tert. Die CSU hat nicht nur der Demokratie großen Schaden zugefügt, sondern auch sich selbst. Das war ein schweres, politische­s Versagen, das wir da erlebt haben und von dem ich auch noch nicht sicher bin, dass es beendet ist. FRAGE: Sie erwarten eine Fortsetzun­g? WEIL: Das Schauspiel geht nun CSU-intern weiter, da wird der eigentlich­e Brandstift­er wieder zum Biedermann. Dass Herr Söder nun zur Mäßigung aufruft und mehr oder weniger unverhohle­n Herrn Seehofer ins Schaufenst­er stellt, ist wirklich ein starkes Stück. Derselbe Herr Söder hat noch vor kurzer Zeit durch immer neue Zuspitzung­en dazu beigetrage­n, dass sich Bürger vor einer angeblich unkontroll­ierten Zuwanderun­g zu fürchten begonnen haben. FRAGE: Gibt es bei der SPD keine Versuchung, sich einzumisch­en? WEIL: Die SPD hat sich in dieser Phase hochgradig verantwort­ungsbewuss­t verhalten und kein weiteres Öl ins Feuer gegossen – auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle arg die Zähne zusammenbe­ißen musste. Das wird sich meiner Einschätzu­ng nach auf Dauer so nicht fortsetzen lassen. Wenn die CSU nicht allmählich zur Vernunft zurückkehr­t, wird es schwierig. Die SPD hat um des großen Ganzen willen die eigene Profilieru­ng bisher ein Stück weit zurückgest­ellt. FRAGE: Hat die SPD in Bayern nicht auch in den Umfragen verloren? WEIL: Dass die SPD der Versuchung widerstand­en hat, weiter zu eskalieren, wird ihr derzeit nicht gedankt. Das Ganze ist von den Bürgern als einziges großes Chaos empfunden worden; und wer nicht genau hinschaut, der gießt seine Kritik wahrschein­lich über alle Regierungs­parteien gleicherma­ßen aus. Wer über Wochen hinweg dieses Shakespear­e’sche Drama am BerlinMünc­hner Hofe miterlebt hat, der musste ja den Durchblick verlieren. Wer weiß noch genau, um was es inhaltlich bei dieser Sache gegangen sein soll? Ich gebe zu: Auch ich muss mich anstrengen, mich daran zu erinnern. So erklärt sich wohl auch, dass nach den letzten Umfragen die Zufriedenh­eit mit der Bundesregi­erung – naja: jede Menge Luft nach oben lässt. FRAGE: Auf wie hoch schätzen Sie gegenwärti­g das SPDPotenzi­al? WEIL: Wenn die SPD alles richtig macht, kann sie unveränder­t bei 30 Prozent plus X in Deutschlan­d stehen. Aber das wird uns nicht geschenkt, dafür müssen wir über einen längeren Zeitraum vieles richtig machen; wir haben noch manche Baustellen zu erledigen. Wir sind eine Regierungs­partei und die SPD muss dafür stehen, dass in Deutschlan­d gut regiert wird. Aber das ist eine notwendige und noch keine hinreichen­de Bedingung fürs Comeback der SPD. Wir werden zudem noch deutlicher machen müssen, dass die SPD die Hand am Puls der Zeit hat und wir die eigentlich wichtigen Themen diskutiere­n. Wir müssen Bürgernähe mit Perspektiv­en verbinden; wenn uns das über einen längeren Zeitraum gelingt, dann wird man auch wieder eine wesentlich stärkere SPD erleben.

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DPA-BILD: HOLLEMANN Stephan WeiI

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