Nordwest-Zeitung

DAS LEBEN IST MANCHMAL WOANDERS

- 57. FORTSETZUN­G ROMAN VON ULRIKE HERWIG Copyright © 2018 dtv Verlagsges­ellschaft mbH & Co. KG, München

Die Kinder waren heutzutage über alles bestens informiert, es war nicht zu fassen. Auch wenn natürlich keiner, der noch seine sieben Sinne beieinande­rhatte, diesen komischen Löffel für zweihunder­t Euro kaufen würde.

FOkay. Dann viel Erfolg“, wünschte sie den Jungs. FUnd äh, Gregor? Legst du die Stola dann bitte wieder zurück?“

FDie ist sehr, sehr schön.“Gregor strahlte sie an. Was bedeutete das jetzt? Sie beschloss, dass es völlig egal war, was mit der idiotische­n Stola passierte, denn sie zog sie ja sowieso nie an.

Zurück im Wohnzimmer betrachtet­e sie lustlos ihre CDs. Der Lärm aus dem Kinderzimm­er wurde kurzzeitig lauter und ebbte dann ab. Die Kinder gingen offenbar hinaus, sie hörte sie noch eine Weile im Treppenhau­s rumoren, dann waren sie unten auf der Straße, dann wieder im Treppenhau­s, wo sie irgendwas Klappernde­s vor der Tür veranstalt­eten.

Okay, ehe sie hier noch

ganz versauerte, würde sie sich jetzt ein wenig aufhübsche­n, damit sie nicht auch noch äußerlich die alleinerzi­ehende Vollzeitve­rkäuferin abgab. Kein Wunder, dass da keiner anbiss. Sie stylte sich die blonden Haare, legte ein bisschen Make-up auf, zog ein kurzes blau-weißes Sommerklei­d an und vollführte eine Drehung vor dem Spiegel. Besser. Viel besser. Zum Schluss zog sie noch die Pumps mit dem absurd hohen Absatz an, obwohl das absolut lächerlich war, schließlic­h lief sie ja nur in der Wohnung herum.

Draußen im Treppenhau­s erklang jetzt Jonas’ Stimme, dann die von Gregor und danach eine tiefe Männerstim­me. Meckerte da schon wieder jemand herum? Sie lauschte unwillkürl­ich. Nein, Jonas und Gregor unterhielt­en sich mit jemandem. Mit einem Mann. Jetzt kicherte ihr Sohn.

FEcht? Das müssen Sie mir mal zeigen.“

Die Antwort des Mannes verstand sie nicht, dafür hörte sie wieder Jonas’ Stimme.

FNee, wir können jetzt nicht mit Ihnen mitkommen, vielleicht ein andermal.“

FWarum denn nicht?“, fragte Gregor.

Ein Flüstern war zu hören. War das der Mann?

Ihr wurde erst heiß und dann kalt. Das war doch nicht zu fassen, was strich denn da für einer durchs Haus? Ein Perverser, der sich an kleine Jungs heranmacht­e? Vor ihrer eigenen Wohnungstü­r! Voller Empörung stürzte sie zu ihrer Tür, riss sie schwungvol­l auf und stürmte hinaus ins Treppenhau­s, wo sie diesen Kerl jetzt aber so was von zusammenst­auchen würde, sie … Der Boden glitt ihr unter den Füßen weg, sie verlor die Balance, etwas klackerte, sie riss ein Bein in die Luft, konnte sich aber nirgends festhalten.

FHuch!“, stieß sie erschrocke­n aus, aber da war es schon zu spät. Sie rutschte aus, ein Schmerz schoss durch ihren Knöchel und sie fiel unsanft auf den Boden. Diese verdammten Heels, war das Erste, was sie dachte. FAua.“Sie biss die Zähne zusammen.

FMama?“Jonas sah sie entgeister­t an. FWas ist denn los mit dir?“

FAlles klar?“, fragte die tiefe Männerstim­me. Der Perverse. Sie sah wütend hoch, schließlic­h war der an allem schuld. Der Perverse war aber kein Fremder. Es war der Sohn von Hoffmanns, der reiche Anwalts-Schnösel in seinem anthrazitg­rauen teuren Anzug. Ausgerechn­et vor dem musste sie diesen ungraziöse­n Kniefall hinlegen.

FHaben Sie sich wehgetan?“, erkundigte sich der Idiot bei ihr. Max hieß er, fiel es ihr wieder ein.

FGeht schon“, presste sie heraus, obwohl das gar nicht

stimmte. Ihr Knöchel tat höllisch weh. Außerdem lagen um sie herum lauter Kieselstei­ne, große und kleine, runde und flache.

FWas ist denn das hier für ein Chaos? Was macht ihr da?“, leitete sie ihre Wut auf Jonas um, der genau wie Gregor ein paar dieser Steine in der Hand hielt. Dieser schnöselig­e Max übrigens ebenfalls.

FMann, Mama, unsere Steine!“Jonas stöhnte genervt. FWir haben die alle gefunden und gerade der Größe nach sortiert und wollten was draus bauen – und du bist reingelats­cht und hast alles durcheinan­dergebrach­t.“

FAch Gottchen. Verzeihung“, schnappte sie. Aber Sarkasmus zog offenbar durch Kinderohre­n hindurch, ohne irgendwelc­he Spuren zu hinterlass­en.

FIst okay. Wir verzeihen Ihnen“, sagte Gregor.

FDas tut mir echt leid“, mischte Max Hoffmann sich nun auch noch ein. FIch wollte Ihren Sohn und seinen Freund gerade dazu überreden, die Steine in unseren Keller zu schaffen. Dort gibt es nämlich noch eine halbe Festung aus Steinen und Holz und allem Möglichen, von Frank Krause und mir anno dazumal gebaut, die leider nie vollendet wurde.“Er lachte kurz.

FDas hier ist nämlich der Max“, erklärte Gregor.

FIch weiß“, murmelte sie verunsiche­rt. Was für ein blödes Missverstä­ndnis. Wenigstens hatte sie sich nicht mit den Worten FDu perverses Schwein!“auf den Mann gestürzt und ihm den Schuhanzie­her über den Schädel gehauen. Nicht auszudenke­n, was dann passiert wäre. Sie rieb sich ihren Fuß und zog zischend die Luft ein, weil der Knöchel bei der Berührung ziemlich wehtat.

FUh, das schwillt aber an.“Anthrazit-Max ging in die Hocke, um ihren Knöchel näher zu begutachte­n. FJonas, hol mal eine Schachtel Eiscreme aus dem Kühlschran­k“, befahl er ihrem Sohn.

FHaben wir nicht.“Jonas sammelte beleidigt die Steine ein. FSpeiseeis hat angeblich zu viel Zucker.“ FORTSETZUN­G FOLGT

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