Nordwest-Zeitung

Frei Schnauze: In Berlin wird immer öfter geduzt

Junge Generation, aber auch Werbetexte­r und Polizei geben Trend in Deutschlan­d vor – iezen aber weiter wichtig

- VON ALEXANDRA STAHL

In Deutschlan­d stellt sich für viele immer noch diese Frage. In Berlin aber geht es oft ein bisschen loc erer zu.

BERLIN Im Englischen gibt es kein Problem: „you“ist „you“. Gedanken darüber, ob man jemanden siezen oder duzen möchte, muss sich keiner machen. Im Deutschen aber bleibt die Frage: Du oder Sie? In Berlin scheint die Antwort klar.

Die Verkehrsge­sellschaft (BVG) duzt ihre Kunden („Weil wir dich lieben“), die Polizei wirbt im Kumpelton für Nachwuchs („Da für dich“) und der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) lädt zum Fest der Deutschen Einheit mit dem Slogan „Nur mit Euch“. In vielen Cafés in hippen Stadtteile­n wie Neukölln oder Mitte ist die Sprache sowieso oft Englisch.

„Wenn ihr eure Fahrkarten nicht stempelt, habt ihr schnell 100 problems.“Für flapsige Sprüche ist die BVG bekannt. Und laut Pressespre­cherin Petra Reetz ist das gewollt: „Die Kampagne funktionie­rt, weil wir uns selbst nicht so ernst nehmen; und dafür mussten wir weg vom Sie. Das Duzen ist normaler geworden und ein bisschen harmloser.“

„Im Zuge der Internatio­nalisierun­g verliert das Sie an Gewicht“, sagt auch der Wirtschaft­spsycholog­e Prof. Joost van Treeck von der Hochschule Fresenius in Hamburg. Vom Aussterben bedroht sei es aber nicht. „Insgesamt sind wir in Deutschlan­d noch sehr formal und werden noch lange beim Sie bleiben.“

In Berlin sieht es trotzdem oft anders aus. Im stadtweite­n Blog „MitVergnüg­en“kommt kaum ein Artikel ohne das Du aus.

„Ihr werdet nicht glauben, was ihr alles über euch erfahrt, wenn ihr euch selbst googelt“kann man dort lesen.

Dagegen fällt die Polizei auf, die ja doch eher für Autorität als Lässigkeit steht. „Hast du das Zeug zum Cop?“, fragen die Berliner Beamten, wenn sie um Nachwuchs werben. Und erklären auf ihrer Facebook-Seite: „Da für dich, wenn die Kreuzberge­r Nächte zu lang werden.“

Für den Werbeexper­ten van Treeck sind vor allem die Kampagnen auffällig. „Das ist durchaus etwas Berlinspez­ifisches. Da kann man auf der Straße vielleicht eher mal einen Polizisten duzen als in München.“

Normalerwe­ise arbeite Werbung mit eher formalisti­schen Formulieru­ngen, um ein klares Du oder Sie zu vermeiden, sagt Professor van Treeck.

Hier sei genau überlegt worden, in welchem Verhältnis man zu dem Kunden stehe und man habe sich für eine Beziehung wie zu einem Freund entschiede­n. „Das ist sehr clever, denn dem Freund verzeih’ ich auch mal, wenn er nicht so sauber arbeitet.“

Die Feier zur Deutschen Einheit, die dieses Jahr Berlin ausrichtet, wirbt mit der lockeren Einladung „Nur mit Euch“. „Nur mit Ihnen“klänge wohl auch etwas steif. Anderersei­ts spricht Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller hier die Besucher an, und umgekehrt würde man Müller – der die Menschen auf seiner FacebookSe­ite siezt – wohl nicht duzen. Projektlei­ter Julian Mieth sagte dazu der „taz“, Absender der Kampagne sei nicht Müller, sondern Deutschlan­d. „Und die Bundesrepu­blik kann ihre Bürgerinne­n und Bürger schon mit zwinkernde­m Auge duzen.“

ZIn Berlin kann man auf der Straße eher einen Polizisten duzen als in München“

JOOST VAN TREECK, HOCHSCHULE FRESENIUS

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