Wenn dem Polizeichef der Kragen platzt
Umstrittene Fahrt nach Lingen: Dienst oder Vergnügen
OLDENB G/WILHEL SHAVEN Es ging um einen Raubüberfall und die Ermittlergruppe der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland hatte sich festgefahren, kam nicht mehr voran. Es gab zwar eine DNA-Spur, doch die Auswertung über das Landeskriminalamt (LKA) sollte ein halbes Jahr dauern – eigentlich sogar noch länger. Bei dem halben Jahr waren die LKA-Kollegen schon dem Wunsch nach Dringlichkeit entgegengekommen.
Angesichts der Situation platzte dem damaligen Wilhelmshavener Polizeichef Hans-Henning von Dincklage der Kragen. Sein Kommentar: „Das kann doch nicht wahr sein.“Anschließend aktivierte er sein persönliches Netzwerk, verabredete sich per Telefon mit einem gut bekannten Kollegen in Lingen und ließ sich nach dem normalen Dienst dorthin fahren.
Gemeinsam drehten und wendeten die beiden leidenschaftlichen Kripo-Leute den Fall hin und her, diskutierten auch noch weitere Fälle und am Ende stellte der Kollege aus Lingen einen Kontakt zur Gerichtsmedizin in Münster her. Das Ergebnis: Polizeichef von Dincklage schickte einen seiner Ermittler mit dem DNA-Material nach Münster – und nach einer Woche lag das Ergebnis vor, der Täter war festgenommen, der Fall gelöst.
Am Freitag beschäftigte sich das Landgericht Oldenburg mit dieser Fahrt, weil es sich in der Untreue-Anklage gegen den inzwischen pensionierten 63-Jährigen so las, als habe er sich im Dienstwagen mit Fahrer zu einem privaten Freundschaftsbesuch nach Lingen fahren lassen, inklusive Restaurantbesuch. Dem Staat sei dadurch ein Schaden in Höhe von 130 Euro entstanden. Insgesamt 90 unerlaubte Fahrten im Dienstwagen werden von Dincklage von der Anklage vorgeworfen. Die Ermittlungen haben im Frühjahr 2013 begonnen. Seit Mittwoch verhandelt nun das Oldenburger Landgericht den Fall. Drei von 37 geplanten Verhandlungstagen sind inzwischen absolviert. Am Dienstag beginnen die Zeugenvernehmungen mit dem Polizeipräsidenten Johann Kühme und seinem Vorgänger Hans-Jürgen Thurau.