Mit Herz und Verstand bei der Sache
60 Rentner arbeiten an Rekonstruktion der Condor – Nonstop-Flug vor 80 Jahren
Die Ehrenamtlichen sind überwiegend ehemalige Airbus-Mitarbeiter. Was sie eint, ist die Begeisterung für das größte Flugzeug, das jemals in Bremen gebaut wurde
RE EN Den Traum haben viele Flugzeugbauer geträumt: mit einem Passagierflugzeug von Europa in die USA fliegen. Die Bremer Focke-Wulf-Werke haben es geschafft. Am 10. August 1938 startete von Berlin-Staaken eine Fw 200 Condor (DACON) und landete 24 Stunden und 56 Minuten später in New York. Für die erste Nonstop-Atlantiküberquerung mit einem Passagierflugzeug war den Flugzeugbauern von der Weser ein Eintrag in die Geschichtsbücher sicher.
Irre Fummelei
Den 80. Jahrestag des Rekordfluges über gut 6371 Kilometer feiert man bei Airbus Bremen am 11. und 12. August mit einer Ausstellung im Bremen Airport. Die Kuratoren beschäftigen sich ansonsten mit einem viel größeren Projekt. Sie rekonstruieren eine Condor, die im Mai 2020 dem Deutschen Technikmuseum in Berlin übergeben werden soll.
In einem ehemaligen Feuerwehr-Gebäude am Rande des Airbus-Werks Bremen und in direkter Nachbarschaft zum Flughafen hämmern, bohren und nieten Männer. 60 Rentner zwischen 60 und 93 bauen seit 15 Jahren den historisch wertvollen Vogel wieder auf. Die Ehrenamtlichen, überwiegend ehemalige Airbus-Mitarbeiter, haben vor ihrem Ruhestand als Ingenieure, Mechaniker, Techniker gearbeitet. Es sind aber auch Kaufleute, Kulissenbauer und ein Kapitän dabei. Was sie eint, ist die Begeisterung für das größte Flugzeug, das jemals in Bremen gebaut wurde, und die enorme technische Herausforderung.
In einer geräumigen hellen Werkstatt stellt Luft- und Raumfahrtingenieur Peter Wetjen (70) gerade mit Spanten und Stringer den mannshohen Rumpf her, die hintere Sektion ist bereits mit grünen Alublechen verkleidet. Im Nebenraum puzzeln der Flugzeuggerätemechaniler Reiner Hinz (75) und Zerspanungsmechaniker Werner Czech (67) aus Original- und Neuteilen die Rahmen der seitlichen Cockpitfenster zusammen.
In einer zweiten AirbusHalle
im neun Kilometer entfernten Stuhrbaum befindet sich die Tragflächen-Abteilung. Der 76-jährige PeterJörg Wiesner, Ex-Berufssoldat bei der Luftwaffe, präsentiert die nahezu unbeschädigten Außenflügel, deren Bespannung mit spezieller Folie fertiggestellt wird. Aber bis die Klappen der Fahrwerke mit den alten Reifen auf nachgegossenen Felgen wieder sauber öffnen und schließen, wird noch einige Zeit vergehen. „Das ist eine irre Fummelei“, sagt Wiesner.
Dass die Rekonstruktion so aufwendig, kleinteilig, zeitintensiv ist, liegt am Fundort der Condor. Diese wurde 1981 in einem norwegischen Fjord bei Trondheim in über 50 Metern Tiefe entdeckt. Die MilitärVersion war 1941 in Wenzendorf
südwestlich von Hamburg als Nummer 63 gebaut worden. Während des Zweiten Weltkriegs flog die Condor unter anderem als Fernaufklärer und musste 1942 wegen eines Landeklappendefekts notwassern. Die sechs Crewmitglieder konnten sich retten, die Condor versank.
Bei der Bergung 1999 brach der morsche Hauptholm der Condor, und diese krachte aus zehn Meter Höhe auf eine Plattform. Der Trümmerhaufen lagerte später lange in Hamburg auf dem LufthansaGelände.
Trotzdem taten sich Airbus Bremen, die Deutsche Lufthansa Berlin-Stiftung, RollsRoyce Deutschland und das Deutsche Technikmuseum Berlin zusammen, um das Unmögliche möglich zu machen.
An unterschiedlichen Orten wird seitdem das Flugzeug rekonstruiert, die Endmontage erfolgt in Bremen.
5 Zeichnungen
Das dortige Condor Team fing praktisch bei Null an. „Wir hatten ein paar alte Fotos und Betriebsanleitungen“, erinnert sich Horst Becker. Damit machten sich der 76-jährige gelernte Maschinenbauer und die anderen Enthusiasten ans Werk. Die Konstrukteure fertigten für jedes Flugzeugteil eine Eins-zuEins-Zeichnung an. Die mittlerweile fast 5000 Zeichnungen dienen als Vorlagen und Schablonen. Bei jedem Teil müssen die Condor-Rentner entscheiden, ob sie es nutzen, restaurieren oder neu bauen.
„60 bis 70 Prozent sind neu, und der Rumpf sogar zu 100 Prozent“, weiß Horst Becker.
„Ohne die finanziellen Mittel und die technische Unterstützung aus den Airbus-Abteilungen wäre das Projekt undenkbar“, sagt Günter Büker. Der 72-jährige Betriebswirt hat bis zur Rente als Controller bei Airbus gearbeitet und ist heute als Projektleiter Condor unterwegs. Er sei mit Condor-Geschichten aufgewachsen, sagt er. „Meine Eltern haben bei Focke-Wulf gearbeitet.“Als der CondorFan von dem Fund in Norwegen erfuhr, wollte er unbedingt bei der Bergung dabei sein. Und bei der Rekonstruktion natürlich auch. „Klar liegen wir auch mal im Clinch bei technischen Lösungen“, räumt Büker ein. Aber hinterher
gehe es immer weiter.
Muss es auch. Spätestens Anfang 2020 soll die Condor, in Silber gespritzt, möglichst authentisch dastehen. Sie soll rollen können, und alle beweglichen Teile plus Scheinwerfer sollen funktionieren.
Im Mai 2020 wird die Condor auf Lastwagen nach Berlin transportiert und dem Deutschen Technikmuseum Berlin übergeben. Einen Standort haben die Museumsleute schon ausgeguckt: Hangar 6 auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Dort schließt sich der Condor-Kreis. Der Rekordflieger nahm 1938 von New York direkten Kurs auf Tempelhof und landete dort nach 19 Stunden und 55 Minuten. Heute schaffen Linienflieger die Strecke in unter zehn Stunden.