Schnurgerade Kanäle und Straßen
Holländische Stadtgründer haben überall in Friedrichstadt Spuren hinterlassen
Eine Grachtenrundfahrt ist in der 1621 gegründeten Stadt ein Muss. Viel Zeit sollte sich der Besucher für einen Bummel durchs Künstlerviertel nehmen.
FRIEDRICHSTADT Alles Holland oder was? – Auf den ersten Blick könnte man es fast meinen: die Kanäle und Bogenbrücken mitten in der Stadt, die fein herausgeputzten Treppengiebelhäuser, das holprige Kopfsteinpflaster – und dann steht da doch tatsächlich „Frau Antje“mit Spitzenhäubchen, Faltenrock und Holzpantinen! Nein, dies ist nicht Klein Amsterdam. Und die nette Dame in holländischer Tracht ist eine Gästeführerin, die Besucher herzlich willkommen heißt.
Friedrichstadt gehört zum Originellsten, was SchleswigHolstein zu bieten hat. Auch, wenn der Schnack von den „13 Brücken, 13 Grachten und 13 Religionen“ein klein bisschen übertrieben ist.
Graue Eminenz
Tatsache ist, dass man dort überall auf Spuren der holländischen Stadtgründer trifft. Es waren Glaubensflüchtlinge, sogenannte Remonstranten, denen Friedrich III. von Schleswig-Gottorf Zuflucht und religiöse Freiheit bot. Der clevere Herzog wollte zwischen Eider und Treene einen Welthafen begründen. Und die Niederländer galten als die besten Schiffsbauer und Kaufleute ihrer Zeit. Nun, aus der Handelsmetropole südlich von Husum ist zwar nichts geworden. Dafür aber zieht das „Hollandstädtchen“heute Tausende Touristen an.
Eine Grachten-Rundfahrt ist das absolute „Muss“in Friedrichstadt. Wo sonst hat man schon das Vergnügen? Zwei Reedereien gibt es, eine im Süden und eine im Norden der Stadt. Günther Schröder ist die graue Eminenz der Grachtenfahrer. Sieben Schiffe dümpeln direkt vor seiner Haustür am Anleger Landungsbrücken. Ab und zu steht der 85-jährige Kapitän sogar noch selbst am Steuerrad – „aber nur, wenn ich Lust hab!“Er grinst und rückt die Mütze gerade.
Unter der alten Steinbrücke am Markt geht es hindurch zum Alten und zum Neuen Hafen und ein Stück die Treene hinauf. „Am schönsten ist es, wenn im Sommer die Seerosen blühen“, schwärmt der alte Mann.
Zu Fuß geht es nun in die „gute Stube“, auf den fast quadratischen Marktplatz der kleinen Stadt. Da stehen sie in Reih und Glied, die schmucken Bürgerhäuser mit ihren Treppengiebeln, die sie wie Hochfrisuren stolz zu Markte tragen. Einige stammen noch aus der Gründerzeit, dem frühen 17. Jahrhundert. Auffällig ist, dass viele Gebäude sogenannte Hausmarken haben – auch so ein typisch holländisches Erbe. Statt Nummern brachte man früher bunte Steintafeln an den Hausfassaden an. Symbole wie Fisch, Weinkübel oder Mühle ließen auf den Beruf der Eigentümer schließen. Aber was mag wohl der Frosch am Eckhaus der Marktstraße bedeuten?
Ein Stadtplan neben der Marktpumpe zeigt, wie es weitergeht. Verirren kann
man sich in Friedrichstadt kaum. Schnurgerade Straßen und Kanäle teilen die Altstadt wie Schachbrettfelder auf. Eben ganz wie in Amsterdam! Nur ein paar Schritte sind es bis zur Prinzenstraße.
Und schon sind wir mittendrin im Künstlerviertel. Dort heißt es, Zeit mitbringen. Das Kopfsteinpflaster sorgt von selbst für einen Bummelschritt. Aber auch die urigen, teils handtuchschmalen Häuser mit ihren spitzen Dächern und verschnörkelten Türen laden immer wieder zum Stehenbleiben und Staunen ein.
Nicht umsonst gehört Friedrichstadt zu den fünf Stadtdenkmälern in Schleswig-Holstein. Im jahrhundertealten Mauerwerk, oft krumm und schief, aber so unvergleichlich liebenswert, fühlen sich Maler, Töpfer, Glaskünstler und Goldschmiede wohl. Es macht Spaß, durch die Galerien und Ateliers zu streifen.
Dabei kommt man auch an
einem der ältesten Häuser vorbei, dem Doppelgiebelhaus von 1624. Das Schmuckstück wurde sogar mit der Europa-Nostra-Medaille ausgezeichnet, der höchsten europäischen Auszeichnung im Denkmalschutz. Noch heute zeigen die Räume, wie man in frühester Zeit baute und lebte. „Richtige“Keller gibt es nicht, weil der Untergrund zu nass ist. Stattdessen teilt sich der Hauptraum im hinteren Bereich in eine Art Tiefpaterre und eine darüber liegende „Upkammer“auf.
Dort hat Claudia Kleta ihre kreative Schneiderei eingerichtet. Bis unter die Decke stapeln sich Nähwerk, Stoffballen und Bänder. Sie liebt dieses kleine Städtchen, „in dem die Zeit stehen geblieben ist und jeder jeden kennt.“
Kein Wunder, bei nur etwa 2500 Einwohnern. Dafür hat Friedrichstadt umso mehr Gotteshäuser! Wie schon zu Friedrichs Zeiten konnten sich im Laufe der Jahrhunderte Holländisches Erbe: Steintafeln mit Tiersymbolen statt Hausnummern an den Hausfassaden im Stundentakt an. Die nächstgelegenen Flughäfen sind in Kiel, Lübeck und Hamburg.
Informationen:
Tourismusverein Friedrichstadt und Umgebung, Am Markt 9, 193 930 @ www.friedrichstadt.de
Pviele Religionsgemeinschaften in der „Stadt der Toleranz“frei entfalten: Lutheraner, Katholiken, Mennoniten, Juden und natürlich die holländischen Remonstranten. Obwohl sich ihr Kirchturm bereits bedenklich nach vorn neigt, halten sie tapfer die Stellung.
Für die rund 80 Remonstranten reist sogar einmal im Monat extra eine Pastorin aus Holland an. Gepredigt wird auf Deutsch, das Vaterunser betet die Gemeinde dann auf Holländisch. Anschließend trifft man sich im Haus gegenüber zu einer Tasse Kaffee, der „Kopje Koffie“,
Voller Geschichten
Es gibt noch so viel Spannendes zu entdecken. Zum Beispiel das kleine rote Handwerkerhaus, schräg gegenüber der Remonstrantenkirche. Es hat sogar die Beschießung der Stadt im Oktober 1850 schadlos überstanden,
als sich die Schleswig-Holsteiner mit den Dänen schlugen.
Die Überlieferung sagt, dass Uhrmachermeister Ketterer damals im Bombenhagel auf dem Dachfirst saß und jeden Funken Feuer löschte, der sein Haus bedrohte. Auch das Neberhaus am Mittelburgwall, in dem sich heute ein stilechtes Restaurant befindet, steckt voller Geschichten. Dort hielt sich während der Französischen Revolution der Herzog von Orleans unter dem Decknamen „de Vries“verborgen. Später bestieg er als Bürgerkönig Louis Philippe den französischen Thron.
Zum Abschluss sollte man sich noch ein Stück „Friesentorte“mit Pflaumenmus und Rumrosinen gönnen. Und vielleicht den Besuch in der „Alten Münze“, dem heutigen Stadtmuseum. Dort kann man die außergewöhnliche Geschichte von Friedrichstadt noch einmal in aller Ruhe auf drei Etagen Revue passieren lassen.