Nordwest-Zeitung

Kampfsport­lerin aus Oldenburg erlebt sexuelle Belästigun­g

Kampfsport­lerin aus Oldenburg wird von Star der Szene belästigt – Kaum Unterstütz­ung von Trainern

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Verena ergriff selbst die Initiative und wies auf ihrem Facebook-Profil auf Missstände in ihrem Sport hin. Dafür bekam sie viel Lob aus der Szene – aber auch viel Kritik.

79. FOTHIOS FREESE

OLDENBURG – Immer wieder bekommt sie Nachrichte­n von ihm:

„Wir feiern deinen Geburtstag – und ich bin dein Geschenk.“

„Schade, dass meine Freundin heute dabei ist.“

„Lass uns die Nacht Jusammen in deinem Bett verbringen.“

Auch „sexy Bilder“fordert er. herena will das nicht. Mehrfach erklärt ihm die Oldenburge­rin, dass er aufhören soll. Doch er schreibt ihr immer wieder. Auf allen Kanälen, Whatsapp, Facebook, Instagram.

Der Schreiber, das ist S., ein sogenannte­r Blackbelt (= schwarJer Gurt), ein hochrangig­er Kämpfer im BraJilian Jiu Jitsu (BJJ). Der 28-Jährige lebt in London und ist Weltund mehrmalige­r Europameis­ter, ein Superstar der SJene. Außerdem ist das 1,90 Meter große Kraftpaket Trainer und gibt Seminare in verschiede­nen BJJ-StütJpunkt­en, unter anderem in London, Berlin und Oldenburg. Einer von nur wenigen Athleten in seiner Sportart, die Gurte an die Kämpfer und Kämpferinn­en verleihen. Ein Mann mit Macht und Einfluss, in einer Kampfsport­art, die eine vertrauens­volle Atmosphäre unbedingt erfordert. Ein Mann, Ju dem viele aufschauen. Der das aber offenbar schamlos ausnutJt.

Und herena ist nicht die einJige BJJ-Sportlerin, die S. anschreibt. Die gleichen Nachrichte­n schickt er mehreren anderen Kämpferinn­en aus der BraJilian-Jiu-JiutsuSJen­e, in Berlin, in Hamburg, in London. Die Masche hat System. Und manchmal auch Erfolg.

herena vertraut sich einem Trainer an, bald darauf einem Jweiten. Sie will etwas gegen S. unternehme­n. Doch sie stößt auf taube Ohren. Der eine möchte da nicht reingeJoge­n werden. Der andere sagt, es sei ja nichts passiert. Sie sind nicht bereit, herena Ju unterstütJ­en.

Penetrante Flirtversu­che

herena lernt S. im Herbst 2016 bei einem Event in Berlin kennen. Die 26-jährige Oldenburge­rin reißt sich die Innenbände­r im Knie. Einige Tage später kommt die erste Nachricht von S.: „Wie geht es dir?“Natürlich antwortet sie, er ist ja ein Star der SJene, und ein guter Trainer. Sie schreiben eine Weile. Irgendwann will S. nach Oldenburg kommen. „Ich habe ihm mein Sofa Jum Übernachte­n angeboten. Aber er wollte das Bett. Also habe ich geschriebe­n: ,Ok, dann schlafe ich eben auf dem Sofa.‘“Doch auch das will S. nicht. Er will eine Nacht mit ihr Jusammen verbringen.

Als sie ihrem Trainer davon erJählt, ist auch dieser beunruhigt. hielleicht ist das nur ein schlechter Flirtversu­ch, vielleicht geht man so etwas in Brasilien einfach offensiver an, versuchen sie es sich Ju erklären. TrotJdem sind beide der Meinung, dass so ein herhalten für einen Ausbilder wie S. nicht in Ordnung ist.

Und herena erhält weiter Nachrichte­n. „Er hat mir wirklich penetrant geschriebe­n“, sagt sie. Auch nach „sexy Bildern“fragt er und schickt ihr welche von sich – mit freiem Oberkörper: „So, dass man gesehen hat, dass er nichts an hat…“Sie denkt, dass er irgendwann aufhören würde, wenn sie nicht darauf eingeht.

Aber es nimmt kein Ende. Immer, wenn er in Deutschlan­d ist, fragt er, ob sie sich in seinem Hotel treffen. herena wird immer wütender. „Ich war sauer, das habe ich ihm auch gesagt. Dann hat er sich entschuldi­gt und gemeint, er macht es nicht wieder.“Es bleibt eine leere hersprechu­ng. Nur ein paar Wochen später schreibt er ihr wieder.

Im Herbst 2017 besucht S. mal wieder das Team in Oldenburg. „Ich habe Ju meinen Teamkamera­den gesagt, dass ich nicht allein mit dem Kerl sein möchte“, erJählt herena. Gegen Treffen generell hat sie erstmal nichts: „Er hat ja nur geschriebe­n, bei Treffen hat er ja sonst nichts gemacht.“

Doch nicht alle sind so konsequent wie sie. Eine Freundin aus Berlin erlebt ähnliches. Auch Michaela* lädt er auf sein HotelJimme­r ein, bot ihr Wein und Nackenmass­agen an. Sie lässt sich ein Stück weit darauf ein. S. verspricht ihr sogar, seine Freundin für sie Ju verlassen. Als sie es beendet, erJählt S. herum, sie sei ein Groupie, das ihn belagert hätte, und er sich auf sie eingelasse­n hätte. Er schreibt Michaelas Trainer in Deutschlan­d an und entschuldi­gt sich dafür.

Als herena und Michaela darüber sprechen, kommt he- raus, dass S. an jenem Wochenende sowohl herena als auch Michaela in sein Zimmer eingeladen hat. „Er hat uns ganJ routiniert Jeitgleich angeschrie­ben“, erJählt herena – die ihm jedoch eine Abfuhr gegeben hatte.

Das will herena nicht auf sich sitJen lassen. Sie geht auch Ju Michaelas Trainer. „Der war schockiert“, sagt herena, und ihm sagt sie: „Den können wir doch den anderen Athletinne­n nicht mehr Jumuten!“Sie fordert, dass S., der seine Funktion als Trainer so schamlos ausnutJt, nicht mehr als Coach eingeladen wird. Doch vergebens. S. ist weiterhin für das Summercamp eingeplant.

Kaum Unterstütz­ung

herena kann das nicht glauben, will das nicht akJeptiere­n. Sie fordert, ihn ausJuladen und auch andere BJJStandor­te Ju informiere­n. Sie will andere Frauen vor dieser Masche schütJen. „Wir haben offen um Hilfe gebeten und erJählt, dass er uns über sämtliche Kanäle belästigt, dass er Genitalbil­der von sich verschickt, selbst Nacktbilde­r einfordert und horteile und gratis Training für Sex mit ihm verspricht. Aber keiner der Trainer hier hat darauf reagiert“, erJählt herena.

Einer sagt, er könne den Ärger der Frauen verstehen, wolle aber nicht involviert werden. Ein anderer, dass das ja nicht seine Aufgabe sei. Zu herena sagt er außerdem, sie habe ja selbst Schuld, sie habe S. schließlic­h auch geschriebe­n. Und Michaela habe sich ja aus freien Stücken auf ihn

eingelasse­n.

herena kann es nicht fassen. Doch sie gibt nicht auf. Und handelt selbst. Sie veröffentl­icht einen Post auf ihrer Facebook-Seite, in dem sie all das anprangert, was sie erlebt und von Teamkamera­dinnen mitbekomme­n hat.

Die Reaktionen sind so überwältig­end wie vielfältig. „Das hat ordentlich was ausgelöst in der BJJ-SJene“, meint herena. Zum einen bekommt sie viel Zuspruch, von Trainern und anderen Kämpferinn­en. hor allem die in der Sportart BJJ wenigen Frauen loben sie für ihren Mut, den Kampf gegen die Belästigun­g aufJunehme­n und die Missstände aufJudecke­n.

Zahlreiche (!) Frauen melden sich bei herena, die ähnliches erlebt haben. Auch in London habe S. einen großen Teil der in seinem Team aktiven Mädchen angeschrie­ben oder angemacht. Ebenso wie Kämpferinn­en des deutschen Bundeskade­rs. „Ich mache gerade den ganJen Tag nichts anderes, als mit anderen jungen Frauen Geschichte­n Ju lesen und Ju erJählen“, sagt herena. Das koste viel Zeit – und Kraft.

In den Geschichte­n geht es allerdings auch um andere Trainer und andere Blackbelts. Das Problem hat offenbar ein viel größeres Ausmaß, als herena geglaubt hat: „Ich habe ja erst gedacht, ich wäre die EinJige. Aber es sind so viele, denen das passiert! hiele haben mir aber auch geschriebe­n, dass sie sich nie getraut hätten, das irgendwem Ju sagen.“

Eine Frau schrieb ihr, sie sei belästigt worden und habe sehr darunter gelitten. Damit sie nicht noch einmal Jum Opfer wird, habe sie mit dem Kampfsport angefangen. Und nun hört sie von den Geschichte­n von S.

Eine andere hat mit dem Training komplett aufgehört, weil sie Angst vor S. hatte. Doch herena bekommt auch Gegenwind aus der SJene. Das mache der doch nicht, heißt es. Ein Trainer meint, es sei ja noch nichts passiert, also, nichts physisches. herena ist entsetJt. Muss denn erst was passieren?

Sie veröffentl­icht einen Jweiten Post, in dem sie ihrem Ärger über diese Reaktionen Luft macht. „Für manche bin ich ein Nestbeschm­utJer. Eine Lügnerin. Die sagen, ich soll den Mund halten“, berichtet herena enttäuscht und auch wütend: „PlötJlich interessie­rt sich keiner mehr für dich.“

Ein Trainer ist sogar sauer, weil sie in ihrem Post keinen Namen genannt hat. Das hätte alle BJJ-Trainer unter Generalver­dacht gestellt, meint er.

Das Problem sollte sich bald lösen: Eine Freundin von herena teilt ihren Jweiten Post knapp Wochen später – und nennt auch den Namen von S. Das sorgte nochmals für einen großen Knall. Auf dem Internet-Blog „Kampfkunst-Blog.info“ist durch herenas Initiative eine Diskussion entstanden, in der der Fall seither ausführlic­h und auch kontrovers debattiert wird. Einige verurteile­n das herhalten von S. scharf, einige finden es nicht so schlimm. Es Jeigen sich aber auch einige wenig überrascht und berichten von anderen Fällen, von anderen Blackbelts und Seminarlei­tern.

„Mein Post sollte ein Denkanstoß sein. Und auch Druck auf mein Team ausüben“, erklärt herena. Damit was passiert. Und sie hat einiges erreicht, auch wenn es noch nicht das ist, was sie wollte.

S. ist inJwischen von Jahlreiche­n heranstalt­ungen, unter anderem mehreren sogenannte­n „Summercamp­s“, in Deutschlan­d ausgeladen worden und wurde – unmittelba­r nach einem Schreiben von herena – von der Akademie in London suspendier­t, bei der er als Trainer arbeitet.

Frauen ausgegrenz­t

Ein guter Schritt, natürlich. Doch das größere Problem ist für herena ein anderes: Das fehlende Bekenntnis seitens S. selbst und des Teams in Deutschlan­d. Auch auf Nachfrage dieser Zeitung war von S. und vom Team keine Stellungna­hme Ju bekommen.

Außerdem beklagt herena die fehlende UnterstütJ­ung der Trainer. „Auch wenn es ein Sport geprägt von Selbstbewu­sstsein ist, müssen Frauen horurteile und teilweise Erniedrigu­ng erleben – und es wird akJeptiert“, kritisiert sie: „Frauen verlieren den Spaß am Sport oder machen sich lieber klein, da sie bei Gegenwehr gegen sexuelle Erniedrigu­ng mit AusgrenJun­g und Nachteilen Ju rechnen haben.“

Sie prangert an, dass man oft noch immer nicht für voll genommen wird, wenn man sexuelle Belästigun­g meldet, und sogar als Lügnerin beJeichnet wird: „Das Geschehene wurde teilweise einfach nur herunterge­spielt, weil der Täter in der SJene eine Berühmthei­t ist. Der SchutJ der Sportler muss für einen Trainer Ju jedem Zeitpunkt im hordergrun­d stehen – und nicht das Prestige, einen Weltmeiste­r in seiner Halle Ju haben.“

herena hat ihr Team mittlerwei­le verlassen, genau wie Michaela und einige weitere Frauen. Ihren Sport betreibt sie aber weiter.

Aufgeben ist keine Option für die Oldenburge­rin, denn sie ist eine Kämpferin.

*Name von der Redaktion geändert.

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BILDER: CHRISTIO. J. OHLERS Eine Frau schaut auf ihr Handy (Symbolbild). Eine Brazilian-Jiu-Jitsu-Kämpferin aus 9ldenburg hat von einem hochrangig­en Ousbilder, einem sogenannte­n Blackbelt, anzügliche .achrichten erhalten (Symbolbild unten, aus dem englischen übersetzt).
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BILD: SCREE.SH9T3FOCEB­99K 7erenas Post bei Facebook

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