Viele Hassmails an das Gericht
Höchste NRW-Richterin kritisiert Politik
GELSENKIRCHEN/MÜNSTER – Wegen Hassmails, Beschimpfungen und Bedrohungen in der Affäre um Sami A. hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Strafanzeigen gestellt. „Wir haben bislang knapp 400 Briefe und Mails an die Pressestelle und die Verwaltung bekommen“, sagte ein Gerichtssprecher. Einen Teil davon – rund ein Dutzend – habe das Gericht nach eigener Einschätzung als strafrechtlich relevant eingestuft.
Die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts in Münster, Ricarda Brandts, hat im Zusammenhang mit der Entscheidung zu Sami A. von Mitte Juli von einem sogenannten Shitstorm berichtet, der über das Verwaltungsgericht hereingebrochen sei. „Es gab Beleidigungen und Bedrohungen in einem für das Gericht bislang beispiellosen Ausmaß“, sagte Brandts.
Der Fall des zu Unrecht nach Tunesien abgeschobenen Islamisten hatte eine kontroverse Debatte über die Unabhängigkeit der Justiz losgetreten. Nordrhein-Westfalens ranghöchste Richterin Brandts machte der Politik schwere Vorwürfe. Die Behörden hätten der Justiz Informationen vorenthalten, um eine rechtzeitige Entscheidung der Richter zu verhindern. Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) warf den Richtern vor, sie hätten das Rechtsempfinden der Bevölkerung nicht ausreichend im Blick.
Der von den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestufte Sami A. war am 13. Juli abgeschoben worden. Zu Unrecht, wie das nordrhein-westfälische OVG letztinstanzlich entschied. Deutsche Behörden müssen den 42-Jährigen zurückholen.
E in Innenminister, der deutliche Richterschelte übt, ein stellvertretender Ministerpräsident und Flüchtlingsminister, der sich selbstkritisch gibt und Fehler bei der Abschiebung des islamistischen Gefährders Sami A. einräumt – die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gibt im Fall des früheren Bin-Laden-Leibwächters ein ganz schlechtes Bild ab.
Die Gewaltenteilung ist das Fundament jedes modernen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Wer diese als Politiker – noch dazu in Regierungsverantwortung – infrage stellt oder sich gar darüber hinwegsetzt, überschreitet Grenzen. Natürlich sind Richter nicht unfehlbar und können Gerichtsentscheidungen kritisiert werden. Doch ist die Unabhängigkeit der Justiz als dritte Gewalt ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt.
Der Fall Sami A. und das Chaos um seine Abschiebung zeigt einmal mehr, dass es immense Defizite gibt, wenn es darum geht, Menschen ohne Asyl- und Bleiberecht in ihre Heimat zurückzuführen. Wenn dies nicht einmal bei islamistischen Gefährdern gelingt, die die freiheitliche Ordnung bekämpfen wollen, mit Anschlägen drohen, schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat.
Die von Bund und Ländern angekündigte nationale Kraftanstrengung beim Thema Abschiebungen lässt weiter auf sich warten. Das Chaos und die Schwierigkeiten im Fall Sami A. zeigen deutlich, dass es dringend rechtliche und organisatorische Änderungen geben muss, um zumindest in Fällen handlungsfähig zu sein, in denen Gefahr in Verzug ist.
Politiker, die mit Richterschelte auf eigene Versäumnisse reagieren, anstatt ihre Arbeit zu machen, leiten Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.
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