Endgültig Schicht im Schacht
Aus des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet beendet eine industrielle Ära
Bald ist der deutsche Steinkohlebergbau endgültig Geschichte, nur noch zu besichtigen im Bergbaumuseum Bochum. Denn bis Ende dieses Jahres wird die letzte aktive Zeche in Nordrhein-Westfalen, Anthrazit in Ibbenbüren, die Förderung einstellen.
Das „Grubengold“war der Treibstoff des Wiederaufbaus. Dann flossen über Jahrzehnte rund 150 Milliarden Euro in eine nicht mehr konkurrenzfähige Branche. Jetzt wird die Steinkohle zu Grabe getragen.
Immerhin mehr als 150 Jahre hat der industrielle Abbau der Kohle das Ruhrgebiet geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, auf dem Höhepunkt der Produktion, waren noch mehr als eine halbe Million Menschen in den Zechen beschäftigt.
Der Steinkohlebergbau galt als eine Schlüsselindustrie für das deutsche Wirtschaftswunder, die mehr Arbeitsplätze bereitstellte als heute die deutsche Chemieindustrie. Nach dem Krieg hat die Kohle uns in der jungen Bundesrepublik Deutschland – um es einmal im ungeschminkten Ruhrgebietsdeutsch zu sagen – „den Arsch gerettet“.
Klare Kante, Auskunft über einen robusten Realismus. Die Malocher-Haltung hat das Ruhrgebiet immer geprägt. Die Kohle hat Wohlstand gebracht, und sie hat Identität und Selbstverständnis geprägt.
Harte Arbeiter, permanente Zuwanderung und Stolz auf die unverzichtbare Arbeit schufen eine eigene Kultur und eine eigene Begriffswelt wie „Motteck“(dicker Hammer) oder „schlagende Wettilindustrie, ter“(explosionsgefährliches Gasgemisch unter Tage). Und „vor Ort“war da, wo die Kohle bei mehr als 30 Grad Celsius abgebaut wurde.
Die Steinkohle war nicht nur Heizmaterial, mit der man auch noch Stahl produziert konnte. Aus den Abfällen der Steinkohle entwickelten Chemiker noch vieles mehr: das Gas für die Straßenbeleuchtung in den Städten, die modernen synthetischen Farben, pharmazeutische Erfindungen bis hin zum Aspirin, die ersten Kunststoffe wie Bakelit, die Perlonstrumpfhose und Margarine. Lang, lang ist es her.
Die Haltung der Menschen im Ruhrgebiet ist geblieben,
aber die Zeiten haben sich kolossal geändert.
Im Preis- und Wettbewerbsvergleich mit Importkohle aus Ländern, in denen der Rohstoff nicht in so großen Teufen (Tiefen) liegt, hatte die aus immer tieferen Tiefen gewonnene deutsche Kohle das Nachsehen. Rund 150 Millionen Tonnen Steinkohle wurden früher aus 173 Zechen in einem einzigen Jahr gefördert.
Mehr als zwei Drittel des deutschen Energieverbrauchs stammten aus heimischer Steinkohle. Mit billigem Erdöl, Gas und auch Strom aus den neuen deutschen Atomkraftwerken begann in den sechziger Jahre der schleichende Niedergang. Auch weil zusätzlich immer mehr billige Importkohle auf den Markt kam.
So wurde die deutsche Steinkohle zum größten Subventionsempfänger des Landes. Aber man muss auch sagen, dass im deutschen Steinkohlebergbau sehr viel in die Sicherheit für die Kumpel investiert wurde. Das war in anderen Ländern wie Polen, China oder Russland nicht der Fall. Im Gegenteil.
Und jetzt?
Es wird viel Nostalgie, Wehmut und Verklärung mitwehen, wenn der Deckel auf dem letzten Schacht ist. Aber: Respekt vor Tradition und Geschichte und aller Vorbildlichkeit, die dieser Schmelztiegel in Sachen Integration zugewanderter Arbeitskräfte bewiesen hat. Ich bin in den 70er Jahren mit Italienern und Türken zur Schule gegangen, wir haben zusammen im Fußball-Verein gespielt und uns für dieselben Mädchen interessiert.
Rund 50 Millionen Tonnen Kohle liegen noch unter der Erde. Und da werden sie auch bleiben. Die Tage des Kohlebergbaus sind in Deutschland gezählt.
Wohl niemals zuvor ist eine Branche mit so viel Pomp zu Grabe getragen worden. Andere Wirtschaftszweige, man denke an den Niedergang der einst etliche Tausend Arbeiterinnen beschäftigenden Tex- erlitten ein stilles Ende. Aber auch kaum eine Branche war wohl so identitätsstiftend wie der Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet.
Auch nach der Zeit des Steinkohlebergbaus werden die sogenannten Ewigkeitslasten weiter hohe Kosten verursachen. Dazu gehört etwa das Abpumpen des Wassers aus den Stollen und Schächten, die den Boden durchlöchern wie der berühmte Schweizer Käse. Das soll aus den Erträgen der Ruhrkohle-AG-Stiftung bezahlt werden, die dafür bisher 4,7 Milliarden Euro angesammelt hat.
Aber ich glaube auch: Erst wenn der Bergbau Geschichte ist, kann sich das Ruhrgebiet endgültig emanzipieren und mit den Pfunden wuchern, die es nun hat.
Und so ehrlich müssen wir auch sein: Die Diskussion über den Klimaschutz konzentriert sich heute fast immer auf den Ausstieg aus der Kohleindustrie. Daher ist die Abschaltung von Kohlekraftwerken mit ihren rauchenden Schloten politisch symbolträchtig.
Das hilft ungemein, ein politisches Jahrhundertthema populär zu illustrieren. Jedoch beschränkt sich die Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen keineswegs auf diese Industrie. Auch für die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Abwasser und Gebäude hat die Bundesregierung ehrgeizige Ziele vereinbart – wenn auch ihre Einhaltung unrealistischer denn je ist.
Deshalb sage ich: Danke, Kumpel. Und natürlich Glückauf!