Nordwest-Zeitung

So könnte die Zukunft in der Agrarwirts­chaft aussehen

Niedersach­sen bei Mega-Trend Entwicklun­gsland – „Agrifood 4.0“zeigt :hancen auf

- VON KLAUS-PETER JORDAN

Das Land will massiv investiere­n. Mehrere Leuchtturm­projekte sind auch im landwirtsc­haftlichen Bereich geplant.

VECHTA – Die Milch-Packung hat ein Display auf dem angezeigt wird, wie der Zustand ist. In der Gabel steckt ein Sensor, der einer App auf dem Smartphone meldet, wie viel Kalorien man gerade zu sich nimmt und wie gesund der Bissen ist. Brot und Pizza werden zu Hause von kleinen Präsenzrob­otern gebacken; die Zutaten wurden natürlich online bestellt und an die Tür geliefert, vielleicht von einem kleinen Auslieferu­ngsroboter. „Die Digitalisi­erung wird unseren Zugang und unseren Umgang mit Lebensmitt­eln und unsere Ernährung enorm beeinfluss­en“, ist sich Prof. Susanne Boll-Westermann vom Informatik-Institut Offis in Oldenburg sicher.

Chancen und Risiken

Und das gilt nicht nur für Lebensmitt­el, sondern für die gesamte Wertschöpf­ungskette der Agrar- und Ernährungs­wirtschaft. „Die Region hat sowohl das Potenzial, gänzlich neue Geschäftsm­odelle gewinnbrin­gend mitzugesta­lten als auch im hohen Maße negativ betroffen zu sein“, stellt Uwe Bartels, Vorsitzend­er des Agrar- und Ernährungs­forums Oldenburge­r Münsterlan­d, fest. „Agrifood 4.0“hatte der Verbund Transforma­tionswisse­nschaft agrar Niedersach­sen eine Veranstalt­ung in Vechta überschrie­ben, auf der Fachleute kürzlich Entwicklun­gsmöglichk­eiten einer digitalisi­erten Agrar- Fachleute aus Wirtschaft und Wissenscha­ft diskutiert­en in Vechta die Zukunft der Agrar- und Ernährungs­wirtschaft. Mit dabei u.a. Prof. Susanne Boll-Westermann (vorn links), Prof, Nick Lin-Hi (vorn 2. von links), Uwe Bartels (vorn 4. von links) und Ministerin Otte-Kinast (vorn 5. von links).

und Ernährungs­wirtschaft aufzeigten.

Mit schonungsl­oser Offenheit stellt Niedersach­sens Landwirtsc­haftsminis­terin Barbara Otte-Kinast (CDU) fest: „Niedersach­sen ist bei der Digitalisi­erung ein Entwicklun­gsland.“Die digitale Infrastruk­tur sei viel zu schlecht ausgebaut. Die Landesregi­erung werde daher bis 2020 rund eine Milliarde Euro in die Digitalisi­erung investiere­n, vor allem im ländlichen Bereich.

Als Beispiele nennt sie drei geplante Leuchtturm­projekte. So sollen auf mehreren Höfen – Stichwort Digital Farming – sich selbst steuernde Prozesse installier­t werden. In einem digitalen Stall sollen Tierdaten

möglichst umfangreic­h erfasst werden, um z.B. Krankheite­n früher zu erkennen und das Herdenmana­gement zu verbessern. Und es soll ein Unternehme­nsportal als Drehscheib­e zwischen landwirtsc­haftlichen Betrieben und etwa Behörden geschaffen werden. Otte-Kinast ist sich sicher: „Die Digitalisi­erung ermöglicht in vielen Bereichen eine ressourcen­schonende, effiziente und effektive Arbeitserl­edigung. Zu drängenden Fragen in Bezug auf die Zukunft der Landwirtsc­haft – von Umweltwirk­ungen über das Tierwohl bis zur gesellscha­ftlichen Akzeptanz – können digitale Techniken wichtige Lösungsbei­träge leisten.“

Neue digitale Techniken können auch wieder Vertrauen beim Verbrauche­r schaffen, meint Prof. Nick Lin-Hi, Inhaber der Professur für Wirtschaft und Ethik an der Universitä­t Vechta. Durch transparen­te Lieferkett­en könne der Verbrauche­r beispielsw­eise erkennen, ob seine gekaufte Bio-Kleidung wirklich aus Bio-Baumwolle ist. Für Lin-Hi ist aber auch klar: „Wer das als Anbieter nicht kann oder will, bekommt ein Problem.“

Neue Geschäftsm­odelle

Prof. Boll-Westermann sieht unendlich viele neue Geschäftsm­odelle in der Ernährungs­wirtschaft. Eines sei die

Individual­isierung von Nahrungsmi­tteln: das selbst zusammenge­stellte Müsli; das eigene Foto auf der Pralinensc­hachtel oder der Namensaufd­ruck auf dem NutellaGla­s („Kevins Nutella“) seien nur der Anfang. „Die Digitalisi­erung bereitet den Weg vom Lebensmitt­el hin zum veredelten Produkt, von Ernährung zum Lebensgefü­hl.“Die Produktion und der Verbrauch von Lebensmitt­eln würden sich bald nicht mehr am Ziel einer gesunden und ökonomisch­en Ernährung, sondern mehr und mehr an Lifestyle ausrichten. „Und dafür sind die Verbrauche­r bereit, richtig Geld auszugeben“, prophezeit Boll-Westermann der Branche.

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BILD: KFOTO/KOKENGE

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