So könnte die Zukunft in der Agrarwirtschaft aussehen
Niedersachsen bei Mega-Trend Entwicklungsland – „Agrifood 4.0“zeigt :hancen auf
Das Land will massiv investieren. Mehrere Leuchtturmprojekte sind auch im landwirtschaftlichen Bereich geplant.
VECHTA – Die Milch-Packung hat ein Display auf dem angezeigt wird, wie der Zustand ist. In der Gabel steckt ein Sensor, der einer App auf dem Smartphone meldet, wie viel Kalorien man gerade zu sich nimmt und wie gesund der Bissen ist. Brot und Pizza werden zu Hause von kleinen Präsenzrobotern gebacken; die Zutaten wurden natürlich online bestellt und an die Tür geliefert, vielleicht von einem kleinen Auslieferungsroboter. „Die Digitalisierung wird unseren Zugang und unseren Umgang mit Lebensmitteln und unsere Ernährung enorm beeinflussen“, ist sich Prof. Susanne Boll-Westermann vom Informatik-Institut Offis in Oldenburg sicher.
Chancen und Risiken
Und das gilt nicht nur für Lebensmittel, sondern für die gesamte Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft. „Die Region hat sowohl das Potenzial, gänzlich neue Geschäftsmodelle gewinnbringend mitzugestalten als auch im hohen Maße negativ betroffen zu sein“, stellt Uwe Bartels, Vorsitzender des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland, fest. „Agrifood 4.0“hatte der Verbund Transformationswissenschaft agrar Niedersachsen eine Veranstaltung in Vechta überschrieben, auf der Fachleute kürzlich Entwicklungsmöglichkeiten einer digitalisierten Agrar- Fachleute aus Wirtschaft und Wissenschaft diskutierten in Vechta die Zukunft der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Mit dabei u.a. Prof. Susanne Boll-Westermann (vorn links), Prof, Nick Lin-Hi (vorn 2. von links), Uwe Bartels (vorn 4. von links) und Ministerin Otte-Kinast (vorn 5. von links).
und Ernährungswirtschaft aufzeigten.
Mit schonungsloser Offenheit stellt Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) fest: „Niedersachsen ist bei der Digitalisierung ein Entwicklungsland.“Die digitale Infrastruktur sei viel zu schlecht ausgebaut. Die Landesregierung werde daher bis 2020 rund eine Milliarde Euro in die Digitalisierung investieren, vor allem im ländlichen Bereich.
Als Beispiele nennt sie drei geplante Leuchtturmprojekte. So sollen auf mehreren Höfen – Stichwort Digital Farming – sich selbst steuernde Prozesse installiert werden. In einem digitalen Stall sollen Tierdaten
möglichst umfangreich erfasst werden, um z.B. Krankheiten früher zu erkennen und das Herdenmanagement zu verbessern. Und es soll ein Unternehmensportal als Drehscheibe zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und etwa Behörden geschaffen werden. Otte-Kinast ist sich sicher: „Die Digitalisierung ermöglicht in vielen Bereichen eine ressourcenschonende, effiziente und effektive Arbeitserledigung. Zu drängenden Fragen in Bezug auf die Zukunft der Landwirtschaft – von Umweltwirkungen über das Tierwohl bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz – können digitale Techniken wichtige Lösungsbeiträge leisten.“
Neue digitale Techniken können auch wieder Vertrauen beim Verbraucher schaffen, meint Prof. Nick Lin-Hi, Inhaber der Professur für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta. Durch transparente Lieferketten könne der Verbraucher beispielsweise erkennen, ob seine gekaufte Bio-Kleidung wirklich aus Bio-Baumwolle ist. Für Lin-Hi ist aber auch klar: „Wer das als Anbieter nicht kann oder will, bekommt ein Problem.“
Neue Geschäftsmodelle
Prof. Boll-Westermann sieht unendlich viele neue Geschäftsmodelle in der Ernährungswirtschaft. Eines sei die
Individualisierung von Nahrungsmitteln: das selbst zusammengestellte Müsli; das eigene Foto auf der Pralinenschachtel oder der Namensaufdruck auf dem NutellaGlas („Kevins Nutella“) seien nur der Anfang. „Die Digitalisierung bereitet den Weg vom Lebensmittel hin zum veredelten Produkt, von Ernährung zum Lebensgefühl.“Die Produktion und der Verbrauch von Lebensmitteln würden sich bald nicht mehr am Ziel einer gesunden und ökonomischen Ernährung, sondern mehr und mehr an Lifestyle ausrichten. „Und dafür sind die Verbraucher bereit, richtig Geld auszugeben“, prophezeit Boll-Westermann der Branche.