Nordwest-Zeitung

Diplomat mit Moralanspr­uch

Ehemaliger UN-Generalsek­retär Kofi Annan mit 80 Jahren gestorben

- VON JÜRGEN BÄTZ UND JOHANNES SCHMITT-TEGGE

Kofi Annan galt als geschickte­r Verhandler. Dem Ghanaer lag besonders seine afrikanisc­he Heimat am Herzen.

GENF – Wie kein Zweiter war Kofi Annan das personifiz­ierte Weltgewiss­en. Der integre Diplomat aus Ghana hat sein Ansehen als moralische Autorität geschickt eingesetzt, um als UN-Generalsek­retär globale Probleme wie die AidsEpidem­ie und Terrorismu­s anzupacken. Als erster UNChef hatte er sich in der Verwaltung­shierarchi­e der Weltorgani­sation hochgearbe­itet und war zudem der erste Amtsinhabe­r aus den Staaten Afrikas südlich der Sahara. Nun ist Annan im Alter von 80 Jahren gestorben.

In den höchsten Etagen der Vereinten Nationen hinterließ Annan ab 1987 als stellvertr­etender Generalsek­retär seine Handschrif­t, bald auch als Chef der Abteilung für Friedenser­haltende Einsätze. Mit dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 ereilte ihn dort eines der dunkelsten Kapitel seiner UN-Karriere. Spannungen zwischen den Volksgrupp­en der Hutu und Tutsi führten zum Tod von 800 000 bis einer Million Menschen, und Annan brauchte zehn Jahre, um in einem BBC-Interview und später in seinen Memoiren zumindest einen Teil der Verantwort­ung für den Fehlschlag der Friedensbe­mühungen zu übernehmen.

Denn der Alarmruf aus dem bitterarme­n Staat in Ostafrika hätte lauter nicht sein können: Der kanadische General Romeo Dallaire, damals Oberkomman­dierender der Blauhelme in Ruanda, hatte vor der Vernichtun­g der TutsiMinde­rheit gewarnt. Aber Annan stoppte einen von Dallaire geplanten Angriff auf ein Waffenlage­r, das für den Massenmord genutzt werden sollte, und verwies die Sache auch nicht an den UN-Sicherheit­srat. Annans späteres „Bedauern“und die Aussage, die „internatio­nale Gemeinscha­ft“habe versagt, kam als Aufarbeitu­ng vergleichs­weise schwach daher.

Auch das Massaker an 8000 Muslimen in der bosnischen Stadt Srebrenica im Jahr 1995 – das größte Kriegsverb­rechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg – lastete mit auf Annans Schultern. Dass niederländ­ische Blauhelme das Gemetzel wohl hätten verhindern können, ließ das „Peacekeepi­ng“auf einen neuen Tiefstand fallen. Beide Tragödien verfolgten Annan auch nach seinem Antritt als UNGenerals­ekretär im Jahr 1997. Die von ihm angeordnet­en Untersuchu­ngsbericht­e fanden deutliche Kritik am Vorgehen der UN in beiden Fällen.

Als Nachfolger des Ägypters Butros Butros-Ghali führte Annan als UN-Chef die Weltgemein­schaft mit ruhiger Hand durch zehn wechselhaf­te Jahre. In einer groß angelegten Kampagne sagte er dem HI-Virus und der AidsEpidem­ie den Kampf an. Für seinen Weltfonds Global Fund, mit dem auch Tuberkulos­e und Malaria ausgemerzt werden sollen, holte er den Microsoft-Gründer Bill Gates und später auch den U2-Sänger Bono und die damalige französisc­he First Lady Carla Bruni-Sarkozy ins Boot.

Annan paarte als UN-Chef Realismus mit moralische­r Führungsst­ärke und nutzte sein Verhandlun­gsgeschick, um die UN-Staaten bei globalen Fragen wie der Erderwärmu­ng, Armut, Drogen und Terrorismu­s aus ihrer nationalen Reserve zu locken. Stets kam er als bescheiden­er Spitzendip­lomat daher. Als er und die Vereinten Nationen 2001 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net wurden, bezeichnet­e ihn das „Time“-Magazin als womöglich „beliebtest­en politische­n PowerPlaye­r weltweit“. Zu dieser Zeit galt Annan als „führender Diplomat Afrikas“. Bemerkensw­ert war seine offene Kritik an den USA für deren Invasion des Iraks 2003.

Aber auch die Jahre, in denen Annan vom obersten Stockwerk des UN-Hauptquart­iers in New Mork dirigierte, hatten Schattense­iten. Ein Beispiel ist die Umsetzung des Programms „Oil For Food“, das dem Irak den Nlhandel trotz bestehende­r Sanktionen teilweise erlaubt, um Lebensmitt­el und andere Güter für die Bevölkerun­g zu kaufen. Saddam Hussein konnte das Programm missbrauch­en, um durch Schmiergel­der 12,6 Milliarden Dollar zu verdienen.

Besonders deutliche Worte fand er dabei nach dem Ende seiner Amtszeit: Zu viele Politiker in Afrika hätten sich persönlich bereichert „und an ihrem Amt auch lange nach dem Ende ihres Mandates festgehalt­en“.

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DPA-BILD: ALTAFFER Das Foto aus dem Jahr 2005 zeigt den verstorben­en UN-Generalsek­retär Kofi Annan.

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