Nordwest-Zeitung

Energiewen­de hakt an falscher Förderlogi­k

Wirtschaft­sminister nimmt sich Netzausbau­s an

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Ü ber den Bau des neuen Großflugha­fens BerlinBran­denburg, der nicht vorankomme­n will, oder über das unterirdis­che Milliarden­grab Stuttgart 21 wird am liebsten gewitzelt. Verständli­ch. Nur so lässt sich das Desaster bei der dilettanti­schen Umsetzung dieser Großprojek­te ertragen. Bei der Energiewen­de ist dies – zum Glück – nicht der Fall. Aber Wirtschaft­sminister Peter Altmaier hat Recht: Auch hier schlägt „die Stunde der Wahrheit“.

Freuen können sich bislang nur die Betreiber von Windrädern, Biomassekr­aftwerken und Solaranlag­en. Sie kassieren jährlich Fördergeld­er von mehr als 25 Milliarden Euro. Die Stromverbr­aucher haben zu zahlen – auch dann, wenn der Strom gar nicht genutzt werden kann, weil die notwendige­n Netze für den Transport fehlen.

Minister Altmaier hat den Netzausbau zur „Chefsache“gemacht. Doch vieles deutet darauf hin, dass er wie seine Vorgänger im wahrsten Sinne des Wortes gegen Windmühlen anläuft. Weil die Förderlogi­k der Energiewen­de falsche Prioritäte­n setzt: Der Bau immer neuer Windräder oder Photovolta­ikanlagen wird gefördert, statt den Markt der erneuerbar­en Energien schneller auf Wettbewerb umzustelle­n und den Netzausbau zu beschleuni­gen. Sonst wird die Energiewen­de, deren Gesamtkost­en bis 2050 ohnehin astronomis­che zwei bis drei Billionen Euro erreicht, zum Fass ohne Boden.

Alle Regierunge­n haben sich, seit Kanzlerin Angela Merkel 2011 nach der Reaktorkat­astrophe von Fukushima die beschleuni­gte Energiewen­de ausrief, der Untätigkei­t schuldig gemacht. Das Thema ist unangenehm, weil Bürger die Verschande­lung der Landschaft durch Windräder zwar noch hingenomme­n haben. Wenn aber vor der Haustür gut 80 Meter hohe Masten für neue Stromtrass­en errichtet werden sollen, hört die Akzeptanz auf.

Viele Länder der Welt schauen auf Deutschlan­d. Der radikale Umbau des Stromverso­rgungssyst­ems ist ein einmaliges und ehrgeizige­s Experiment. Es hat Modellchar­akter nicht nur für den Ausstieg aus der Atomkraft. Die Energiewen­de sollte vor allem der Reduzierun­g der Treibhausg­ase dienen, die bei der Verstromun­g fossiler Brennstoff­e anfallen. Klingt gut, doch dürfen mögliche Nachahmer aus dem Ausland bei der deutschen Energiewen­de nicht so genau hinschauen. Zwar wuchs die Zahl der Solar- und Windkrafta­nlagen rasant. Mehr als ein Drittel des erzeugten Stroms stammt inzwischen aus erneuerbar­en Energien. Aber erstens befeuerte der Staat diesen Boom mit der „Einspeisev­ergütung“. Dadurch

hat Deutschlan­d die höchsten Strompreis­e in Europa. Und zweitens hat es bislang keine Reduzierun­g der Treibhausg­ase gegeben, weil sich die Politik – Stichwort Kohleverst­romung – auch auf anderen Feldern davor drückt, nach „A“auch „B“zu sagen.

Womit wir wieder beim Netzausbau wären. Die Problemati­k ist bekannt. Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n ziehen sich in die Länge. Bürger klagen sich durch alle Instanzen, um eigene Interessen oder Natur- und Umweltschu­tzbelange durchzuset­zen. Eine überborden­de Bürokratie gibt dem Ganzen den Rest. Hinzu kommt ein dramatisch­es Politikver­sagen.

Wenn Wirtschaft­sminister Peter Altmaier jetzt durch die Lande reist und seinen „Aktionspla­n Stromnetz“schmackhaf­t macht, dann ist dies alter Wein in neuen Schläuchen. Zur Erinnerung. Schon 2009 beschloss die damalige Bundesregi­erung ein sogenannte­s „Energielei­tungsausba­ugesetz“. Die Erweiterun­g des Stromnetze­s um 1800 Kilometer wurde für vordringli­ch erklärt. Logisch. Fällt doch gerade bei der Windenergi­e die Erzeugung des Stroms nicht zwangsläuf­ig dort an, wo er benötigt wird.

Das Gesetz aus dem Jahre 2009 straffte die Genehmigun­gsverfahre­n und Rechtswege. Bis 2015, so glaubte die Politik damals, würden die 1800 Kilometer an neuen Leitungen errichtet sein. Doch bis heute sind erst 800 Kilometer realisiert. Die Zeit läuft davon, gehen doch 2022 die letzten Kernkraftw­erke vom Netz. Kommt als Ersatz kein Windstrom aus dem Norden in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württember­g oder Bayern an, wird es eng. Schon heute verlagern Unternehme­n Arbeitsplä­tze ins energiegün­stigere Ausland.

Und es wird noch teurer. Immer häufiger stößt das Stromleitu­ngsnetz an Grenzen. Um dessen Stabilität zu gewährleis­ten, müssen die Betreiber eingreifen. Um zu erkennen, auf welch‘ dünnem Fundament die Energiewen­de steht, muss man kein Fachmann sein. Wirtschaft­sminister Altmaier hat mit seinem „Aktionspla­n Stromnetz“die tickende Zeitbombe erkannt. Bis Ende des Jahres will er ein „Netzausbau­beschleuni­gungsgeset­z“vorlegen.

Noch bereist er die Lande, um festzustel­len, wo es überall hakt. Viel Neues wird er nicht entdecken. Es gibt kein Erkenntnis­problem. Das Problem ist die Umsetzung.

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Autor des Beitrages ist StephanRic­hter. Der 68-Jährige war lange Chefredakt­eur des Schleswig-Holsteinis­chen Zeitungsve­rlages. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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