„Dubcek war mehr moralische Instanz als Ideologe“
Inter7iew mit dem slowakischen Historiker Jura9 Marusiak :ber die ;eitfigur 7on 19<8
FRAGE: Was war die Mission von Alexander Dubcek? MARUSIAK: Dubcek selbst war kein politischer Theoretiker oder gar Ideologe. In der kommunistischen Führung gehörte er zu den Leuten, die eine enge Beziehung zur Bevölkerung hielten und ihr mehr als Partner denn als Machtpolitiker gegenübertrat. Die eigentlichen Reformer sahen ihn eher als Kompromisskandidaten zwischen ihnen
und der konservativen Machtstruktur. Erst im Zuge des Reformprozesses wandte er sich mehr dem radikaleren Flügel zu. Die Entwicklung in der Tschechoslowakei wurde von den Regimen in der DDR, Polen, auch Ungarn als Bedrohung gesehen. Als Impulsgeber für die Entstehung des Eurokommunismus im Westen bedrohte der Prager Frühling den Moskauer Hegemonie-Anspruch.
FRAGE: Dubcek ist 1992, kurz nach der Wende, gestorben. Hätten sich ansonsten seine Ideen verwirklichen lassen? MARUSIAK: Es ist schwer zu sagen, was nach der Wende von seinem Modell eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, also eines „dritten Weges“zwischen westlichem Kapitalismus und stalinistischer Diktatur, tatsächlich noch fortsetzbar gewesen wäre, nachdem der Sozialismus als solcher überwunden war. Dubcek selbst trat nach 1989 der Sozialdemokratischen Partei der Slowakei bei und wurde ihr Vorsitzender. Vom eigentlichen Kommunismus hatte er sich also losgesagt. FRAGE: Wie sehen $schechen und Slowaken Alexander Dubcek heute? MARUSIAK: In Tschechien sieht man ihn als Symbolfigur für die Ideale des Prager Frühlings, wirft ihm aber auch vor, dass er sich dem sowjetischen Druck fügte und die Rücknahme der Reformen und Einschränkungen der Menschenrechte unterschrieb. In der Slowakei sieht man ihn vor allem als Symbol für moralische Werte in der Politik. Damit ist er eine Identifikationsfigur, auf deren Erbe sich die meisten Politiker über Parteigrenzen hinweg berufen.