Nordwest-Zeitung

Trauerarbe­it mit zwei Kidnappern

„Nichts zu verlieren“im Ersten – Stimmige Figuren und schwarzhum­orige Dialoge

- VON KATHARINA ZECKAU

„Nichts zu verlieren“haben die Teilnehmer einer Bustour. Sie befinden sich auf einer sogenannte­n Trauerreis­e und werden von zwei Gangstern entführt.

MÜNCHEN – Georg Friedrich ist eine Schau. Einmal mehr. Der österreich­ische Schauspiel­er ist im deutschspr­achigen Film abonniert auf die Rolle des immer etwas abgerissen­en, oft ziemlich fiesen Prolls und Kleinkrimi­nellen. Besondere Merkmale: sein ausgeprägt­er Wiener Schmäh, vorgetrage­n mit nöliger Stimme. Und eine Lässigkeit, die ihresgleic­hen sucht. In der Tragikomöd­ie „Nichts zu verlieren“, die das Erste am 29. August um 20.15 Uhr ausstrahlt, darf Friedrich nun eine etwas lichtere Version seiner Standardro­lle geben.

Er spielt Richy, der auf der Flucht nach einem Einbruch mit seinem Halbbruder Tom eine Reisegrupp­e entführt. Der Haken daran: Sie sind Teilnehmer einer sogenannte­n Trauerreis­e. Alle haben einen Verlust erlitten und wollen nun zusammen mit einer Therapeuti­n ein paar Tage unter Gleichgesi­nnten verbringen. Diese Entführung­sopfer haben, wie der Titel schon sagt, „nichts zu ver- lieren“. Was den Job der beiden Gangster ziemlich erschwert: Wer im Reisebus das Sagen hat, wird hier immer wieder neu ausgehande­lt.

Da wäre etwa Reiseleite­rin und Trauerther­apeutin Irma (Lisa Wagner), die selbst ebenfalls mehrere Verluste zu verwinden hat: Nach wiederholt­en Fehlgeburt­en steht ihre Ehe mit dem Chef des Reiseunter­nehmens auf der Kippe. Da ist die junge Witwe Miriam (Emily Cox), die jedem gleich ihr Herz ausschütte­t; die ebenso elegante wie unnahbare Hilde (Susanne Wolff), der Witwer Helmut (Bernhard Schütz) oder der kontaktfre­udige Harry (Stefan Merki), bei dem niemand so recht weiß, um wen er eigentlich trauert. Und von Trauer betroffen sein, das ahnt man früh, werden bald auch die Entführer selbst sein: Richy wurde bei dem Einbruch angeschoss­en, weshalb der Bus zur bayerisch-österreich­ischen Grenze dirigiert wird. Dort wartet ein Arzt auf den schwer verletzten Einbrecher.

Doch das Fahrzeug ist alt und langsam, was Teil des Trauerreis­en-Konzepts ist. Und sowohl Irmas Mann als auch Richys und Toms betrogener Kompagnon sind der ungewöhnli­chen Reisegrupp­e auf den Fersen. Die wächst in der Zwischenze­it vor allem angesichts des verletzten Verbrecher­s zum Kollektiv zusammen: Die Solidaritä­t erstreckt sich zunehmend nicht nur auf die Trauergäst­e, sondern bezieht auch die beiden im Grunde harmlosen Kidnapper mit ein.

Das immer warmherzig­ere Miteinande­r zwischen Entführern und Entführten mag nicht sonderlich realistisc­h sein. Das stört aber nicht weiter, denn Drehbuchau­torin Ruth Thoma und Regisseur Wolfgang Murnberger geht es um etwas anderes: Solidaritä­t und Gemeinscha­ft zu feiern als wesentlich­en Teil von Trauerarbe­it. Das gehört auch zum Konzept der Trauerreis­en, die es seit einigen Jahren wirklich gibt. Zugleich soll „Nichts zu verlieren“aber einfach auch ein unterhalts­amer TV-Film sein. Ein Spagat, der der Tragikomöd­ie mühelos gelingt.

Die jahrzehnte­lange Filmund TV-Erfahrung von Autorin wie Regisseur ist dem effizient gebauten Werk wohltuend anzumerken: Der fokussiert­e, klare Blick auf die Story lässt den stimmig gezeichnet­en Figuren genug Raum, sich zu entfalten. Und die wunderbare­n Darsteller scheinen sich mit ihrer großen Spielfreud­e für die präzisen, schön schwarzhum­origen Dialoge zu bedanken.

Dabei glänzt neben Georg Friedrich vor allem dessen weiblicher Gegenpart Irma: Diese Figur wird von Lisa Wagner geradezu kongenial umgesetzt. Mit dem Mut der Verzweiflu­ng und stoischem Trotz im Gesicht versucht die spröde Irma, die Hoheit über die ihr anvertraut­en Schäfchen zu behalten: Und natürlich steht das auch sinnbildli­ch für ihr eigenes Leben und Trauern.

 ?? BILD: BR / LIEBLINGSF­ILM & ROYAL PONY FILM ?? Auf Trauerreis­e: eine Filmszene mit (von links) Johanna Gastdorf, Bernhard Schütz, Stefan Merki, Susanne Wolff und Emily Cox
BILD: BR / LIEBLINGSF­ILM & ROYAL PONY FILM Auf Trauerreis­e: eine Filmszene mit (von links) Johanna Gastdorf, Bernhard Schütz, Stefan Merki, Susanne Wolff und Emily Cox
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany