Nordwest-Zeitung

Schwedisch­er SPD droht Abwahl

Sonntag wird abgestimmt – Wie die Flüchtling­skrise das Land veränderte

- VON THERESA MÜNCH

Die aus der Neonazi-Szene gewachsene­n Schwedende­mokraten werden immer stärker. Die Sozialdemo­kraten sind seit 1917 stärkte Kra t im dortigen Parlament.

STOCKHOLM – Es ist nicht lange her, da blickten die deutschen Sozialdemo­kraten mit leuchtende­n Augen neidisch gen Norden. „Was die SPD von Schwedens Sozialdemo­kraten lernen kann“titelte der „Vorwärts“noch im Februar. Inzwischen dürften Zweifel aufkommen, ob die Schweden tatsächlic­h zum Vorbild taugen. Denn wenn am Sonntag (9. September) gewählt wird, wackelt dort eine hundertjäh­rige Dominanz. Zum ersten Mal seit 1917 könnten die Sozialdemo­kraten, die einst den berühmten Wohlfahrts­staat aufbauten, nicht mehr stärkste Kraft im schwedisch­en Reichstag werden.

Im Mutterland der Sozialdemo­kratie hat die Flüchtling­skrise die Rechtspopu­listen stark gemacht. Seit Monaten nähern sich die aus der Neonazi-Szene gewachsene­n Schwedende­mokraten und die Sozialdemo­kraten gegenseiti­g an – die einen gewinnen stetig, die anderen verlieren stetig. Rechtzeiti­g zur Wahl trifft man sich in der Mitte, irgendwo bei 22, 23 Prozent. Die meisten Umfrageins­titute sehen die Sozialdemo­kraten noch vorn, einige im Schlussspu­rt aber auch die Rechtspopu­listen.

„Es ist klar, dass sie wieder ein Gewinner der Wahlen werden“, sagt der Henrik Wahlforsch­er Henrik Oscarsson. Die wahre Unterstütz­ung für die Schwedende­mokraten sei kaum vorherzusa­gen. „Es ist schwer zu sagen, ob sie 16 bis 18 oder 24 bis 26 Prozent einfahren – das ist tatsächlic­h die Spanne in den Umfragen.“

Verlieren werden allem Anschein nach – wie zuletzt fast überall in Europa – die Sozialdemo­kraten. In vielen ihrer einstigen Hochburgen steht die Partei, die Westeuropa geprägt hat wie kaum eine andere, vor Trümmern. Nicht nur die deutsche SPD fuhr bei der Bundestags­wahl vor einem Jahr mit 20,5 Prozent ihr schlechtes­tes Ergebnis der Nachkriegs­geschichte ein. In nur noch sechs der 28 EUStaaten führen klassische Mitte-links-Parteien die Regierung: in Rumänien, Portugal, der Slowakei, in Malta, Spanien – und eben in Schweden.

Doch die Flüchtling­skrise von 2015 hat auch dieses Land verändert, das lange als moralische Großmacht mit offenen Armen galt. Genau wie Deutschlan­d nahm Schweden im Verhältnis zur Bevölkerun­g mit die meisten Flüchtling­e auf. Genau wie in Deutschlan­d wuchs trotz blühender Wirtschaft und niedriger Arbeitslos­igkeit eine diffuse Angst in Teilen der Bevölkerun­g.

Der sozialdemo­kratische Regierungs­chef Stefan Löfven hat wenig erfolgreic­h versucht, die Wählerfluc­ht durch einen scharfen Schwenk bei der Zuwanderun­gspolitik und eine „law and order“-Politik aufzuhalte­n. Dem Vorwurf, er hänge sich an die Themen der Schwedende­mokraten dran, widersprac­h er jedoch: „Unsere Migrations­politik ist traditione­lle sozialdemo­kratische Politik.“Seit dem Flüchtling­sandrang 2015 gehören dazu stark verschärft­e Gesetze und rigorose Abschiebun­gen.

Der Göteborger Wahlforsch­er Henrik Oscarsson glaubt nicht daran, dass die Populisten in die Regierung einziehen oder gar den Ministerpr­äsidenten stellen können, denn es fehlten die Partner. „Das Spannendst­e an der Wahl wird sein, ob das ZweiBlöcke-System mit Rot-Grünen gegen Konservati­ve jetzt Geschichte ist“, sagt er. Die Schwedende­mokraten verhindern jede stabile Regierungs­mehrheit für einen der beiden traditione­llen Blöcke.

Doch endgültig entschiede­n scheint die Koalitions­frage noch nicht: Die bürgerlich­konservati­ve Partei Moderatern­a, Hauptgegne­r der Sozialdemo­kraten, spielt zumindest in Südschwede­n laut mit dem Gedanken einer Zusammenar­beit mit den Rechtspopu­listen. Möglich ist auch, dass die Schwedende­mokraten zum Mehrheitsb­eschaffer einer konservati­ven Minderheit­sregierung werden.

 ?? DPA-BILD: BRUNNSGARD ?? Stefan Löfven (rechts), Premiermin­ister von Schweden, muss am Sonntag um sein Amt fürchten.
DPA-BILD: BRUNNSGARD Stefan Löfven (rechts), Premiermin­ister von Schweden, muss am Sonntag um sein Amt fürchten.

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