Nordwest-Zeitung

Ein bwisser Sarkasmus und pure Obsession

Bruce obi so hat ei e hohe kü stlerische u politische A spruch

- VON SASCHA WESTPHAL

„Zwei Köpfe sitzen, ach! auf meinen Schultern.“Dennis Dimbleby Bagley, der in sich zerrissene Protagonis­t von Bruce Robinsons bitterböse­r Satire „How to Get Ahead in Advertisin­g“, hat ein gewaltiges Problem. Dem von Richard E. Grant gespielten Werbetexte­r ist bisher immer noch ein Slogan und mit ihm eine Kampagne eingefalle­n. Eigentlich kann er alles ins rechte Licht setzen und damit auch verkaufen, selbst wenn er für seine Opfer, also die Käufer, kaum mehr als Verachtung empfindet. Aber diesmal ist alles anders. Zu der Anti-Pickel-Creme, die er bewerben soll, fällt ihm einfach nichts ein. Sein Scheitern wird zur Obsession, die sich in einem riesigen sprechende­n Pickel auf seiner Schulter manifestie­rt. Irgendwann platzt dann aus dem Pickel ein zweiter Kopf heraus, der Dennis’ Körper ohne jeden Skrupel für sich beanspruch­t.

Das Bild von Richard E. Grant mit zwei Köpfen ist ebenso grotesk wie genial. Mehr braucht es eigentlich gar nicht, um Bruce Robinson einen Platz im Olymp des Kinos zu sichern. Und doch hat sich diese grandiose Bildschöpf­ung, die einem alles über die 80er Jahre und ihr immer noch mächtiges Erbe erzählt, längst nicht so in unseren Köpfen festgesetz­t, wie etwa Tony Montanas Untergang in Brian De Palmas Gangsterep­os „Scarface“oder Michael Douglas’ berühmter Monolog aus Oliver Stones „Wall Street“. Bagleys missgestal­tete Erscheinun­g, in der sich die monströse Wirklichke­it der Thatcher-Ära so kongenial spiegelt, wurde 1989 wie auch Bruce Robinsons Film an sich weitgehend ignoriert. Dabei ist Bagley wie auch Douglas’ Gordon Gecko ein ikonischer Protagonis­t jenes Jahrzehnts der Maßlosigke­it und der Oberflächl­ichkeit.

Stärken und Schwächen

Gier ist gut, das ist auch die feste Überzeugun­g von Bagleys zweitem Kopf, der das zweifelnde Ich des Werbetexte­rs mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ausschalte­n will. Aber anders als Brian De Palma und Oliver Stone distanzier­t sich Robinson eindeutig von seinem Anti-Helden. In seinem Blick liegt nichts Bewundernd­es. Sein sarkastisc­her Humor lässt dem Betrachter keinen Ausweg. Robinson konfrontie­rt uns unverhohle­n mit all unseren Schwächen und Lügen. Gier lässt sich eben nicht rechtferti­gen und schon gar nicht glorifizie­ren. Das wussten bereits die Renaissanc­e-Künstler, die sie in ihren Versepen und Gemälden als eine der Sieben Todsünden gebrandmar­kt haben. Ihnen folgt Bruce Robinson mit seiner drastische­n Gesellscha­ftskomödie. Nur war das Kinopublik­um in den späten 80er und frühen 90er Jahren nicht bereit, sich in einen der sieben Höllenkrei­se verbannen zu lassen. Also ging es auf Robinsons Warnung vor den Konsequenz­en der Gier nicht ein. Auch das ist ein Grund, warum „How to Get Ahead in Advertisin­g“heute beinahe noch aktueller wirkt als vor knapp 30 Jahren. Wir sind dem Verführer Bagley bei seinem Ritt in den Sonnenunte­rgang des ewigen Konsums gefolgt und stehen nun vor den Trümmern, die der andere Bagley, der Mahner, der sein Leben von den Auswüchsen der Werbung reinigen wollte, vorausgese­hen hat.

Die menschlich­e Gier, die sich durch nichts besänftige­n oder gar sättigen lässt, ist das eine große Thema in Bruce Robinsons Schaffen. Es durchzieht in unterschie­dlichen Variatione­n nicht nur seine vier Regiewerke, sondern prägt auch sein Drehbuch zu Roland Joffés „The Killing Fields“und seine enzyklopäd­ische Auseinande­rsetzung mit dem viktoriani­schen Zeit- alter „They All Love Jack“. Diese etwa 800seitige Abhandlung über die Taten Jack the Rippers und die verlogenen Mythen, die sie umgehen, ist Robinsons Opus magnum. In ihm fließt alles zusammen, die Beschäftig­ung mit historisch­en Ereignisse­n und Verhältnis­sen, der zynischer Witz, die unbestechl­iche moralische Haltung und das politische Engagement. Und letztlich überrascht es auch nicht, dass Robinson sich nicht nur mit diesem Werk weitgehend vom Kino abgewendet hat.

Hoher Anspruch

Bruce Robinsons radikaler künstleris­cher wie auch politische­r Anspruch verträgt sich letztlich kaum mit dem Film und seinen Gesetzen. Seit seinem ersten Leinwandau­ftritt in Franco Zeffirelli­s Shakespear­e-Verfilmung „Romeo and Juliet“ist die Karriere des 1946 geborenen Engländers von einer Sehnsucht nach Freiheit erfüllt. Schon als Schauspiel­er hat er immer wieder versucht, den Filmen durch sein Spiel einen Stempel aufzudrück­en. Für ihn persönlich mag die Arbeit an Carlo Lizzanis Thriller-Kammerspie­l „Kleinhoff Hotel“, in dem er einen lebensmüde­n deutschen Terroriste­n verkörpert, frustriere­nd gewesen sein. Aber niemand anderes hätte Lizzanis von Lähmung und Hoffnungsl­osigkeit erfülltes Porträt der bleiernen Zeit am Ende der 70er Jahre eine derart fiebrige Intensität verleihen können. Robinsons Porträt des linken Revolution­ärs, der weiß, dass alles verloren ist, und sich in eine so kurze wie heftige Affäre mit der gelangweil­ten Frau eines reichen Architekte­n stürzt, fängt dabei nicht nur den Geist jener düsteren, sich in Gewalt und Gegengewal­t verlierend­en Ära ein. Es ist auch eine Vorstudie zu seinen Regiearbei­ten. So sind die gequälten und sich selbst quälenden Protagonis­ten von „Withnail & I“, „How to Get Ahead in Advertisin­g“, „Jennifer 8“und „The Rum Diary“, Robinsons überwältig­ender Verfilmung von Hunter S. Thompsons autobiogra­phischem Roman, Variatione­n dieser Figur.

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Ein ganz besonderer Regisseur: Bruce Robinson.
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BILDER: FILMFEST OLDENBURG VON M LAIJÜSAÜ CH Set von Withnail & I

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