Watsch’n aus München schmerzt auch in Berlin
Merkels Koalition am Scheideweg – Altparteien gehen massiv geschwächt aus A:stimmung
BERLIN – Es ist nicht nur eine Abrechnung mit der CSU und der SPD in Bayern, es ist auch eine Watsch’n für die schwarz-rote Koalition von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel in Berlin. Vor allem für SPD-Chefin Andrea Nahles könnte es nach der Halbierung des Ergebnisses im Freistaat eng werden. Die Kräfte, die einen Ausstieg aus der Koalition wollen, dürften Auftrieb bekommen.
So gibt es am Sonntag bei der SPD eine Szene mit Symbolcharakter. Leere Wassergläser, keine Mitglieder, zwei Fernseher, auf denen das Geschehen übertragen wird. Ein stilles Drama, wie ein Requiem für eine Volkspartei. Die Wahlparty im WillyBrandt-Haus hatte die SPD vorher bereits abgesagt, offiziell aus Kostengründen.
Nahles tritt vor die Presse – sie steht im leeren Atrium, im Schatten der Willy-BrandtSkulptur. Sie beschönigt nichts, gibt vor allem der schlechten Darstellung der Regierung – und besonders der CSU – die Schuld. Aber wie das alles besser werden soll, sagt sie nicht. Was Brandt über diese Koalition denken würde? „Willy würde sagen: Es fällt auseinander, was auseinanderfallen muss“, meint ein SPD-Beobachter süffisant.
Es ist Nahles erste Landtagswahl als Parteichefin, auch im Bund geht es unter ihrer Führung bisher nur bergab. Wenn auch die Hessenwahl in zwei Wochen schiefgeht, wird der Druck enorm wachsen, die Koalition zu verlassen.
Unterm Strich bekommen die Parteien der Großen Koalition in Bayern, die CSU und die SPD, zusammen rund minus 23 Prozent. Was für ein Misstrauensvotum. Im Gegenzug ziehen die Rechtspopulisten von der AfD zweistellig in den 16. von 17 Landtagen ein. Und dass die Grünen fast doppelt so viel wie die SPD holen, ist auch ein Signal – mit ihrer Doppelspitze Robert Habeck und Annalena Baerbock wirken sie frischer.
Debatten über einen SPDKanzlerkandidaten könnten sich bei solchen Verhältnissen im Bund bald erübrigen. Die SPD schafft es nicht zu begeistern, neue Ideen und Visionen zu entwickeln – vor allem fehlen neue Köpfe. Wie groß die Sehnsucht danach ist und was dann auch an Trendwende möglich ist, zeigte der kurze Höhenflug des letzten Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
Nur sieben Monate nach ihrer Wahl zur Kanzlerin stehen Merkel und die Koalition nach den Regierungskrisen des Sommers vor der nächsten Belastungsprobe. Selbst wenn das erwartete „Gemetzel“in der CSU vorerst ausbleiben sollte und Seehofer nicht direkt aus dem Amt gejagt wird: Die Zeitenwende in Bayern bedeutet auch Sprengpotenzial für Berlin.
In der CDU-Zentrale reichen sie am Abend aus Solidarität bayerische LeberkäsSemmeln. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer lässt aber trotzdem keine Zweifel, wo die CDU die Verantwortung für den Absturz der Schwester sieht: vor allem bei der CSU. Nun richte die CDU den Fokus voll auf Hessen, damit Ministerpräsident Volker Bouffier seine Arbeit fortsetzen könne, Kramp-Karrenbauer deutlich.