Eine Frau auf Jules Vernes Spuren
Erlebnisse der OldenburZer GrundschulpädaZoZin Astrid Kaiser
Astrid Kaiser: DIn 60 Tagen als Frau allein um die WeltE, Reisebuch Verlag, 421 Seiten, 14 Euro. OLDENBURG – „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, textete Matthias Claudius vor mehr als 200 Jahren. Und wir Pfadfinder haben zumindest die beiden ersten Strophen dieses von Carl Friedrich Zelter vertonten Liedes mehr geschmettert als gesungen.
Wenn man schon nach einer Reise viel zu erzählen hat, wie breit und tief und lang muss der Redefluss erst sein, wenn es von einer Weltreise zu erzählen gilt? Noch dazu von einer Frau, die bislang als Wissenschaftlerin, als eine der renommiertesten Grundschulpädagoginnen bekannt geworden ist, ohne die heutige Grundschulen und Kitas nicht das wären, was sie sind: Bildungseinrichtungen für die wertvollsten Erben, die wir haben, unsere Kinder?
Als das Buch von Astrid Kaiser (70), der emeritierten Didaktik-Professorin der Oldenburger Carl-von-Ossietzky-Universität, bei mir landete, kannte ich nur die „Reise um die Erde in 80 Tagen“von Jules Verne. Und ausgerechnet an demselben Tag erschien der „Spiegel“mit seiner Titelgeschichte „Das verlorene Paradies“, ein entlarvender Bericht über die Art und Weise, „wie der Reisende zerstört, was er liebt“.
Sollte die „Grand Old Lady“der deutschen Primarpädagogik und ökologischen Bildung jetzt zu den Touris übergelaufen sein? Ich blätterte hier und da und atmete auf: „In 60 Tagen als Frau allein um die Welt“war und ist nicht nur eine herbe Kritik an den Massentouristen, die Umwelten zerstören, Kulturen vernich- ten, Hautkrebsraten erhöhen (Ballermänner eben), sondern auch und in erster Linie ein mitreißendes Erzählbuch sowie ein nützlicher Ratgeber, wie heute verantwortliche Reisen gestaltet werden können.
Zehn Stationen hat Kaiser besucht, erkundet, erlebt (Florida, Kalifornien, Hawaii, Samoa, Tonga, Fidschi, Australien, Singapur, Malaysia und Oman), in 29 Betten geschlafen, 18-mal ist sie geflogen, 23-mal mit Schiffen gefahren, Dutzende Male hat sie Züge und Busse benutzt, per velo und per pedes Hunderte von Kilometern zurückgelegt, und 1000-mal sich gefreut, dass sie Neues, Interessantes und Schönes erleben durfte.
Am wichtigsten waren ihr die Begegnungen – mit verschiedenen Kulturen, Sprachen, Riten, Religionen und Menschen, auch den Toten, die so viel auf ihren Friedhöfen zu erzählen wissen, wenn man ihnen nur zuzuhören bereit ist. In diesen Passagen ist das Buch mehr als ein Reisebericht, es erinnert an den grandiosen Roman „Atlas eines ängstlichen Mannes“von Christoph Ransmayr, der an 70 Orten seine Erlebnisse mit den Worten beginnt: „Ich sah …“.
Ob der gewiefte Taxifahrer in Muscat oder die ohrfeigende Lehrerin in Apia, ob der hilfsbereite Kanadier in Oman oder der eifersüchtige Sippenkampf in Tonga – berührend sind die menschlichen Begegnungen. „Man fängt an, wie die Einheimischen zu denken, dass alles, was auf der Insel ist, auch miteinander geteilt wird.“Wer solche Sätze zu schreiben versteht, verdient es, gelesen zu werden. Hinzu kommen -zig nützliche Hinweise, wie man eine solche Weltreise vorbereitet, was es mitzunehmen gilt, welche EMails und Internetportale hilfreich sind. Nur mit einer einzigen Behauptung bin ich nicht einverstanden: „Man kann allein viel mehr erleben als Paare oder Gruppen.“Dieser Komparativ ist sehr waghalsig. Nicht „mehr“trifft zu, wohl aber „anderes, auf andere Weise“.
„Allein, allein, allein, allein Nwie kann der Mensch sich trügen!“, heißt es bei Claudius. Aber auch: „verzähl er (oder sie) nur weiter, Herr Ürian (oder Frau Kaiser)!“
D-r A34or, Dr. Rainer Winkel, ist Professor an der Universität der Künste in Berlin.